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Wie Medienberichterstattung über Migration politische Debatten beeinflusst. Ein Beitrag von Fabio Ghelli vom Mediendienst Integration.
Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen hat die „Alternative für Deutschland“ (AfD) historisch hohe Ergebnisse erzielt. Auch bei der jüngsten Europawahl haben in vielen Ländern politische Kräfte aus dem rechten bis rechtsextremen Spektrum sehr gut abgeschnitten. Als Grund für die Wahlerfolge rechter Kräfte wurde wiederholt ihre Positionierung gegen Einwanderung und kulturelle Vielfalt genannt.
Sorgen und Ängste über Migration dominierten politische und mediale Debatten vor der Wahl. In Deutschland standen vor allem die Aufnahme von Geflüchteten, die Bedrohung durch den extremistischen Islamismus und der zunehmende Antisemitismus im Fokus der Debatten. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen waren Zuwanderung und Asyl laut Umfragen das „wichtigste Problem“ für etwa ein Drittel aller Wähler_innen. Vor der EU-Wahl war die Asylpolitik laut ARD-Deutschlandtrend das wichtigste Thema überhaupt.
Wenn viele Migrant_innen und Geflüchtete ins Land kommen, können dabei gesellschaftliche Konflikte auftreten. Diese Konflikte machen vielen Menschen Sorgen. Das ist weder neu noch überraschend.
Etliche Studien, die die Berichterstattung über Flucht und Migration über einen längeren Zeitraum analysiert haben, kommen jedoch zum Schluss, dass der Ton der medialen und politischen Debatten nur zum Teil mit tatsächlichen Problemlagen zu tun hat. (Stiftung Mercator "Befunde: Die Medienberichterstattung über Flucht und Migration 2016-2020", Otto-Brenner-Stiftung: "Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien", Mediendienst Integration: "Wie Medien über Messerangriffe berichten") Welche Bedeutung die Öffentlichkeit dem Thema Migration beimisst, hängt vielmehr davon ab, wie intensiv über das Thema (und die entsprechenden politischen Debatten) gesprochen und berichtet wird – wie eine historische Analyse der Berichterstattung über Flucht und Migration der Universität Lissabon kürzlich festgestellt hat.
Wenn zum Beispiel die Zahl der Geflüchteten steigt, beschäftigen sich Medien und Politik erwartungsgemäß mit den Problemen der Aufnahme und Unterbringung, so die Forscher_innen. Dabei entstehen (oftmals lebhafte) politische Debatten, über die wiederum berichtet wird: Statements von Politiker_innen, Gesetzesvorhaben und andere Maßnahmen werden von den Medien analysiert und kommentiert. Wenn die Maßnahmen ihre Ziele verfehlen, gibt es Schuldzuweisungen, die neue Debatten entfachen – und noch mehr Berichterstattung zum Thema generieren. In der Netzwerkökonomik spricht man dabei von einem Feedback-Effekt – einer sich selbst verstärkenden Rückkopplungsschleife.
Dieser Effekt kann übrigens auch dann eintreten, wenn die Zahl der Geflüchteten sinkt. Es lohnt sich an dieser Stelle daran zu erinnern, dass im ersten Halbjahr 2024 deutlich weniger Schutzsuchende Deutschland (und Europa) erreicht haben im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das ist übrigens kein Einzelfall: Im Sommer 2018 hat sich zum Beispiel die Zahl der Medienbeiträge über Asylpolitik verdreifacht – bei sinkenden Flüchtlingszahlen. Der Grund: eine Debatte innerhalb der Bundesregierung über Zurückweisungen an den deutschen Grenzen.
Eine historische Perspektive auf die Berichterstattung zeigt auch: Mit wenigen Ausnahmen fokussieren sich Medienberichte über Migration und Asyl auf Aufreger-Themen wie etwa Kriminalität, Gewalt, Terror oder soziale Missstände.
Über diese Themen zu berichten, ist sowohl Aufgabe als auch Pflicht der Medien. Auf die Art und Weise kommt es aber dabei an – denn ausgerechnet bei hochemotionalen Themen kann sehr schnell ein Feedback-Effekt eintreten.
Eine Analyse des Mediendienstes über die Berichterstattung zu „Clankriminalität“ hat zum Beispiel gezeigt, dass es ab 2019 einen rasanten Anstieg der Berichte zum Thema gab – und zwar nicht, weil es nachweislich mehr Straftaten von familienbasierten kriminellen Organisationen gab, sondern in erster Linie, weil mehr Lageberichte darüber erschienen sind – und mehr Delikte unter der Kategorie „Clankriminalität“ erfasst wurden.
