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Kurzgefasst und eingeordnet von Ben Balsmeier. Ben Balsmeier hat Internationale Beziehungen an der TU Dresden studiert. Er ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und als Vorstandsmitglied sowie Gründer des Vereins Zeugen der Flucht Dresden e.V. in der antirassistischen Bildungsarbeit tätig.
Amerikas Demokratie steht am Abgrund. Die regierenden Parteien sind oft nicht in der Lage, öffentliche Anliegen der Mehrheit der Wähler_innen in Politik umzusetzen. Unter dem Titel Tyrannei der Minderheit zeigen Levitsky und Ziblatt auf, dass diese Probleme historisch gewachsen und institutionell bedingt sind und dass sie momentan der radikalisierten Republikanischen Partei nützen. Mit drei Vorschlägen bieten sie den Vereinigten Staaten eine Perspektive, um zu einer funktionierenden multiethnischen Demokratie zu werden: Erstens sollte ein Verfassungszusatz allen Staatsbürger_innen das Wahlrecht garantieren. Zweitens sollte Wahlsieger werden, wer die meisten Stimmen erhält. Der Wahlausgang sollte also dem Mehrheitswillen entsprechen. Drittens sollten regierende Mehrheiten so gestärkt werden, dass sie auch wirklich regieren können.
Die beiden Harvard-Professoren Levitsky und Ziblatt liefern relevante Informationen über die aktuellen Entwicklungen der multiethnischen Demokratie und die Bedrohung der Demokratie als solcher. Aus Sicht der Sozialen Demokratie ist es von höchstem Interesse zu erfahren, wie die Mitbestimmung der Bürger_innen gestärkt und der Niedergang der Demokratie verhindert werden können. Auch wenn viele der im Buch genannten Reformvorschläge sich auf die USA beziehen, stellen sie einen großen Mehrwert dar. Befürworter_innen der sozialen Demokratie überall auf der Welt können diese Impulse aufgreifen, um die Demokratie zukunftssicher und krisenfest zu machen.
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt sind preisgekrönte Professoren für Regierungslehre an der Harvard-Universität. Ihr gemeinsamer Bestseller „Wie Demokratien sterben“ erregte weltweit Aufmerksamkeit und wurde in Deutschland zum besten Sachbuch des Jahres 2018 gewählt.
Im Jahr 2016 standen die Vereinigten Staaten von Amerika an der Schwelle zur multiethnischen Demokratie. Sie hätten eine diverse Demokratie mit gleichem Wahlrecht und bürgerlichen Freiheiten für alle werden können. Stattdessen erlebte die amerikanische Demokratie jedoch einen autoritären Rückschlag von immensem Ausmaß. Donald Trump, und mit ihm extremistische Kräfte, gelangten an die Macht. Am 6. Januar 2021 mündete dies in einen gewalttätigen versuchten Staatsstreich, welcher der ganzen Welt aufzeigte, wie schlecht es um den Zustand der ehemaligen Vorzeigedemokratie steht. Wie konnten die Vereinigten Staaten an diesen Punkt gelangen? Und wie können sie diesen Zustand überwinden?
Die Akzeptanz von Niederlagen und die friedliche Übergabe der Macht bilden die Basis der Demokratie. Viele Republikaner_innen haben Trumps Wahlniederlage 2020 indes nicht akzeptiert und sind davon überzeugt, dass die Wahl gestohlen wurde. Wie kann man erreichen, dass die Akzeptanz einer Niederlage (wieder) zur Norm wird? Es gibt zwei Bedingungen, die dafür erfüllt sein müssen: Erstens sind Parteien geneigter, ihre Niederlage zu akzeptieren, wenn sie davon ausgehen können, eine echte Chance zu haben, in der Zukunft wieder eine Wahl zu gewinnen. Zweitens akzeptieren Parteien eine Niederlage eher, wenn sie davon ausgehen können, dass ihr Machtverlust und ein Regierungswechsel keine Katastrophe oder existenzielle Bedrohung zur Folge hat, also nicht das Leben, den Lebensunterhalt oder die Grundprinzipien der scheidenden Regierungspartei und ihrer Anhänger_innen gefährdet. Kurzum: Die Angst davor, politische Macht oder eine dominante gesellschaftliche Stellung zu verlieren, ist häufig der Grund für eine Wende von der Demokratie zum Autoritarismus.
