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Kurzgefasst und eingeordnet von Sören Hellmonds. Sören Hellmonds hat Politikwissenschaften studiert und arbeitet als freiberuflicher Wissenschaftler. Seine Schwerpunkte sind Transformationspolitik, soziale Gerechtigkeit und die politische Ökonomie des europäischen Verteidigungssektors.
Der Kapitalismus ist nicht zukunftsfähig. Nicht nur weil er zu sozialer Ungleichheit und globaler Ausbeutung führt, sondern weil er mit seiner Wachstumslogik die Klimakrise verursacht. Um zu überleben, müssen wir Kapitalismus und Wirtschaftswachstum aufgeben. Auch grünes Wachstum ist eine Illusion. Eine echte Alternative hingegen bietet der Degrowth-Kommunismus. In diesem erfolgt eine Neuausrichtung der Produktion: weg von dem, was dem Kapital Profit bringt, und hin zu dem, was den Menschen nutzt. Die Wirtschaft muss entschleunigt, die Umwelt entlastet und der öffentliche Wohlstand wiederhergestellt werden. Hierfür bedarf es der Verkürzung der Arbeitszeit, einer Demokratisierung der Wirtschaft sowie einer gemeinschaftlichen Verwaltung öffentlicher Güter.
Die im Zusammenhang mit der Klimakrise geführte Diskussion um Wirtschaftswachstum ist in vollem Gange. Während viele Regierungen auf grünes Wachstum setzen, gibt es in Teilen der wissenschaftlichen Community erhebliche Zweifel, ob dieser Plan aufgehen kann. Saitos Kernthese, die Aufgabe von Kapitalismus und Wachstum bedeute keineswegs Verzicht, sondern garantiere ein besseres Leben für alle, bietet aus Sicht der Sozialen Demokratie eine verlockende Alternative.Denn nicht wenige seiner Ideen – insbesondere weniger Arbeits- und dafür mehr Freizeit, mehr Mitbestimmung im Betrieb, eine Daseinsvorsorge für alle sowie die Ablehnung eines blinden Vertrauens auf den Markt – sind anschlussfähig an Kernelemente der Sozialen Demokratie.
Kohei Saito ist Associate Professor für Philosophie an der Universität von Tokio. Er arbeitet aus marxistischer Perspektive zu den Themen Ökologie, Anthropozän, Wachstumskritik und Politische Ökonomie, ist Mitherausgeber der Marx-Engels-Gesamtausgabe und wurde 2018 mit dem Isaac-Deutscher-Preis ausgezeichnet.
Saito unterzieht den Kapitalismus einer radikalen Kritik. Für ihn ist klar, dass der Kapitalismus nicht die Lösung, sondern die Ursache der Klimakrise ist. Also muss er überwunden werden. Im Zentrum von Saitos Analyse steht eine ökologische Neuinterpretation des späten Marx, auf Grundlage derer für ein alternatives Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, den Degrowth-Kommunismus, argumentiert wird.
Der Kapitalismus hat im globalen Norden immensen Reichtum geschaffen. In der Massenkonsum- und -produktionskultur sind breite Teile der Bevölkerung zu materiellem Wohlstand gelangt. Dieser beruht jedoch auf der Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden. Menschen müssen, teilweise unter schlimmsten Bedingungen, für einen Hungerlohn arbeiten und Rohstoffe wie seltene Erden, Erdöl, Metalle etc. werden gnadenlos ausgebeutet. Dabei wird aber nicht nur die Produktion von Konsumgütern ausgelagert; auch die schädlichen Folgen, insbesondere Naturkatastrophen, treffen in erster Linie den globalen Süden.
Durch die Externalisierung werden die Grundlagen unseres Lebensstils, den Saito als imperiale Lebensweise bezeichnet, unsichtbar gemacht. Die Ausbeutung und die Umweltzerstörung, auf der er beruht, finden in der Peripherie statt, nicht im Zentrum. Auch die Peripherie hat jedoch Grenzen. Der Planet kann nicht unendlich ausgebeutet werden. Es gibt nur eine bestimmte Menge an CO2, die wir ausstoßen können, bevor die Klimaerwärmung katastrophale Ausmaße annimmt.
