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Das fordert die deutsche Zivilgesellschaft von der Bundesregierung

Der Globale Migrationspakt sollte eine Blaupause für eine menschenrechtsbasierte Politik sein. Ein Interview mit Martina Liebsch und Jonas Wipfler

 

Am 17. bis 20. Mai 2022 findet das erste Überprüfungsforum Internationale Migration (International Migration Review Forum, IMRF) im UN-Hauptquartier in New York statt. Auf diesem UN-Forum werden die Staaten gemeinsam mit anderen Akteuren die Umsetzung des Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM) erörtern. Es steht unter der Schirmherrschaft der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Verbänden, Diaspora-Vereinen und Kirchen hat einen Bericht zum Fortschritt der Umsetzung in durch die Bundesregierung veröffentlicht. Wir sprachen mit Martina Liebsch (Katholischen Forums Leben in der Illegalität) und Jonas Wipfler (MISEREOR e. V.) über die Forderungen der Zivilgesellschaft an die Bundesregierung.

 

Hier geht es zur Kurzversionen mit Kernforderungen der deutschen Zivilgesellschaft an die Bundesregierung in DEUTSCH und ENGLISCH. Eine Langversion mit den Kernforderungen und einem zusätzlichen Diskussionspapier ist nur in ENGLISCH verfügbar.

FES: Vier Jahre nach der Verabschiedung des Globalen Migrationspakt findet nun das erste Internationale Überprüfungsforum statt. Welche Erwartungen haben Sie an das Forum?

Jonas Wipfler: Vor vier Jahren waren wir bei der Zeremonie in Marrakesch dabei, als der GCM aus der Taufe gehoben wurde. Damals war man sich sehr unsicher, welche Wertigkeit das Dokument erhalten würde – einerseits ist es das erste Dokument auf globaler Ebene, das sich übergreifend mit Migration in umfassender Weise befasst, andererseits ist es rechtlich nicht bindend. Das Forum im Mai zeigt aber dennoch, dass es Wirkung hat, die Staaten müssen sich zu den Zielen des GCM verhalten und das allein ermöglicht schon eine breitere Diskussion als zuvor. Natürlich werden sich alle Staaten in einem guten Licht darstellen wollen, aber die Beteiligung der Zivilgesellschaft bzw. deren Kritik bieten die Chance eines Dialogs.

Martina Liebsch: Es wurde viel Herzblut von allen Beteiligten in dieses Dokument investiert. Ich hoffe, dass diese positive Energie durch dieses Forum wiederbelebt wird und die Auseinandersetzung mit dem Pakt zu einem ehrlichen Dialog führt, durch den Dinge verbessert werden können. Er sollte ebenso wie andere Dokumente nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommen, sondern Blaupause für eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik sein.

 

FES: Im Bericht der deutschen Zivilgesellschaft zur Umsetzung des Globalen Migrationspakts durch die Bundesregierung identifizieren Sie einige Baustellen in der deutschen Migrationspolitik. Wo sehen sie den größten Handlungsbereich?

Jonas Wipfler: Mit unserem Bericht beziehen wir uns auf die letzten Jahre und da gab es nach 2015 sehr deutliche Verschärfungen was Leistungen für Menschen im Asylverfahren angeht, wie auch bei Härtefällen. Es wurde zwischenzeitlich sehr deutlich, dass eine Vermischung innenpolitischer Ziele mit Entwicklungspolitik stattfand und sehr einseitig auf Rückführung und Abschottung gesetzt wurde. Ein Tiefpunkt war dabei sicherlich der so genannte „Masterplan Migration“, der Migration in weiten Teilen nur als Krise und als Problem gesehen hat. Ganz generell leben wir in Zeiten, in denen der elementarste Schutz von Migrant_innen immer wieder politisch in Frage steht – das Mittelmeer, Lesbos, die Grenze zwischen Polen und Belarus sind dabei nur die offensichtlichsten Fälle. Im Kern geht es um den Schutz der Menschenrechte der Betroffenen – und den Zugang zu Basisdienstleistungen, einem Rechtsstatus, Bildung und Arbeit.