Die Wende zum Autoritarismus ist für jede demokratische Gesellschaft eine stete Gefahr. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, wie konservative Kräfte sich gegenüber antidemokratischen Bewegungen verhalten. Politiker_innen sind loyale Demokrat_innen, wenn sie das Ergebnis fairer Wahlen akzeptieren, „Gewalt- und deren Androhung als Mittel zum Erreichen politischer Ziele unzweideutig ablehnen“ und nicht mit antidemokratischen Kräften in und außerhalb ihrer politischen Strömung gemeinsame Sache machen. Wenn etablierte Politiker_innen und Mainstreamparteien hingegen antidemokratische Extremisten tolerieren oder sogar offen unterstützen, geben sie damit klar zu verstehen, dass der Preis für antidemokratisches Verhalten geringer geworden ist. Sind diese Autokraten erst einmal an der Macht, schwächen sie die Demokratie maßgeblich. Ein Beispiel hierfür sind Viktor Orbáns Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien in Ungarn. Politiker_innen dieses Typs unterminieren die Demokratie dabei oft nicht durch Gewalt oder Staatsstreiche, sondern mithilfe von legalen Mitteln und Mechanismen. Die Verfassungen demokratischer Staaten stehen dabei besonders im Fokus.
Die Rede von der Banalität des Autoritarismus bedeutet, dass viele Politiker_innen, die den Untergang der Demokratie bewirken, nicht unbedingt antidemokratisch eingestellt oder überzeugte Gegner der Demokratie sind, sondern dass sie ihr eher gleichgültig gegenüberstehen und lediglich „ehrgeizige Karrieristen“ sind.
Die Unterminierung und das Aushöhlen der amerikanischen und anderer Demokratien ist kein neues Phänomen. Die heutigen Einschränkungen für nichtweiße Wähler_innen sowie die Änderungen von Gesetzen und Verfassungen überall auf der Welt erinnern an die Zeit nach der Reconstruction-Ära im ausgehenden 19. Jahrhundert in den USA. Damals war die Demokratische Partei die „selbsterklärte Verteidigerin der weißen Vorherrschaft“. Sie begann zuerst mit Gewalt und dann mit legalen Mitteln, die Demokratie in den Südstaaten einzuschränken. Nichtweißen Menschen wurde das Wahlrecht weitestgehend entzogen und im ganzen Süden eine Einparteienherrschaft installiert.
Im 20. Jahrhundert begann die Demokratische Partei dann damit, sich zu verändern. Sie verabschiedete das Bürgerrechtsgesetz von 1964 und das Wahlrechtsgesetz von 1965, die das rechtliche Fundament für gleiche Rechte für alle Amerikaner_innen und die multiethnische Demokratie legten. Ohne die entscheidende Zustimmung und Mitwirkung der Republikanischen Partei hätten diese Gesetze jedoch nicht verabschiedet werden können. Heutzutage ist „ebendiese Republikanische Partei nicht mehr wiederzuerkennen.“
Die Republikanische Partei vollzog eine – wie die Autoren sie nennen – „große weiße Wende“, die mit rassistischen Ressentiments einherging. Durch Einwanderungswellen aus Asien und Lateinamerika wurde die amerikanische Gesellschaft jedoch wesentlich diverser, was zum Aufstieg einer multiethnischen Demokratie führte. Dies verminderte die Wahlchancen der überwiegend weißen Republikanischen Partei, worauf diese in vielen Bundesstaaten mit Gesetzen reagierte, die nichtweißen Amerikaner_innen das Wählen erschwerten oder sie gänzlich von Wahlen ausschlossen.
Donald Trump und die weiße christliche Basis radikalisierten die Republikanische Partei weiter. Trump war der erste Präsident in der amerikanischen Geschichte, der sich weigerte, seine Niederlage zu akzeptieren. Viele Republikaner_innen folgten ihm und entfernten sich und ihre Partei so von der Demokratie.
