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Kurzgefasst und eingeordnet von Carsten Schwäbe. Carsten Schwäbe hat Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert und arbeitet als Wissenschaftler im Bereich der Innovationsforschung an der Freien Universität Berlin.
Den westlichen Gesellschaften fehlt es, auch bedingt durch unser gegenwärtiges Verständnis von Arbeit, zunehmend an Bedingungen zum Erhalt von demokratischen Strukturen und demokratischem Engagement. Um unsere Demokratie zu stärken, dürfen wir nicht nur quantitativ über Arbeit diskutieren, insbesondere über Arbeitszeiten und Entlohnung, sondern wir müssen Arbeit qualitativ neu denken. Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt keine ausreichende Neukonzeption von Arbeit dar. Denn dieses würde den Trend zur Vereinzelung von Arbeit und Leben nur noch weiter verstärken, was der Demokratie zuwiderläuft. Vielmehr gilt es, substanzielle Reformen innerhalb des Arbeitsmarktes anzustoßen, aber auch Arbeitsformen jenseits des Arbeitsmarktes stärker anzuerkennen.
Aus der Politik kommen bemerkenswert wenige Impulse dazu, wie die Arbeitswelt neugestaltet werden könnte oder sollte. Honneth macht in seinem Buch darauf aufmerksam, dass dies nicht nur eine demokratietheoretische Frage ist, sondern gleichermaßen auch eine Lücke in der politischen Praxis darstellt. So definiert er ein wesentliches Politikfeld, das gerade im Kontext der digitalen Transformation mehr denn je sozialdemokratische Visionen braucht, die hierarchische Arbeitsstrukturen und die Idee des Arbeitsmarktes als Allokationsmechanismus dort infrage stellen, wo sie für unsere Demokratie dysfunktional geworden sind.
Axel Honneth ist Sozialphilosoph und Professor an der Columbia University in New York.
Zuvor war er von 2001 bis 2018 Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Der Titel von Honneths Buch – „Der arbeitende Souverän“ fasst das darin diskutierte Problem sehr treffend zusammen: Wenn der Souverän, also die Bürger_innen, im Kapitalismus so sehr mit Arbeit beschäftigt sind, gehen Zeit und Räume für demokratische Prozesse verloren. Dies ist kein bloß quantitatives, sondern primär ein qualitatives Problem: Die gegenwärtigen Arbeitsverhältnisse beanspruchen die Menschen nicht nur übermäßig, vor allem sind sie alles andere als demokratisch organisiert. Nur mit einer Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeit kann eine echte Demokratie entstehen.
Dieses Problem hat drei Aspekte: Erstens wird den Menschen mit der Lohnarbeit und der Spezialisierung auf monotone Tätigkeiten die Möglichkeit genommen, das Geschaffene als das Eigene anzuerkennen und sich damit zu identifizieren. Zweitens sind sie am Arbeitsmarkt mit geringerer Verhandlungsmacht ausgestattet und so im Hinblick auf die Entlohnung und die Arbeitsgestaltung den Interessen des Kapitals ausgeliefert sind. Neben der Entfremdung von Arbeit und dem Autonomieverlust besteht das dritte und wesentliche Problem allerdings darin, die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit zu verkennen: Die Arbeitsverhältnisse müssen so organisiert werden, dass eine möglichst umfassende Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder in die Demokratie gewährleistet wird. Beschäftigte werden nicht mit dem Gang zur Wahlurne zum politischen Souverän. Um breiten Teilen der Bevölkerung zu ermöglichen, sich selbstbewusst und angstfrei an der politischen Willensbildung zu beteiligen, bedarf es materieller, zeitlicher und psychischer Voraussetzungen. Verteilung und Entlohnung von Arbeit sind hierbei genauso wichtig wie die Qualität der Arbeitsinhalte, Mitbestimmung und Qualifikation.
Honneth identifiziert fünf Bedingungen für die Teilnahme an gesellschaftlicher Willensbildung: ökonomische, zeitliche, psychische, soziale und mentale. Die erste Bedingung, wirtschaftliche Unabhängigkeit, beinhaltet nicht nur ausreichendes Einkommen, sondern auch ausreichende individuelle und kollektive Verhandlungsmacht am Arbeitsplatz. Die zweite Voraussetzung betrifft die Notwendigkeit von ausreichend freier Zeit zur Beschaffung von Informationen und zur politischen Mitwirkung. Die dritte Bedingung sind die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl. In einer demokratischen Gesellschaft müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass verschiedenste Tätigkeiten anerkannt und politische Äußerungen aus unterschiedlichsten Kontexten gehört werden. Die vierte Voraussetzung der Teilnahme an gesellschaftlicher Willensbildung betrifft das Einüben demokratischer Praktiken der politischen Diskussion, Kompromissbildung und Mehrheitsmobilisierung. Auf Unterwürfigkeit und Konkurrenz ausgelegte Arbeitsverhältnisse stehen der Entwicklung bzw. Verwirklichung dieser Praktiken entgegen. Die fünfte und letzte Bedingung besteht in der Schaffung gemeinschaftlicher und kreativer Arbeitsverhältnisse. Eine übermäßige Vereinzelung und Spezialisierung von Tätigkeiten gefährdet die demokratischen Fähigkeiten der Beschäftigten.
