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Die notwendige Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch benötigt vor allem eine enge Kooperation von Unternehmen, Staat und Gesellschaft.
Ein kleines Café in Halle. Es ist ruhig hier, nicht viel los um 11 Uhr morgens. Das etwas alternative Café scheint ein geeigneter Ort für ein Interview mit einer Aktivistin der Letzten Generation zu sein. Katrin Schmidt sitzt gelassen mit ihrer Kurkuma-Milch an einem kleinen Holztisch. Verwundert könnte man sein, dass Schmidt zuvor bei „Omas gegen Rechts“ aktiv war und nicht etwa studiert, sondern jenseits ihres Aktionismus häufiger auf ihre Enkel aufpasst. „Auch ihretwegen bin ich bei der Letzten Generation aktiv, es ist viel mehr ihre Zukunft, weniger meine“, sagt Schmidt. Die Letzte Generation taucht durch Straßenblockaden seit Monaten immer wieder in den Medien auf. Wenn die orangefarbenen Banner der Aktivist*innen über die Straße aufgespannt werden, schlägt der Frust der Pendler*innen, die auf ihrem Weg zur Arbeit aufgehalten werden, nicht selten in Gewalt um. „Die steigen aus ihren Autos und bedrohen uns – bevor die Polizei eintrifft, bekommt man dann wirklich Angst“, sagt Schmidt, allerdings weiterhin gelassen.
Der unnachgiebige Widerstand vieler junger Protestierender spornte sie an, sich bei den Klimakämpfer*innen zu beteiligen. Nun protestiert sie selbst mit beschrifteten Demo-Bannern gegen die Untätigkeit angesichts der Klimakatastrophe. Auf den Transparenten steht: „Letzte Generation vor den Kipppunkten“.
Kipppunkte, das sind, wovor die Protestierenden Angst haben: der nachlassende Permafrost, die schmelzenden Gletscher oder auch der schwindende Amazonas. Laut IPCC-Bericht vom März 2023 steuert der Planet auf eine 3,2-Grad-Erwärmung bis 2100 zu. Und: Je wärmer es wird, desto schneller wird es wärmer. Denn wenn die Permafrostböden in Sibirien auftauen, gelangen die dort gebundenen Klimagase in die Atmosphäre. Schmilzt das Eisschild Grönlands, sammelt sich das Wasser im Meer, das weit weniger Sonnenlicht reflektiert als die weißen Gletscherriesen.
Seitdem der Mensch anfing Wälder zu roden und Wildrinder zu zähmen, hat er das Klima verändert – erst langsam, nur wenig später, als er Kohle ausgrub und ganze Berge davon verfeuerte, immer schneller und schneller. Mehr und mehr Energie brauchte er. Mehr Kohle, mehr Öl, mehr Treibhausgase, mehr Ressourcen. Die menschliche Wirtschaft hat den Planeten geformt. Ihr Wachstum wird üblicherweise an der Höhe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen, welchesden Wert der in einem Land produzierten Güter und Dienstleistungen erfasst. Steigt das reale BIP, spricht man von Wirtschaftswachstum.
Die notwendige Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch benötigt vor allem eine enge Kooperation von Unternehmen, Staat und Gesellschaft. Seitens der Unternehmen sind unter anderem Ressourceneffizienz und nachhaltige Produktgestaltung erforderlich. Um mehr Güter und Dienstleistungen mit weniger Ressourcen herstellen zu können, müssen Produktionsprozesse weniger verschwenden, energieeffizientere Technologien benutzt werden und Logistikprozesse optimiert werden. Nachhaltige Produkte, die recyclebar und langlebig sind, können unter anderem durch Förderung von Reparaturfähigkeit verbessert werden, was wiederum bei der Ressourceneffizienz in der Produktion hilft.
Dem zugrunde liegen vor allem Innovationen und Technologien, die nicht nur Ressourceneffizienz und nachhaltige Produktgestaltung vereinfachen, sondern solche nachhaltigen Produkte auch vergünstigen, was Anreize für ein entsprechendes Konsumverhalten schafft. Schon seit Längerem wird ein Umdenken seitens der Gesellschaft gefordert, welche sich bewusster für nachhaltige Lebensmittel und umweltschonende Transportmittel entscheiden soll.
Dass es Unternehmen, Staat und Gesellschaft nur im Zusammenspiel gelingen kann, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, ist also gegeben. Trotzdem zeigen im öffentlichen Diskurs oft Finger aufeinander – die Schuldfrage: Wie konnte es so weit kommen, und welche der drei Parteien muss somit die meiste Verantwortung übernehmen?