Die Grundthese des grünen Wachstums ist, dass die globale Wirtschaft durchaus im Einklang mit den planetaren Grenzen wachsen kann, nämlich dann, wenn das Wachstum des BIPs vom Wachstum der CO2-Emissionen entkoppelt wird. Während das BIP wächst, sollen die Emissionen also sinken. Dies nennt man absolute Entkopplung. Saito hält diese Vorstellung für eine Illusion. In Wirklichkeit kommt es laut ihm nicht zu einer absoluten, sondern nur zu einer relativen Reduktion der CO2-Emissionen, da die Länder des globalen Nordens effektiv nicht nur die Produktion, sondern auch die Emissionen in den globalen Süden auslagern. Hinzu kommt, dass die für die Entkopplung unerlässlichen Effizienzsteigerungen häufig durch Rebound-Effekte zunichte gemacht werden. So ist der durchschnittliche Spritverbrauch von Autos in den letzten Jahrzehnten zwar drastisch gesunken. Auch können Autos nun kostengünstiger hergestellt werden. Das hat aber weder zu einem Rückgang der CO2-Emissionen des Verkehrs noch zu weniger Materialverbrauch geführt. Denn es können sich sowohl im globalen Norden als auch im globalen Süden inzwischen so viele Menschen ein Auto leisten, dass die relativen Einsparungen absolut betrachtet aufgefressen werden. Zudem darf man nicht vergessen, dass im globalen Süden bei weiterem Wirtschaftswachstum nicht nur die Menge der ausgelagerten, sondern auch der eigenen CO2-Emissionen unweigerlich zunehmen wird. Selbst wenn also weniger CO2 pro BIP-Wachstumspunkt emittiert würde, steigen die CO2-Emissionen absolut und auf globaler Ebene betrachtet weiter an. Auch im Szenario eines vermeintlich grünen Wachstums gäbe es also nicht weniger, sondern mehr CO2-Emissionen als heute. So schön es auch wäre, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum kann es nicht geben.
Man könnte einwenden, aus der Unmöglichkeit eines nachhaltigen Wirtschaftswachstum folge nicht zwingend, dass man den Kapitalismus an sich aufgeben muss. Wie in Degrowth- bzw. Postwachstums-Ansätzen wie der Doughnut Economoy von Kate Raworth überzeugend aufgezeigt wird, übersieht dieser Einwand jedoch, dass der Kapitalismus nicht nur ökologisch, sondern auch normativ untragbar ist. Wichtig ist nämlich nicht nur materieller Wohlstand, sondern auch Gleichheit: Die begrenzten Ressourcen auf der Welt müssen global gerecht, d. h. möglichst gleich verteilt werden. Alle Menschen sollten gleichen Zugang zu gesellschaftlichen Grundlagen haben, ohne dass dadurch ökologische Obergrenzen gerissen werden. Im Kapitalismus ist eine solche gerechte Verteilung aber nicht möglich.Denn der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung der Peripherie. Gerechtigkeit und Gleichheit sind nicht Teil seiner Agenda; tatsächlich steht er ihnen diametral gegenüber.
Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet eine Neuinterpretation von Karl Marx. Dessen Kapitalismustheorie veränderte sich im Laufe seines Schaffens auf bemerkenswerte Weise: In Marx‘ jungen Jahren war sein Denken von Eurozentrismus und Produktivismus geprägt. Er glaubte, dass alle Gesellschaften zunächst eine Phase des Kapitalismus nach westlichem Vorbild durchlaufen müssten, in der die Produktivkräfte ausgebildet werden. Erst dies schaffe die Voraussetzungen, um anschließend zum Kommunismus übergehen zu können.
Der späte Marx rückte von diesem progressiven Geschichtsbild, dem historischen Materialismus, ab.Er erkannte die zerstörerische Wirkung des Kapitalismus auf die Umwelt und folgerte aus seiner Beschäftigung mit dörflichen Gemeinschaften in Russland und dem mittelalterlichen Deutschland, dass ein Übergang zum Kommunismus auch ohne Durchschreiten der Zwischenstufe des Kapitalismus möglich ist. Nötig ist hierfür die Wiederherstellung öffentlichen Reichtums, sogenannter Commons. Dabei handelt es sich um „gemeinschaftlich produzierte, organisierte und genutzte Güter, wie etwa Wasser, Strom, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Bildung“, an deren Produktion und Verteilung alle Bürger_innen horizontal und demokratisch beteiligt sind. Die Herstellung der Commons ist das Herzstück von Marx‘ ökologischem Denken.