Ein weiteres Beispiel: Eine schnelle Online-Recherche zum Begriff „Unterbringung von Flüchtlingen“ zeigt, dass eine überwiegende Mehrheit der Berichte über das Thema mit Fotos von überfüllten Sporthallen, Zelten und anderen Notunterkünften bebildert wird. Eine bundesweite Umfrage der Universität Hildesheim und des Mediendienst Integration hat jedoch festgestellt, dass im Mai 2024 nur 35 Prozent der deutschen Kommunen Geflüchtete in Notunterkünften unterbrachten – und gerade mal 7 Prozent in Sporthallen.
Das bedeutet nicht, dass familienbasierte kriminelle Organisationen kein Problem für die Sicherheit sind – oder dass deutsche Kommunen keine Probleme bei der Unterbringung von Geflüchteten haben. Wenn die Berichterstattung über diese Themen aber vor allem zu den Sorgen und Ängsten des Publikums spricht, kann der Eindruck entstehen, dass Politik und Institutionen keine Kontrolle mehr über Teile der Einwanderungsgesellschaft haben – und dass Migration dabei zu einer Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wird.
Debatten mit einem dezidiert negativen Ton führen wiederum dazu, dass in den Umfragen Migration zunehmend als Sorgenthema genannt wird – wie die Lissabon-Studie ausdrücklich festgestellt hat. Über diese Umfragen wird dann wiederum berichtet – was das Gefühl bestätigt, dass wir es hier mit einer ernsthaften Bedrohung zu tun haben. Und das verstärkt nochmal den Feedback-Effekt.
Es ist eine zentrale Aufgabe von Medienschaffenden, diese Dynamiken zu erkennen – und sie zu hinterfragen oder dagegen vorzugehen. Besonders bei Sorgenthemen gilt: Fakten prüfen, Generalisierungen vermeiden, sachlichen Ton bewahren und im Zweifel mit fachkundigen Personen sprechen – aus einem möglichst vielfältigen Expert_innen-Pool.
Seit 12 Jahren versucht der Mediendienst Integration Journalist_innen zu unterstützen, die sich mit Migrationsthemen beschäftigen – mit Zahlen, Fakten und der Vermittlung von Expert_innen.
Anhand dieser Erfahrung können wir sagen: Die Debatte rund um Migration, Asyl und Integration hat in Deutschland riesige Fortschritte gemacht. Während vor 14 Jahren die kontroversen Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin oftmals unkommentiert in Medien zitiert wurden, gehören Faktenchecks und differenzierte Einordnungen durch Expert_innen inzwischen zum journalistischen Toolkit der meisten regionalen und überregionalen Redaktionen.
Pauschale Behauptungen über Geflüchtete, die den Sozialstaat angeblich ausnutzen oder kriminelle Migrant_innen, welche deutsche Städte vermeintlich terrorisieren, werden zunehmend systematisch anhand von offiziellen Quellen und Daten, sowie qualifizierten Einschätzungen geprüft. Auch im internationalen Vergleich ist die mediale Debatte über Migration in Deutschland deutlich weniger von Panikmache und Sensationslust geprägt als in anderen Teilen Europas – wie unsere Partner-Projekte aus verschiedenen europäischen Ländern bestätigen.
Eine sachliche und nuancierte Berichterstattung über das Thema Migration bleibt aber eine ebenso wichtige wie komplexe Aufgabe wie jeher. Das gilt umso mehr in einer Zeit, in der politische Kräfte auf dem Vormarsch sind, die die Stützpfeiler unserer demokratischen und offenen Gesellschaft systematisch auskerben.
Fabio Ghelli ist stellvertretender Chefredakteur beim Mediendienst Integration. Der Mediendienst Integration ist ein Projekt des "Rats für Migration“ – eines Zusammenschlusses von 230 Forscherinnen und Forschern im Bereich Migration und Integration. Seit 2012 präsentiert der Mediendienst aktuelle Zahlen und Fakten rund um Migration, Integration und Asyl. Sie finden mehr als 2.000 Dossiers, Analysen, Recherchen und Factsheets, in denen die aktuellsten Statistiken und Studien kompakt und verständlich präsentiert werden – zu allen Themen der Einwanderungsgesellschaft von Asylpolitik über Integration am Arbeitsmarkt bis hin zu extremistischem Islamismus und Rechtsextremismus.
Darüber hinaus bietet der Mediendienst Pressegespräche, Hintergrundgespräche und Workshops für Journalist_innen an. Jeden Freitag erscheint ein Newsletter, im Podcast gibt es Fakten und Hintergründe zu aktuellen und strittigen Migrationsthemen.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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Zentrale Genderkoordinatorin
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Redaktion
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