Das Auto für das Fahrrad und das Mettbrötchen für das Käsebrot einzutauschen, sagt manch einer, ist nicht genug, um Druck auf Unternehmen auszuüben und Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Stattdessen soll die Politik einschreiten, damit eine Verpflichtung zur Ressourcenschonung bindend wird – der Staat muss Verantwortung übernehmen. Demgegenüber steht ein Glaube an die Marktwirtschaft, der voraussetzt, dass der oder die Konsument*in bzw. die Gesellschaft Ressourceneffizienz und grüne Technologien in ihrer Nachfrage reflektieren muss, um einen Wandel herbeizuführen. Ist dies noch nicht passiert, so ist die Gesellschaft nicht an einem solchen grünen Wachstum interessiert. Es geht also um die Frage, inwiefern Nachfrage in Wandel übersetzt werden kann. Die Art und Weise, wie diese „Schuldfrage“ in Bezug auf Entkopplung beantwortet wird, ist wiederum ein Kernpunkt der „Green Growth vs. Degrowth“-Debatte, wie im Folgenden deutlich wird.
Die Zeit drängt: Wie eine immer wärmere Welt aussehen kann, hat der Juli 2023 gezeigt. Global lag die Durchschnittstemperatur 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Ein negativer Rekord. Diese 1,5 Grad markieren die viel beschworene Grenze des Pariser Klimaabkommens. Schmidt war zeitlebens aktiv, musste immer auf die Straße, erzählt sie: „Rumsitzen war noch nie meins.“ Nun begleitet sie Menschen, die genau das tun. Rumsitzen. Den Verkehr blockieren. Die Untätigkeit ausbremsen. Bei der Letzten Generation hat sie das Gefühl, etwas Richtiges zu tun.
Ressourcenknappheit geht mit einem zyklischen Wachstum einher, da eine steigende Nachfrage erhöhte Produktion und so Ressourcen benötigt, wie etwa Kohle für Elektrizität. Unvermeidlich sind dann auch zum Klimawandel beisteuernde CO2-Ausstöße als Beiprodukt solch eines Wachstums. Die steigende Nachfrage beruht auf der Annahme, dass der Mensch von Natur aus gierig ist – eine Säule neoliberaler Wirtschaftstheorien. Die Maximierung des eigenen Nutzens als Schablone für menschliches Handeln ist seit Langem umstritten, da die Theorie nicht die Komplexitäten des menschlichen Zusammenlebens erfasst. Andere Kritiker*innen, wie etwa der Politikwissenschaftler Professor Reinhard Zintl, deuten an, dass die Theorie bedingt als Kurzfassung für menschliches Handeln genutzt werden kann, allerdings nicht als die universelle Natur des Menschen zu verstehen ist.
Im Falle der Stromproduktion träfe somit eine unendliche Nachfrage auf endliche Rohstoffe, und es stellt sich für viele Ökonom*innen die Frage, wie solch eine Entwicklung zu bewältigen ist. Der US-amerikanischer Ökonom Paul Krugman, wie auch andere Makroökonom*innen, vertritt die Ansicht, dass Wachstum grün sein kann – Green Growth. Durch Innovation sollen CO2-Ausstöße gesenkt und ein gewohnter Konsum gewährleistet werden. Schaut man sich allerdings den Verlauf des globalen BIP sowie von CO2-Emissionen in den vergangenen 20 Jahren an, wird schnell klar, dass dies bisher nicht der Fall ist. Das BIP wie auch die Emissionen steigen im Durchschnitt stetig zusammen an, auch wenn ein innovationsgetriebenes Wachstum eine gewisse Divergenz suggeriert.
Deutschland war in den 1990ern und 2000er Jahren überraschenderweise eines der wenigen Länder, in denen es eine Phase des Wachstums und der CO2-Reduktion gab. Nicht aber wegen spritsparender Technologien oder einem neuen Bewusstsein für das Klima zur Jahrhundertwende, sondern wegen der Deindustrialisierung Ostdeutschlands und somit der Auslagerung von Emissionen.
Die Lösung? Degrowth sagen viele andere Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen – ein absichtliches Schrumpfen der Wirtschaft, um den wachstumsgetriebenen Emissionen entgegenzuwirken. Ein möglicher Ansatz liegt darin, Ressourcenverbrauch stärker zu besteuern, damit soziale und ökologische Kosten an die Verbraucher*innen weitergegeben werden, um so die Nachfrage zu senken. Dadurch wird ein zyklisches, unkontrolliertes Wachstum gestoppt, da der Anreiz für Produktion gedämpft und im Gegenzug Emissionen gesenkt werden. Ein weiterer Kernpunkt ist die Ausweitung von öffentlichen Gütern und Infrastruktur wie Radwegen und ÖPNV, was pro Kopf Emissionen verringert.
