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Stefanie Lohaus: Stärker als Wut

Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht. Berlin: Suhrkamp Verlag (2023)

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Kurzgefasst und eingeordnet von Anne-Kathrin Weber
Anne-Kathrin Weber ist promovierte Politikwissenschaftlerin, freie Journalistin und Rezensentin.


buch|essenz

Kernaussagen

„Den“ Feminismus gibt es nicht – dafür aber eine aktive feministische Bewegung, die sich kontinuierlich ausdifferenziert und gleichzeitig institutionalisiert. Ihre Zukunft beruht maßgeblich auf den Erfolgen der Vergangenheit, aus der Feminist_innen Inspiration und Kraft schöpfen sollten. Was es dafür braucht, ist eine gesamtgesellschaftliche „feministische Erinnerungskultur“. Nicht nur die Hochzeiten der Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren bieten dafür genügend Stoff, sondern auch die nachfolgenden Jahrzehnte, die von substanziellen politischen Fortschritten, aber auch von herben gesellschaftlichen Rückschlägen geprägt waren.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Wut treibt die feministische Bewegung an – Wut auf die Verhältnisse, die sich nur quälend langsam ändern. Allerdings verstellt diese Emotion den Blick auf die Erfolge der Bewegung, der offenbart, wie stark feministische Forderungen sowohl in gesellschaftspolitischen Institutionen als auch im öffentlichen Bewusstsein mittlerweile verankert sind. Diesen Trend gilt es zu nutzen, um feministische Politik weiter auszubauen und bereits institutionalisierte Rechte gegen erstarkende antifeministische Angriffe abzusichern.


buch|autorin

Stefanie Lohaus ist Mitbegründerin und Mitherausgeberin des feministischen Missy Magazine und schreibt regelmäßig für die Kolumne „10nach8“ auf ZEIT ONLINE. Sie ist außerdem Mitglied des Leitungsteams der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF Berlin).


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buch|inhalt

„Feminismus“ – dieses Wort ist mittlerweile fest in unserem Alltag verankert. Fast jedes Unternehmen verkauft Produkte unter diesem Label, und viele junge Menschen betrachten sich ganz selbstverständlich als „feministisch“. Für ein solches gesellschaftliches Selbstverständnis haben Feminist_innen viele Jahrzehnte lang gekämpft – und der Kampf geht weiter, denn die faktische Gleichstellung ist längst noch nicht verwirklicht. Das liegt unter anderem daran, dass die feministische Arbeit nach wie vor prekär finanziert ist. Hier gilt es zu investieren, um hart erkämpfte feministische Errungenschaften gegen antifeministische Agitation abzusichern, die stetig stärker und radikaler wird.

Die feministische Bewegung steht dieser Bedrohung allerdings nicht immer geschlossen gegenüber – dazu ist sie inhaltlich zu divers, adressiert verschiedenste Personen und Themen. Diese Vielfalt ist einerseits nötig und nützlich, um eigene Leerstellen zu problematisieren. Andererseits verstärken solche innerfeministischen Differenzen aber auch einen gewissen defizitorientierten Blick, der sich aus den eklatanten Missständen in Gesellschaft und Politik speist. Viele Feminist_innen sind berechtigterweise sehr wütend – das allerdings hat einen entscheidenden Nachteil:

„Es ist die Wut, die als Katalysator der Veränderung immer wieder den Blick auf die Erfolge verstellt.“

Feminist_innen sind sich aber auch deshalb so wenig ihrer eigenen Erfolge bewusst, weil es an einer gesamtgesellschaftlichen feministischen Erinnerungskultur mangelt, die bereits in Schulen gelehrt werden sollte. Die Etablierung einer solchen Kultur wäre enorm wichtig, um aus den vergangenen Erfolgen Kraft und Zuversicht für die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu schöpfen.