Wenn diese Voraussetzungen durch Veränderungen von Arbeit gewährleistet werden sollen, stellt sich zunächst die Frage, wie breit der zugrundeliegende gesellschaftliche Arbeitsbegriff zu fassen ist. Denn nicht nur die Erholung findet außerhalb der Arbeitszeit statt, sondern auch all die gesellschaftliche Sorge- und Reproduktionsarbeit, die von der am Arbeitsmarkt verhandelten Erwerbsarbeit bisher nicht berücksichtigt, entlohnt oder in Form von Tarifverträgen organisiert wird. Ein Arbeitsbegriff, der die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit erfasst, muss also auch nicht am Markt entlohnte, aber zur Funktion und Reproduktion einer demokratischen Gesellschaft unerlässliche Arbeitsformen wie Hausarbeit, Kindererziehung, Sorgearbeit oder das Ehrenamt berücksichtigen. Gesellschaftliche Arbeit in diesem Sinne lässt sich anhand von zwei Kriterien von privaten Aktivitäten abgrenzen: Erstens muss die fragliche Tätigkeit allgemein als gesellschaftlich bedeutsam akzeptiert sein, und zweitens muss sie von normativen Regeln durch die Gesellschaft betroffen sein.
In der modernen Arbeitswelt gibt es insgesamt fünf Trends, die der Entwicklung von demokratischen Arbeitsverhältnissen entgegenstehen:
Erstens wird die Arbeit zunehmend unter isolierten Bedingungen geleistet. Diese Tendenz zur Vereinzelung wird durch den Trend zu Selbstoptimierung und individueller Leistungsmessung verstärkt. Kooperativem Verhalten und dem empathischen Sich-Hineinfühlen in andere an der Arbeit beteiligte Menschen wird in weiten Teilen der Arbeitswert ein immer geringerer Stellenwert beigemessen.
Zweitens wird die Tendenz zur Vereinzelung durch die zunehmend dezentrale Organisation von Arbeit verstärkt. Die Verantwortung wird in den Unternehmen weniger vertikal verteilt, sondern einzelnen Einheiten aufgelastet. Projektförmiges Arbeiten nimmt zu, bei dem immer wieder neue Qualifikationen erlernt werden müssen. Hierdurch kommt es zu einer Entberuflichung des Arbeitens und damit zu einem Bruch des Versprechens, durch die Ausbildung einen dauerhaft gesicherten Job zu bekommen.
Drittens kommt es zu einer Verschiebung von handwerklichen hin zu kognitiven Kompetenzen. Damit einhergehend tritt an die Stelle der durch Fließbandarbeit verursachten industriellen Ermüdung die durch analytische Arbeit am Computer verursachte Erschöpfung, und an die Stelle von körperlichen treten mentale und psychische Beschwerden.
Der vierte Trend betrifft insbesondere die Haus- und Sorgearbeit. Die Kommodifizierung derselben durch kaufbare Tätigkeiten vom Putzen über handwerkliche Aufgaben bis zum Einkaufen ändert im Wesentlichen nichts daran, dass Sorgearbeit und insbesondere Frauen am Arbeitsmarkt weiterhin stark benachteiligt sind. Hinzu kommt, dass die gängigen Ausbeutungsoptionen durch niedrige Löhne und entgrenzte Arbeitsverhältnisse auch hier ihre Anwendung finden.
Der fünfte Trend besteht in der Entsicherung und Prekarisierung gesellschaftlicher Arbeit. An die Stelle geregelter Beschäftigungssysteme in der Landwirtschaft, in der Industrie, aber auch im Dienstleistungssektor treten immer öfter Formen von atypischen Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen. Mitbestimmung wird zurückgedrängt, Subordination durch Prämien belohnt oder durch den Druck des Arbeitsmarktes geradezu erzwungen.
Angesichts dieser Trends und der Notwendigkeit, die Arbeitswelt demokratisch zu reformieren, stellt sich die Frage, wie dies konkret auszubuchstabieren wäre. Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt keine ausreichende Antwort auf diese und andere Fragen der Gestaltung der Arbeitswelt dar. Zwar würde dadurch mehr Zeit für Ehrenamt und politische Betätigung frei, aber es bestünde weiterhin das Problem, dass zur Einübung demokratischer Fähigkeiten entsprechende Arbeitsverhältnisse bestehen müssen. Ferner stellt sich die Frage, ob die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens durch die damit einhergehende Stärkung individueller Verhandlungsmacht das Bewusstsein für gesellschaftliche Debatten über Arbeit, auch in Form des Engagements in Gewerkschaften und Betriebsräten, nicht sogar weiter verringern würde.
