Die Expert_innen von BAMF, IAB, SOEP und BIB haben in ihrer gemeinsamen Studie eine Beschäftigungsquote von 17 Prozent in Deutschland im Herbst 2022 als Erfolg interpretiert, mit dem zutreffenden Argument, die Ukrainer_innen fänden schneller Arbeit als die Flüchtlinge von 2015. Dabei war die Arbeitsbeteiligung in den ersten Monaten bei den Frauen sogar zurückgegangen. Die Selbstzufriedenheit in den Integrationsinstitutionen kontrastiert mit einer aufgeregten Debatte in der Politik, in der auch Ukrainer_innen inzwischen thematisiert werden. Im Oktober 2023 rechnete Finanzminister Lindner vor, Ukrainer_innen erhielten 5,5 bis 6 Milliarden Bürgergeld. Der Landkreistag forderte für Neuankömmlinge eine Rückstufung in das Asylbewerberleistungsgesetz, der Arbeitsminister einen „Job-Turbo“ und es wurde ein Sonderbeauftragter für die Arbeitsvermittlung eingesetzt.
In einigen Nachbarländern steht die Arbeitsintegration schon länger im Vordergrund. In den Niederlanden sind die Zeitarbeitsfirmen sehr aktiv bei der Rekrutierung. Das staatliche polnische Wirtschaftsinstitut erwartet für das Jahr 2023 flüchtlingsbezogen mehr Steuereinnahmen als Staatsausgaben. Der tschechische Finanzminister Stanjura konstatierte im Oktober 2022, „die Kosten für die ukrainischen Flüchtlinge würden geringer sein als ursprünglich erwartet", denn die Bevölkerung habe geholfen und die Flüchtlinge hätten schnell Arbeit gefunden. Beklagt werden allerdings auch Schattenseiten. Der niederländische Menschenhandels-Beauftragte dokumentiert Fälle von sexueller und krimineller Ausbeutung und von Übervorteilung und Unterbezahlung und kritisiert, dass es zu wenig Transparenz gebe. In Polen gibt es viele Berichte über Ausbeutung und Unterbezahlung.
Langsame Abläufe oder digitale One-Stop-Verfahren
Warum sind die Abläufe so unterschiedlich? Die deutschsprachigen Länder haben sich bei der Aufnahme der ukrainischen Kriegsflüchtlinge am Asylsystem orientiert und dabei viele Beschränkungen und Verfahren übernommen, mit denen dieses System aufnimmt und zugleich abschreckt und kontrolliert. Auch für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge wurden komplizierte Kontrollverfahren eingerichtet, die lange Zeit in Anspruch nehmen. Polen und die Tschechischen Republik, aber auch Dänemark, die Niederlande und Irland führten dagegen einfache digitale One-Stop-Verfahren ein, bei denen der gesamte Rechts- und Sozialstatus mit einer Anmeldung abgedeckt wird. In den Niederlanden genügte zunächst die Anmeldung in der zuständigen Gemeinde, Polen schuf eine spezielle Meldekategorie für ukrainische Flüchtlinge. En-Bloc-Zahlungen erleichterten in den ersten Monaten das Ankommen und ersparten lange Wartezeiten. Mit Hilfe der Digitalisierung haben Behörden und Öffentlichkeit ständig einen Überblick über Zahl und Situation der Kriegsflüchtlinge. Im digitalen Musterstaat Dänemark gibt es beispielsweise wöchentliche Berichte mit den relevanten Informationen. Das erleichtert einen rationalen Diskurs.
Genehmigungspflichten
In Österreich und der Schweiz ist die Arbeitsaufnahme dagegen immer noch genehmigungspflichtig. In Österreich verlieren Flüchtlinge die Krankenversicherung, wenn sie mehr als 110 Euro verdienen. Sie geraten in die „Inaktivitätsfalle“. In Deutschland ist die Genehmigungspflicht am 1. Juni 2022 abgeschafft worden, drei Monate nach Fluchtbeginn, aber die Verfahren dauern gleichwohl lange. Die Ausländerämter sind überlastet. Auch Ukrainer_innen, die sich als Selbständige niederlassen wollen, klagen über lange und komplexe Verfahren mit vielen beteiligten Institutionen. In Polen gibt es dagegen eine große Zahl an Unternehmensgründungen. Ukrainische Frauen gründen hauptsächlich in den Bereichen Friseurin und Handel, Männer bei Bau und Lagerverwaltung, beide im IT-Bereich.