1980er Jahre

Nach den Hochzeiten der Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren galten die 1980er Jahre nicht mehr als „feministisches“ Jahrzehnt. Auch wenn Geschlechtergegensätze in Popkultur und Mode zunehmend aufgeweicht wurden, änderte dieser Trend kaum etwas an den rigiden Geschlechterrollen im Alltag: Genuin feministische Anliegen waren weiterhin nicht in der gesellschaftspolitischen Kultur der BRD verankert. Dafür fehlte es nicht nur an Problembewusstsein und damit auch an Ausdrucksmöglichkeiten, um Missstände zu adressieren – auch an Zahlen und Statistiken mangelte es deutlich, an Fakten also, „die erklärten, warum Entscheidungen, die Frauen trafen, auf gesellschaftliche Strukturen und nicht auf individuelle Vorlieben zurückzuführen sind“.

Ein Beispiel einer solchen Struktur, durch die Frauen in der BRD systematisch benachteiligt wurden, war die weiterhin fehlende Kinderbetreuung. Zwar wurde die institutionelle Betreuung ausgebaut, das Angebot war jedoch bei Weitem nicht ausreichend, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern. In der DDR gab es quantitativ gesehen ausreichende Kinderbetreuung – allerdings mussten ostdeutsche Frauen die Dreifachlast der Erwerbsarbeit, der Sorgearbeit und der Haushaltsführung schultern

Feminismus in den 1990er Jahren

Aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen fiel es Feminist_innen aus der DDR und der BRD nach der Wende schwer, Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Agenda zu finden:

„Ziele und Prioritäten der beiden Gruppen unterschieden sich nach der Wiedervereinigung. Westdeutsche Feministinnen betonten Themen wie sexuelle Selbstbestimmung, während der Fokus auf ostdeutscher Seite auf sozialer Gerechtigkeit und der Wahrung der emanzipatorischen Errungenschaften der DDR lag.“

Das neue Musikfernsehen feierte derweil den sogenannten „Postfeminismus“: Girlbands und sogenannte „Girlies“ dominierten die mediale Aufmerksamkeit, junge Mädchen also, die ein bestimmtes Körperbild gesellschaftlich normierten und sich selbstbewusst von einem als überholt wahrgenommenen Feminismus früherer Jahrzehnte abgrenzten. Anders als in den USA war dieser popkulturelle Trend in Deutschland weitgehend apolitisch.

„Die Wahrnehmung, dass die Gleichstellung der Geschlechter im Großen und Ganzen erreicht wäre, verstärkte sich noch dadurch, dass viele Ungleichheiten, [unter] denen Frauen nach wie vor litten, nicht alle gleichermaßen betrafen. Ein Umstand, der bis heute feministischen Aktivismus erschwert.“

In den 1990er Jahren wurde diese Erkenntnis auch innerhalb der feministischen Bewegung in Deutschland erstmals systematisch adressiert. Daraufhin fächerte sie sich entlang multipler Diskriminierungserfahrungen auf.

Feminismus in den 2000er Jahren

In den 2000er Jahren hatte die feministische Bewegung unter anderem mit publizistischen Angriffen zu kämpfen, in denen Autor_innen wie die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman feministische Errungenschaften scharf attackierten und stattdessen für eine Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen plädierten:

„In fast jedem deutschen Bücherregal findet sich in den frühen 2000er Jahren ein solches Exemplar, sie repräsentieren nichts weniger als die Wiederauflage der biologistischen Diskurse vergangener Jahrhunderte, nun in neuem Gewand.“

Andererseits konnte die feministische Bewegung neue Errungenschaften verbuchen: 2007 wurde beispielsweise das Elterngeld eingeführt, und auch in der Wissenschaft konnte sich die feministische Forschung verstärkt institutionalisieren.

Feminismus in den 2010er Jahren

Die jahrzehntelange feministische Arbeit zahlte sich in den 2010er Jahren erstmals wieder systematisch aus:

„Zum ersten Mal seit den 70er Jahren drangen entsprechende Positionen aus der akademischen und institutionalisierten feministischen Blase geballt in den gesellschaftlichen Mainstream.“

Das Internet half dabei, feministische Inhalte zu verbreiten – der sogenannte „Netzfeminismus“ entstand, im Zuge dessen Feminist_innen vor allem in den sozialen Medien öffentlichkeitswirksam auf Missstände aufmerksam machen und die Menschen diesbezüglich sensibilisieren konnten. So berichteten unter dem Hashtag „aufschrei“ Hunderttausende über ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus:

