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Von der „geistig-seelischen Struktur“ der Frauen: Lisa Albrecht und die Gleichstellung im Beamtenrecht

Bild: SPD-MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstandes Lisa Albrecht, 15.01.1956; Rechte: AdsD.

Lisa Albrecht, SPD-Bundestagsabgeordnete der ersten Stunde, wäre am 27. Mai 125 Jahre alt geworden. Nur wenigen ist ihr Name bekannt, keine Straße, keine Gedenktafel erinnert bisher an sie. Sie stellte ihr Leben in den Dienst der Sozialdemokratie, war überzeugte Pazifistin und Quäkerin und engagierte Streiterin für die Gleichberechtigung der Frau im konservativen Nachkriegsdeutschland.

„Die fröhliche Frau mit der Laute“

Lisa Hartjen wurde 1896 in Hamburg geboren; obwohl nicht aus einer Arbeiterfamilie stammend (der Vater war Beamter), entschied sie sich sehr früh für die Sozialdemokratie: Schon mit 15 Jahren schloss sie sich der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) an, 1911 trat sie der SPD und der Angestellten-Gewerkschaft bei, 1919 der gerade gegründeten Arbeiterwohlfahrt. Ebenfalls 1919 heiratete sie gegen den Willen der Eltern den Transportarbeiter August Albrecht, den sie in der Hamburger Arbeiterjugend kennengelernt hatte.

Das Paar zog nach Berlin und Lisa Albrecht studierte an der Hochschule für Leibesübungen. In den folgenden Jahren verband sie ihre berufliche Qualifikation als Sportlehrerin mit ehrenamtlichem Engagement in Partei und Gewerkschaft: Sie bot Gymnastikkurse für Fabrikarbeiterinnen an, hielt Vorträge über „Körperkultur“ und Jugendbewegung, organisierte gesellige Abende mit Reigentänzen und Liedern mit der Laute. Noch zu ihrem 60. Geburtstag 1956 wurde an „Lisa mit der Klampfe oder Lisa mit dem Medizinball“ dieser Berliner Jahre erinnert.

Arbeitslos und verfolgt

1928 wurde Lisa Albrecht zur hauptamtlichen SPD-Frauensekretärin für die Provinz Brandenburg gewählt. In dieser Funktion trat sie entschlossen gegen die erstarkende NSDAP auf; im „Vorwärts“ des Jahres 1932 sind ihre Auftritte als Rednerin angezeigt: „Unser Kampf gegen den Faschismus“, „Unser Kampf für die Freiheit“, „Die Aufgaben der Frauen im Wahlkampf“. Ihr entschiedenes Engagement zeigte unmittelbar mit der Machtübernahme der Nazis Folgen: Lisa Albrecht verlor ihre Arbeit, wurde mehrmals verhaftet, misshandelt und gedemütigt. Etliche Monate musste sie 1934 im Moabiter Frauengefängnis verbringen, bis sie – „wie durch ein Wunder“ – wieder freigelassen wurde. Weiterhin wurden sie und ihr Mann durch die Gestapo bedroht, bespitzelt und unter Polizeiaufsicht gestellt, 1935 und 1939 wiederum zeitweilig in „Schutzhaft“ genommen.

August Albrecht hatte in Berlin ein großes Antiquariat besessen, einige Arbeiterzeitschriften und Arbeiter-Liederbücher herausgegeben. Gemeinsam mit seiner Frau hatte er die SPD-eigene Buchgemeinschaft „Der Bücherkreis“ geführt. Nun wurde er durch die Nazis enteignet, seine Veröffentlichungen verboten. Heimlich führten beide eine Buchhandlung weiter, die als Treffpunkt für Gleichgesinnte galt. 1944 wurden Wohnung und Buchhandlung durch einen Bombenangriff zerstört, die Albrechts flohen nach Mittenwald in Oberbayern, wo sie das Kriegsende erlebten.

Nach dem Krieg: Aufbauarbeit

In Mittenwald begann dann auch die zweite politische Karriere der Lisa Albrecht: Unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner in Bayern wurde sie Gemeinderätin, zunächst stellvertretende – 1948 dann erste – Bürgermeisterin in Mittenwald. Für wenige Wochen hatte sie das Amt der Landesvorsitzenden der Bayerischen SPD inne, ab 1947 war sie stellvertretende Landesvorsitzende und Frauensekretärin. Sie versuchte, vor allem die Frauen zu politischer Arbeit zu bewegen, was ihr nicht im gewünschten Maße gelang. Die Ursachen sah sie zum einen im großen Einfluss der katholischen Kirche, die die Frauen vor allem in Küche und Kinderzimmer sehen wollte. Sie kritisierte aber auch die wenig ermutigenden Parteistrukturen; völlig unakzeptabel erschien ihr, dass der sozialdemokratischen Fraktion im Landtag keine Frau angehörte und in den Ministerien keine der wichtigen Funktionen durch eine Frau besetzt war. Auch in überparteilichen Organisationen versuchte sie, Frauen zu erreichen und für die Sozialdemokratie zu interessieren.

1949 wurde Lisa Albrecht über die Bayerische Landesliste in den ersten Deutschen Bundestag gewählt, wurde Mitglied des Parteivorstandes der SPD. Ihr Engagement galt der Friedenspolitik; eine Wiederbewaffnung lehnte sie ab und stimmte im Bundestag gegen die Parteilinie.

Ein weiterer Schwerpunkt ihrer parlamentarischen Arbeit lag in der Interessenvertretung berufstätiger Frauen und Mütter und für deren eigenständige Existenzsicherung durch ausreichende Löhne. Sie kämpfte auch für eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus, um bezahlbaren Wohnraum auch für kleine Einkommen zu schaffen.