Die Neukonzeption der Arbeitsverhältnisse ist dabei nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Arbeitsmarktes erforderlich, beispielsweise in Form staatlicher Dienstverpflichtungen oder Genossenschaften. Durch die Verpflichtung zu einem sozialen Dienst könnten genau die kooperativen Arbeitsweisen eingeübt werden, die für eine Demokratie notwendig sind. Zudem könnten die Menschen so aus ihren möglicherweise engen sozialen Milieus ausbrechen und ihre Perspektive erweitern. Als Alternative zur Dienstverpflichtung könnte auch ein freiwilliger, allerdings staatlich unterstützter Sozialdienst in Betracht gezogen werden. Bei geringerer, aber marktunabhängiger Entlohnung könnte dieser für Freiwillige und auch für Langzeitarbeitslose attraktiv sein.
Während beide Dienstvarianten den bestehenden Arbeitsmarkt lediglich ergänzen, stellen genossenschaftliche Arbeitsorganisationen echte Alternativen zum kapitalistischen Arbeitsmarkt dar. Selbstverwaltete Betriebe, deren Mitglieder durch Eigentums- und Mitbestimmungsbefugnisse gestärkt werden, bleiben zwar an die Konkurrenz um ökonomische Gewinne am Markt gebunden. Sie stellen aber eine hervorragende Möglichkeit zur Umsetzung einer demokratieverträglichen Arbeitswelt dar. Denn Selbstwertgefühl, sozialer Zusammenhalt und politische Handlungsfähigkeit nehmen durch das Mehr an Mitspracherechten deutlich zu. Ebenso könnte die Hausarbeit stärker genossenschaftlich organisiert werden, zum Beispiel durch Großküchen oder Waschhäuser.
Innerhalb des Arbeitsmarktes sollte durchdacht werden, welche Voraussetzungen Arbeitsverhältnisse erfüllen müssen, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Erforderlich sind höhere Löhne und gesichertere Arbeitsverhältnisse mit stärkerem Kündigungsschutz und weniger Befristungen. Doch auch die Berufswahl sollte stärker demokratisiert werden. Zum einen sind hierbei Mechanismen im Sozialstaat zu überwinden, aufgrund derer Menschen sich dazu genötigt sehen, Tätigkeiten entgegen ihren Präferenzen nachzugehen. Menschen sollten stattdessen nach ihren Stärken und Fähigkeiten gefördert werden, damit sie eine erfüllende Arbeit finden. Arbeitszeitverkürzungen sollten so erfolgen, dass sie nicht zu noch höherem Druck in der Restarbeitszeit führen, und sie sollten zuerst dort angegangen werden, wo Ermüdungseffekte besonders groß sind. Mehr Anerkennung zur Stärkung des psychischen Selbstwertes sollte durch eine andere Arbeitsorganisation, weg von einer übermäßigen Spezialisierung und Vereinzelung, erfolgen. Auch die Hausarbeit verdient ein höheres Maß an Anerkennung. Für ein höheres Maß an Mitbestimmung statt individualistischer Selbstbestimmung sowie eine Neukonfiguration von Berufs- und Tätigkeitsfeldern für insgesamt ausgewogenere Arbeitsverhältnisse bedarf es einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte. Diese sollte nicht nur politisch zur Gestaltung von Ausbildungsgängen und Berufen, sondern auch in den Betrieben über die Arbeitsverhältnisse selbst stattfinden.
Honneths Kernthese, dass eine umfassende Debatte über Arbeit zum Erhalt unserer Demokratie dringend erforderlich ist, überzeugt. Interessant wäre es gewesen, nicht nur den Arbeitsbegriff um den Aspekt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit jenseits des Arbeitsmarktes zu erweitern, sondern auch die Frage zu stellen, inwiefern am Markt entlohnte Arbeit wirklich immer als gesellschaftlich relevant gelten sollte. Hierbei sei an die von David Graeber angestoßene Debatte zu den Bullshit-Jobs erinnert. Zudem wünscht man sich, gerade angesichts von Honneths Betonung der Bedeutung von Arbeit für die Demokratie, auch eine Analyse der demokratischen Arbeit, wie sie zum Beispiel in Parteien oder gesellschaftlichen Organisationen geleistet wird. Obwohl Honneth Gewerkschaften und Betriebsräte als besonders wichtig einschätzt, übersieht er die Frage, wie Arbeit in den Parteien organisiert werden sollte, um dieses zentrale Ehrenamt in der Demokratie zu stärken. Trotz der offenen Fragen, der akademischen Sprache und der sehr ausführlichen 400 Seiten ist Honneths Buch allen Vertreter_innen der Sozialen Demokratie zu empfehlen.
Verlag: SuhrkampErschienen: 13.03.2023Seiten: 400ISBN:978-3-518-58797-3