Zur Stabilität der Commons bedarf es eines stationären Wirtschaftsmodells. Saito gibt Marx‘ Idee diesbezüglich so wieder: „Eine Revolution im Westen müsse die Errungenschaften der modernen Gesellschaft beibehalten und gleichzeitig mit einem dem ‚archaischen Typus‘ nachempfundenen stationären Wirtschaftsmodell den Sprung hin zum Kommunismus schaffen.“ Nach Saitos Marx-Interpretation ist Degrowth also elementar für den Kommunismus.
Viele assoziieren eine Wirtschaft ohne Wachstum mit Mangel. Dies ist jedoch grundlegend falsch. Nicht der Kommunismus bedeutet Mangel, sondern der Kapitalismus. Denn der Kapitalismus ist inhärent darauf ausgelegt, die Verfügbarkeit gemeinschaftlich genutzter Güter einzuschränken und künstlich zu verknappen. Individueller Reichtum im Kapitalismus beruht auf der Auflösung der Commons und der Schaffung von Knappheit. Denn nur wenn Güter knapp sind, können sie verkauft werden, um Profit mit ihnen zu machen. Entsprechend haben nur noch wenige reiche Menschen Zugang zu bestimmten Gütern wie Wohnraum in Innenstädten großer Metropolen oder Grünflächen in unmittelbarer Wohnungsnähe.
Der Kommunismus hingegen stellt durch die Commons, auf die alle Menschen Zugriff haben, Überfluss im Sinne eines öffentlichen Wohlstands her. Der Degrowth-Kommunismus ist mithin keine Vision eines Einparteienstaates nach dem Vorbild der Sowjetunion, sondern ein egalitäres, partizipatives Projekt, in dem die „Produktionsmittel von den Menschen selbstbestimmt, mit flachen Hierarchien und gemeinsam verwaltet werden,“ beispielsweise in Genossenschaften.
Im Degrowth-Kommunismus wird eine kleinere, entschleunigte Wirtschaft geschaffen, die sich auf die Abdeckung der wirklichen Bedürfnisse der Menschen konzentriert und sich im Einklang mit der Ökologie befindet. Hinsichtlich der Frage nach der konkreten Umsetzung steht eine „Umwälzung von Arbeit und Produktion“ entlang von fünf Leitlinien im Zentrum:
Für den Übergang des aktuellen Systems zum Degrowth-Kommunismus muss unsere Demokratie um partizipative Elemente erweitert werden, die den Bürger_innen neue Beteiligungsmöglichkeiten einräumen.
Saito macht in seinem Degrowth-Manifest die Systemfrage zum Kern seiner Analyse. Anstatt Verzicht zu predigen, setzt er auf Überfluss. Auf diese Weise vermeidet er die Schwächen vieler anderer Postwachstums-Ansätze. Dies ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal. Auch andere Ansätze in der Degrowth-Forschung teilen Saitos Auffassung, der Fokus müsse auf Produktion, sozialer Gerechtigkeit und der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus liegen.
Wirklich originell hingegen ist Saitos Neuinterpretation der Marxschen Kapitalismuskritik. Leider wirkt diese aber nicht immer schlüssig: Einige der angeführten Zitate lassen sich sicher auch anders interpretieren. Zudem vereinfacht Saito seine Argumente in dem Bestreben, ein breites Publikum ohne akademische Vorbildung anzusprechen, teilweise so sehr, dass sie nicht immer zwingend wirken.
Saitos Analyse des Kapitalismus und der Frage, wie dieser die Klimakrise verursacht, ist überzeugend. Ob man daraus die gleichen Schlüsse bezüglich der Ausgestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft ziehen muss wie Saito, ist freilich eine andere Frage. Ein wichtiger Debattenbeitrag ist sein Werk aber allemal.
Verlag: dtvErschienen: 17.08.2023Seiten: 320ISBN: 978-3-423-28369-4