Doch was ist Green Growth genau? Übersetzt heißt es „Grünes Wachstum“. Das Konzept ist folgendes: Wirtschaftlicher Erfolg und demzufolge ihr Wachstum geht mit dem Umweltschutz Hand in Hand. Warum ist dafür Wachstum notwendig? Weil die überwiegende Annahme besteht, dass unser wirtschaftliches System oder auch der Kapitalismus nicht ohne Wachstum funktioniert. Wachstum ist essenziell.
Doch genau dies macht sich das Green-Growth-Konzept zunutze. In einer funktionierenden Marktwirtschaft setzen sich umweltschonende Wirtschaftsweisen und Produkte sowieso durch, da sie die unterschiedlich gestalteten Kosten der Umweltbelastung weniger tragen müssen. Das macht sie günstiger oder anderweitig attraktiver. Strom aus erneuerbarer Energie ist ein gutes Beispiel: Anfang der Nuller-Jahre waren die Stromentstehungskosten für erneuerbare Energien deutlich höher als die aus fossilen Energieträgern. Jetzt ist es umgekehrt.
Aber ist das gesamtwirtschaftlich möglich? Eine blühende Wirtschaft mitsamt blühenden Landschaften, in der nicht nur die emissionsfreien Maschinen, sondern auch die Insekten surren und brummen? Ein zentrales Merkmal des Green Growth ist die Förderung von Investitionen in umweltfreundliche Sektoren. Durch das erhöhte Bewusstsein für die Grenzen natürlicher Ressourcen wird auf Innovation, Technologie und nachhaltige Praktiken gesetzt. Es war eine ziemliche Erleuchtung, als die Idee der LED-Lampe kam. Viel weniger Energieverbrauch bei ähnlicher Helligkeit – genial. Ebenso wie Thomas Edison es sich sicherlich nicht vorstellen konnte, wie ressourcenschonend ein dunkler Raum leuchten kann, so wissen wir nicht, was technologisch die Zukunft uns noch bereitet. Forschen, ausprobieren, investieren – das sind die Stichwörter.
Klingt zu schön, um wahr zu sein. Eine gewisse Skepsis ist nachvollziehbar. Denn: Statt den errechneten fünf bis sechs Windrädern, die pro Tag erbaut werden müssten für das gesetzte Windkraftziel, ziehen gerade im Schnitt nur 3,5 neugebaute Windräder pro Tag ihre kreisrunden Bahnen. Zu wenig. Auch dass wir mit unseren LEDs eine Menge Strom sparen, ist für die gut ausgeleuchtete Katz, wenn wir parallel mehr Lampen verbauen. Rebound-Effekt nennt sich das. Und es ist ein ernstes Problem bei jeder Innovation. Ob wir bei dem Tempo unser Klima retten?
Kathrin Schmidt sagt über sich selbst, dass sie keine Angst vor der Zukunft hat: „Das Bewusstsein über diese Zukunftsaussicht treibt mich jedoch an.“ Fassungslos, fast resigniert, fragt sie sich, warum medial zwar über die Klimakatastrophe gesprochen wird, aber dennoch nichts passiert. Das soll sich ändern. „Die Geschichte hat es gezeigt, ohne Nerven geht es nicht. Protest muss wehtun. Deshalb mache ich weiter.“
Simon Rogge
Simon Rogge (Jahrgang 1996) studiert im Bachelor VWL an der MLU in Halle (Saale). Zuvor schloss er eine Ausbildung zum Krankenpfleger ab und arbeitet auf einer Intensivstation. Seit 2017 begleitet er unterschiedliche Ämter innerhalb der SPD/Jusos, bspw. als Co-Vorsitzender der Jusos Halle.
Michaela Amarachi Ugochukwu
Michaela Amarachi Ugochukwu (Jahrgang 2002) hat einen Bachelor in Economics and Political Science an der University of Richmond in den Vereinigten Staaten sowie an der London School of Economics absolviert. Als Stipendiatin der FES engagiert sie sich im Bereich Entwicklungsökonomik und gründete Projekte wie The Imu Ahia Project in Lagos, Nigeria, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive
Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe „Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive“, die im Anschluss an den Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik 2023 entstanden ist. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ein Plädoyer für mehr strategische Industriepolitik auf nationaler und europäischer Ebene. Gastbeitrag aus der Reihe „Wirtschaft weiter denken aus…
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Beitrag der Reihe "Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive" von Vera Heckelmann und Wendy Kaluza
Beitrag der Reihe "Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive" von Gabriela Miranda, Fabian Kremer und Jonas Wenzig