Der republikanische Extremismus findet zwar nur bei einer Minderheit der Amerikaner_innen Anklang, jedoch ist der demokratische Grundsatz des Mehrheitsprinzips in den USA stark eingeschränkt. Beispielsweise kann die Verabschiedung wichtiger Gesetze, obwohl dafür eine Mehrheit im Senat vorhanden ist, durch ein Filibuster blockiert werden. Bei dieser Taktik wird eine Senatsregel ausgenutzt, nach der „eine qualifizierte Mehrheit von 60 Stimmen nötig ist, um eine Debatte zu beenden und zur Abstimmung zu schreiten“. Durch Dauerreden wird die Beschlussfassung verzögert oder verhindert. Auf diese Weise können Minderheitsparteien von der Mehrheit unterstütze Gesetzesvorhaben dauerhaft blockieren.
Weitere bedeutende nichtmajoritäre Institutionen des amerikanischen Verfassungssystems sind der Oberste Gerichtshof mit auf Lebenszeit ernannten Richter_innen und föderalistische lokale Regierungen, die nicht dem Einfluss der nationalen Mehrheitsparteien unterliegen. Hinzu kommt, dass der amerikanische Senat stark unverhältnismäßig zusammengesetzt ist, da jeder Bundesstaat trotz teils stark variierender Bevölkerungsgrößen das gleiche Gewicht hat. Die Existenz des Wahlmännerkollegiums der USA führt weiter dazu, dass kleine Staaten Vorteile haben und Verlierer_innen der allgemeinen Wahl trotzdem die Präsidentschaft gewinnen können.
Diese Regulierungen wurden ursprünglich zum Schutz verletzlicher Minderheiten und Bürgerrechte eingeführt. Eine Tyrannei der Mehrheit sollte verhindert werden. De facto nutzten sie aber eher privilegierten Minderheiten wie Sklavenhaltern oder Großgrundbesitzern und wurden von Autokraten genutzt, um an der Macht zu bleiben.
Die Opposition sollte gestärkt werden, um diese Tyrannei der Minderheit zu verhindern. Die USA befinden sich jedoch gerade an einem Punkt, an dem die Wirkung der nichtmajoritären Institutionen überhandnimmt und die Demokratie gefährdet: „Nicht die ungezügelten Mehrheiten bedrohen uns heute. Das Problem sind die gezügelten Minderheiten.“
Es besteht die Gefahr, dass diese bedeutendsten in der Verfassung festgeschriebenen Institutionen der USA zu „Pfeilern der Minderheitsherrschaft“ werden. Ein besonderes Problem hierbei ist das Motto „Der Sieger bekommt alles“: In den USA bekommt der Bewerber bzw. die Bewerberin mit den meisten Stimmen den Parlamentssitz in seinem bzw. ihrem Wahlbezirk, während der Verlierer bzw. die Verliererin leer ausgeht. Dieser Mechanismus benachteiligt die Demokratische Partei massiv, weil die meisten ihrer Wähler_innen in urbanen Ballungszentren leben, während die Republikaner meist in ländlichen Gebieten gewinnen. Aufgrund dieses Umstands sind die Republikaner historisch im US-Senat, dem Wahlmännerkollegium und beim Obersten Gerichtshof überrepräsentiert.
Viele Staatsparlamente teilen die Wahlbezirke darüber hinaus so ein, dass die an der Macht befindliche Partei einen Vorteil daraus schöpft. Dies wird als Gerrymandering bezeichnet.
Im 21. Jahrhundert hat die Republikanische Partei mit ihrer landesweiten Strategie für Wahlkampfmanipulation aus diesem Mechanismus einen massiven Vorteil gezogen, da die hohe Konzentration demokratischer Wähler_innen in den Städten diese Wahlkreismanipulation erleichtert. Die mittlerweile radikalisierten Republikaner haben dadurch einen gewissen Startvorsprung und gewinnen Wahlen zu Staatsparlamenten, besonders in sog. Swing Staates, obwohl sie absolut gesehen weniger Stimmen haben. Dies führt zu einer Verzerrung der Wahlergebnisse und zu einer mangelnden Umsetzung der öffentlichen Meinung in Politik.