Hoffnung auf den Erfolg der Sprachkurse in Deutschland
Deutschland hat seine Integrationskurse für Ukrainer_innen geöffnet und quantitativ wesentlich ausgebaut. Im Jahr 2022 nahmen 201.272 Ukrainer_innen teil – eine sehr hohe Zahl im Vergleich zu 25.807 Teilnehmenden in allen anderen EU-Ländern oder 10.000 Teilnehmenden in Großbritannien. Für 2023 sind 1,1 Milliarden Euro vorgesehen, etwa die Hälfte dürfte auf Ukrainer_innen entfallen. Ausländerämter bzw. Jobcenter können auch zur Teilnahme verpflichten. Diese hohen Ausgaben sind von der Hoffnung getragen, die Absolventen würden anschließend nicht mehr nur in gering bezahlten Berufen arbeiten, sondern ihre hohen Qualifikationen zur Geltung bringen können. Von niederländischen Experten wird dieses umfangreiche Sprachprogramm gelobt, da der Staat dort nicht entsprechend investiert. Auch der OECD-Experte Thomas Liebig gab bei der Präsentation des „Internationalen Migrationsausblicks 2023“ am 24. Oktober 2023 der Hoffnung Ausdruck, die Beschäftigungslage in Deutschland werde sich auf Grund der Sprachkurse in einigen Monaten verbessern. Die OECD verzichtet bisher auf die Präsentation von Vergleichszahlen zur Arbeitsbeteiligung, weil die Datengrundlagen in vielen Ländern schwierig sind.
Enttäuschenderweise zeigen die Daten bisher keine Anzeichen für eine Verbesserung der Arbeitsbeteiligung in den deutschsprachigen Ländern. Vielmehr sind die Diskrepanzen etwa zu Dänemark größer geworden, wo Woche für Woche exakte Zahlen zur Verfügung stehen. Es gibt dafür drei Erklärungen: erstens die Bedeutung informellen Lernens in kommunikativen Arbeitsprozessen, zweitens das nicht ausreichende Niveau der formell erreichten Sprachkenntnisse und drittens die schwierigen formalisierten Verfahren und Entscheidungsprozesse bei Arbeitsaufnahme. Informelles Lernen am Arbeitsplatz hat anscheinend in anderen Ländern ausgereicht, um die Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Daneben halfen Englisch- oder Russischkenntnisse oder Übersetzungsprogramme, vor allem am Anfang. Die Arbeitsaufnahme fördert informelles Lernen und steht in engem Bezug zum beruflichen Fortkommen. Dagegen bleiben die Teilnehmer bei Sprachkursen vielfach in ihrer eigenen Sprachgruppe.
Die offiziellen Berichte über die Integrationskurse legen eine hohe Zahl von Kursabbrüchen offen, die Teilnahmezahlen kontrastieren mit den Zahlen über die abgelegten Prüfungen. 2022 gab es 340.438 Teilnehmende, 129.360 Prüfungsteilnehmende und 171.627 „Kursaustritte“. 61,9 Prozent der Abschlussprüfungen führten zum Niveau B1, 27,5 Prozent zum Niveau A2 und 10,7 Prozent blieben unterhalb des Niveaus A2. Das Niveau C kommt in der Statistik überhaupt nicht vor. Für anspruchsvolle Tätigkeiten wird aber überall das Niveau C1 verlangt. Das gilt nicht nur für Ärztinnen oder Lehrerinnen, sondern beispielsweise auch für Fahrlehrer_innen, auch wenn diese später auf Russisch oder Englisch unterrichten sollen.