Kampf gegen Diskriminierung im Beamtenrecht

Ihre wichtigsten Reden hielt sie in den Debatten um das Beamtenrecht 1950 (und 1953). Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU/CSU, der im Wesentlichen auf dem Beamtengesetz von 1937(!) beruhte, ermöglichte die Entlassung verheirateter Beamtinnen aus dem Staatsdienst, deren wirtschaftliche Versorgung nach der Höhe des Familieneinkommens auch im Falle einer Entlassung dauernd gesichert schien. Außerdem sah der Gesetzentwurf vor, dass Beamte, deren Ehepartnerinnen ein Gewerbe betreiben wollten, ihre Vorgesetzten um Erlaubnis fragen mussten. Dies betraf vor allem kleinere Beamte, deren Einkommen allein für den Unterhalt der Familie nicht ausreichte und deren Frauen etwa einen Kiosk eröffnen wollten. Als ebenfalls untragbar betrachtete Lisa Albrecht die vorgesehene Regelung, dass Männer schon mit 27 Jahren, Frauen aber erst mit 35 Jahren Beamt_innen werden konnten.

Bei den Lesungen im Bundestag im Februar und März 1950 entbrannten heftige Debatten, in denen Lisa Albrecht die Forderung der SPD nach einer echten Gleichstellung der Frau auch im Staatsdienst vertrat. Die Befürworter einer Entlassung von Beamtinnen bei Verheiratung insbesondere mit einem Beamten argumentierten mit der hohen Zahl an Arbeitslosen (besonders ehemalige Beamte), Kriegerwitwen und Kriegswaisen, denen ein Einstieg in die staatliche Verwaltung verwehrt bliebe, solange „Doppelverdienerinnen“ die Arbeitsplätze besetzt hielten. Die Notwendigkeit der Genehmigung eines Gewerbebetriebes der Beamtenehefrau schütze nur den Beamten vor dem Verdacht der Bestechlichkeit oder Einflussnahme. In gönnerhaften Beiträgen sorgte sich vor allem der CDU-Abgeordnete Wuermeling um die Würde der Frau, wenn man die hier angemahnte Gleichberechtigung der Frau rein materiell betrachte; vielmehr bekannte er sich zu einer Gleichberechtigung, „die dem Wesen, der Aufgabe und der Würde der Frau in der sozialen Gemeinschaft Entfaltung sichert, zu einer Gleichberechtigung, die die Familie als Urzelle der Gemeinschaft nicht gefährdet, und zu einer Gleichberechtigung, die dem höchsten Frauenberuf — dem Mutterberuf — den höchsten Rang unter den Frauenberufen auch dann läßt, wenn er heute leider vielen versagt bleiben muß“.

Die „geistig-seelische Struktur“ von Mann und Frau

Lisa Albrecht sah sehr wohl, dass hier Frauen gegen Frauen ausgespielt werden sollten (und dass ein Ausscheiden des verbeamteten Ehemannes natürlich undenkbar war). Unermüdlich wies sie darauf hin, dass dieser Passus eklatant dem Gleichberechtigungsparagraphen des frisch verabschiedeten Grundgesetzes widersprach. Während eine Beamtin, die einen Ehemann aus der freien Wirtschaft heiratete, im Dienst bleiben könne, müsse sich eine Beamtin bei Eheschließung mit einem Beamten zwischen Ehe und Beruf entscheiden (da eine Ehe mit einem Beamten per se als dauernde wirtschaftliche Sicherung bewertet wurde). Was hieß schon „dauerhaft gesichert“ nach der Erfahrung von Krieg und Not? Auch zog sie die Objektivität der männlichen Entscheidungsträger in Zweifel, wenn es darum ging, über die dauernde wirtschaftliche Versorgung der Beamtin zu befinden. „Prekäre wirtschaftliche und soziale Zeiten dürfen nicht auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden!“ – war ihre Forderung.

Die Argumente ihrer Gegner waren vielfältig, aus heutiger Sicht gleichwohl erschreckend. Von Pistolenweibern war die Rede, die durch die formale Gleichberechtigung hervorgebracht würden, von „Doppelverdienertum“, das einzig den Zigarettengenuss finanzieren solle, und von der seelischen und geistigen Eigenart der Frauen, der die Gleichberechtigung gerecht werden solle: „Auch eine Verfassung kann die natürliche Verschiedenheit zwischen Mann und Frau, insbesondere die der geistig-seelischen Struktur, nicht beseitigen, und der Gesetzgeber tut gut daran, wenn er versucht, den hieraus erwachsenden Schwierigkeiten durch von Weisheit getragene Regelungen zu entsprechen.“ (Euler, FDP)

Lisa Albrecht und der SPD gelang es 1950 zunächst nur, das Mindestalter für Beamt_innen bei Frauen und Männern gleichermaßen auf 27 Jahre festzulegen und die Gültigkeit des Gesetzes zu befristen, sodass sich der Bundestag baldmöglichst erneut mit dem Beamtengesetz befassen musste. Auch 1953 kämpfte Lisa Albrecht für die rechtliche Gleichstellung der verheirateten Beamtin; jetzt gelang es ihr und ihrer Partei die diskriminierenden Paragraphen zur Verheiratung und zum Gewerbebetrieb aus dem Gesetz zu streichen.

Ihre Arbeit im Parlament konnte Lisa Albrecht nur bis 1958 fortsetzen. Sie verstarb am 16. Mai 1958 im Alter von nur 62 Jahren nach längerer schwerer Krankheit.

Gabriele Rose

 


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