Die Vereinigten Staaten, einst ein Vorreiter der Demokratie mit Vorbildcharakter, sind mittlerweile im internationalen Vergleich zu einem demokratischen Nachzügler und zu einer einzigartig gegenmajoritären Demokratie geworden: Die USA sind „die einzige Präsidialdemokratie der Welt, in welcher der Präsident nicht direkt, sondern durch ein Wahlmännerkollegium gewählt wird.“ Zudem gehören die USA zu den wenigen Demokratien mit einem Zweikammerparlament inklusive eines mächtigen Oberhauses mit einer unverhältnismäßigen Sitzverteilung. Die „übermäßig nichtmajoritäre Verfassung“, die sehr schwer zu ändern ist, schützt daran anschließend autoritäre Minderheiten und gefährdet so ebenfalls die Demokratie.
Die Vereinigten Staaten scheinen ihren eigenen Institutionen in die Falle gegangen zu sein. Drei Transformationsvorschläge bieten eine Perspektive für einen Ausweg:
Erstens sollte ein Verfassungszusatz allen Staatsbürger_innen das Wahlrecht garantieren. Die Wahlregistrierung ist in den USA den Einzelnen überlassen und staatliche Behinderung an der Wahlteilnahme hat eine lange Historie. Wählen zu gehen sollte in den USA genauso einfach sein wie in europäischen und anderen Demokratien. Die Wahlregistrierung sollte automatisiert werden, Straftäter_innen sollte das Wahlrecht kostenfrei zurückgegeben werden, der Wahlrechtsschutz sollte wiederhergestellt werden und Wahlen sollten auf einen Sonntag oder Feiertag gelegt werden.
Zweitens sollte die Partei Wahlsieger sein, die absolut gesehen die meisten Stimmen erhält. Der Senat sollte so reformiert werden, dass „die Zahl der pro Bundesstaat gewählten Senatoren in etwa dessen Bevölkerungsanteil entspricht“, wie es zum Beispiel in Deutschland der Fall ist. Das Wahlmännerkollegium sollte abgeschafft, der Präsident bzw. die Präsidentin direkt gewählt und die parteiliche Wahlbezirksmanipulation durch die Bildung einer unabhängigen Wahlbezirkskommission beendet werden.
Drittens sollten regierende Mehrheiten gestärkt werden, damit sie richtig regieren können. Dazu sollte das Filibuster bzw. das Minderheitsveto abgeschafft werden, welches einzigartig für die USA ist. Auch sollten Amtszeitbegrenzungen für Richter_innen am Obersten Gerichtshof eingeführt und deren Berufungsverfahren geändert werden, damit Präsident_innen während ihrer Amtszeit nicht unbeschränkt Richter_innen benennen können.
Durch diese Reformen würden die USA demokratischer werden und den Übergang zu einer multiethnischen Demokratie einleiten. Wie im Bürgerrechtskampf wird dieser Umbau jedoch nicht ohne eine starke und aktive Zivilgesellschaft zu schaffen sein.
Levitsky und Ziblatt legen präzise und auf der Basis von historischem Fachwissen dar, welche Faktoren zur Aushöhlung der amerikanischen Demokratie geführt haben. Besonders wertvoll und nützlich sind die gut umsetzbaren Reformvorschläge, mit denen die zuvor ausgeführten Probleme detailliert adressiert werden. Ein Kritikpunkt, der sich aus der Perspektive einer deutschen Leserschaft ergeben könnte, ist der Fokus auf die Vereinigten Staaten. Einige der im Buch beschriebenen Beobachtungen und Transformationen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die deutsche Demokratie übertragen, die im Gegenteil oft als Positivbeispiel angeführt wird. In diesem Buch können Anhänger_innen der Sozialen Demokratie in Deutschland und der ganzen Welt lernen, wie man die Demokratie vor Autokraten, Extremisten und Karrieristen schützt. Darüber hinaus geben Levitsky und Ziblatt Impulse für eine diverse Demokratie, die mehr Menschen inkludiert. Auch dies nützt der Debatte um eine moderne Sozialdemokratie.
Verlag: DVAErschienen: 15.05.2024Seiten: 352ISBN: 978-3-421-07003-6