„Die #aufschrei-Debatte glich einer Intervention, es war die erste große Aktion des neuen Feminismus. Zwar führte sie […] zu keiner direkten gesellschaftlichen Veränderung, dennoch setzte sie das Thema weithin sichtbar auf die Agenda, das seither in den Medien in immer neuen Wellen bricht.“

Das Engagement im Netz hatte auch zur Folge, dass andere Protestformen wie Demonstrationen neuen Zulauf erfuhren. Auch hinsichtlich seiner Inhalte führte der Netzfeminismus das frühere feministische Engagement weitestgehend fort:

„Das Internet diente nicht nur als Publikationsraum, es erfüllte ähnliche Funktionen wie die Frauenzentren in den 70er und 80er Jahren. Es ging um Erfahrungsaustausch, gegenseitige Vergewisserung, die Herstellung eines feministischen Wir-Gefühls. In der medialen Einordnung des neuen ‚Netzfeminismus‘ wurde diese Parallele häufig übersehen: Feminist*innen hatten schon immer eigene Medien, Zeitschriften, Verlage gegründet, um ihre Inhalte zu verbreiten und sich zu vernetzen.“

Die fruchtbare Vernetzung unter Feminist_innen wurde allerdings dadurch erschwert, dass sich die feministische Bewegung aufgrund der Debatten um den Umgang mit Prostitution in zwei polarisierende Gruppen spaltete – diejenige der sogenannten „Radikalfeminist_innen“, die für ein Verbot votierten, und diejenige, die die Autonomie der beteiligten Sexarbeiter_innen wahren wollte.

Diese innerfeministischen Grabenkämpfe hatten aber keine direkten Auswirkungen auf die Alltagskultur, in der der Feminismus nun nicht mehr wegzudenken war. Das lag vor allem daran, dass sich das Etikett „feministisch“ außerordentlich gut über Werbung und Popkultur vermarkten ließ – ein Trend, der bis heute anhält. Diese Vermischung von feministischen Anliegen und kapitalistischer Wertschöpfung muss für die Bewegung kein Nachteil sein:

„Es sollte sich […] niemand der Illusion hingeben, dass dieser Trend nachhaltig wäre. Doch es nutzt dem feministischen Fortschritt, wenn Feminismus ‚Trend‘ ist, wenn er breit diskutiert wird und wenn jüngere Generationen mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass es normal ist, sich für Gerechtigkeit, Klimaschutz und gegen Gewalt einzusetzen.“


buch|votum

Anhand der eigenen Biografie rekonstruiert Stefanie Lohaus den Prozess, den sie „feministisch Werden“ nennt. Diese persönliche Erzählung bettet sie in einen kurzweiligen Überblick über die gesellschaftlichen Erfolge und Rückschläge der feministischen Bewegung seit den 1980er Jahren ein. Als Gründungsmitglied des Missy Magazine thematisiert Lohaus dabei die Annäherung zum und Abgrenzung vom etablierten feministischen Magazin, der EMMA. Damit veranschaulicht sie auch die Gegensätze zweier feministischer Perspektiven, die sich in vielen Streitfragen nahezu unversöhnlich gegenüberstehen.

Diese subjektiv gefärbten Einblicke in die innerfeministischen Diskussionen und Herausforderungen machen das Buch zu einem interessanten, für einige sicher auch zu einem streitbaren Debattenbeitrag. Gleiches gilt für die Einschätzung, dass es für die feministische Bewegung durchaus vorteilhaft ist, dass sich der Markt ihre Inhalte angeeignet hat. Auch wenn viele Feminist_innen an dieser Stelle berechtigterweise protestieren werden, erfrischt dieser ressourcenorientierte Ansatz von Stefanie Lohaus und damit ihr Plädoyer, die Erfolge der Bewegung künftig stärker in den Blick zu nehmen, um daraus Kraft für weitere notwendige Veränderungen zu schöpfen.

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Verlag: Suhrkamp
Erschienen: 09.10.2023
Seiten: 271
ISBN:978-3-518-47359-7

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