Es bleibt abzuwarten, wie die neue Bundesregierung längerfristig das Thema angeht, erste neue Akzente – etwa die Anwendung der EU-Schutzgewährungsrichtlinie (Temporary Protection Directive) im Fall der Ukraine ist zu begrüßen. Ich benutze hier übrigens bewusst nicht den häufig verwendeten Begriff der „Massenzustromsrichtlinie“, weil dieser den eigentlichen Zweck der Richtlinie, den vorübergehenden Schutz von flüchtenden Menschen, nicht abbildet.

Martina Liebsch: Ich würde die Baustellen mit den Worten „Reduzierung von Vulnerabilität“ umschreiben. Dazu gehören, wie auch in unserem Bericht dargestellt, die Verbesserung des Zugangs zu Identitätsdokumenten insbesondere bei in Deutschland geborenen Kindern (Ziel 4), die Verbesserung und Beschleunigung der Verfahren zur Familienzusammenführung (Ziel 5) oder die verstärkte Kontrolle von Arbeitsvermittlungsagenturen (Ziel 6). Wir fordern aber auch, dass das System für Opfer von Menschenhandel (Ziel 10) gestärkt, arbeitssuchende EU-Bürger_innen und ihre Familienangehörige von der Grundsicherung eingeschlossen und der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität (Ziel 15) sichergestellt werden. Vulnerable Migranten sind „willkommene“ Opfer für Kriminelle und die Folgekosten sie zu retten, sind ungleich höher als Ihnen Zugang zu Ihren Rechten zu ermöglichen und diese zu schützen. 

 

FES: Der Globale Migrationspakt empfiehlt Staaten die gesamte Gesellschaft bei der Umsetzung des Pakts einzubinden (Whole-of Society-Approach). Wie bewerten sie die Bemühungen der Bundesregierung diesbezüglich?

Jonas Wipfler: Im Vorfeld von Verhandlungen und verschiedenen Konferenz-Formaten gab es regen Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Regierung – zuletzt auch übergreifend mit den unterschiedlichen Ministerien, die die Themen bearbeiten – in meiner Wahrnehmung ist das sehr viel mehr als andere Regierungen und Länder tun. Solche Formate können immer inklusiver sein, gerade, was die Einbindung kleinerer Initiativen und Interessengruppen angeht, aber ich nehme den Austausch in Deutschland als offen und konstruktiv wahr. 

 

FES: Wie sollte der Austausch zwischen Regierung und Zivilgesellschaft zur Umsetzung des Globalen Migrationspakt langfristig gestalten sein?  

Martina Liebsch: Der GCM ist hier klar in seiner Empfehlung: Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sollten Nationale Aktionspläne entwickeln, zusammen mit allen relevanten Akteuren. Um diese Akteure einzubinden, braucht es einen institutionalisierten Prozess im Sinne des Whole-of Society-Approach im GCM. Es wäre also wünschenswert sich im Austausch einzelne Ziele anzuschauen und in einer konstruktiven kontinuierlichen Auseinandersetzung zu überlegen, was noch umgesetzt werden muss, bzw. einen nationalen Aktionsplan dazu zu entwickeln. Einzelne Punkte im Koalitionsvertrag gehen in die richtige Richtung. Wichtig wäre hier die Breite der Zivilgesellschaft einzubinden, insbesondere auch der Organisationen von Migranten bzw. Betroffene. Ein Anfang wäre ein Dialog über den erstellten zivilgesellschaftlichen Bericht und damit die Bestätigung, dass die Stimme der Zivilgesellschaft wahrgenommen wird. Langfristig muss der Prozess aber institutionalisiert werden, so wie zum Beispiel beim Nationalen Aktionsplan Integration (NAPI).

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zu den Personen:

Martina Liebsch ist Geschäftsführerin des Katholischen Forums Leben in der Illegalität und der AG Menschenhandel der Deutschen Bischofskonferenz.

Jonas Wipfler ist Referent für Migration und Menschenrechte im Berliner Büro des Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e. V.

Beide Personen gehörten zu dem Autorenkollektiv, welches den zivilgesellschaftlichen Bericht erstellt hat.

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