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"Kampf dem Atomtod" und die Bundestagsdebatte über die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik

Im März 1958 lieferten sich die Bundesregierung um Konrad Adenauer und die Oppositionsparteien eine erbitterte Debatte zur Frage der atomaren Bewaffnung, die sich über vier Tage und teils bis tief in die Nacht zog. Sollten auf dem Boden der Bundesrepublik Atomwaffen stationiert werden und die Bundeswehr damit ausgerüstet werden?

 

Die Frage nach der Wehrfähigkeit der Bundeswehr angesichts atomarer Bedrohungen stellte sich mit dem NATO-Beitritt und der Gründung der Bundeswehr 1955 zunehmend dringlicher. Nach Bundeskanzler Konrad Adenauers Einschätzung im April 1957 handelte es sich bei Atomwaffen um „Weiterentwicklung der Artillerie“. Er forderte entsprechend, dass „unsere Truppen auch jetzt bei uns – das sind ja besondere normale Waffen in der normalen Bewaffnung –, die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen.“ In der Bundestagsdebatte am 23. Januar 1958 anlässlich der NATO-Konferenz in Paris im Dezember 1957 warf die Opposition, besonders Thomas Dehler für die FDP und Gustav Heinemann für die SPD, Adenauer vor, eine Atombewaffnung zu beabsichtigen, die die Teilung Deutschlands besiegeln werde.

Bei der Pariser NATO-Konferenz kam es zu Protesten gegen die Stationierung nuklearer Waffen im kontinentalen Teil des westlichen Bündnisses, an denen sich zahlreiche prominente Wissenschaftler beteiligten. Inspiriert auch durch den sich in anderen westeuropäischen Ländern formierenden Protest entwickelte sich in Deutschland eine gesamtgesellschaftliche Bewegung gegen die atomare Bewaffnung. Institutioneller Ausdruck dessen war der Ausschuss „Kampf dem Atomtod“. Dem Ausschuss gehörten neben dem SPD-Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer auch der FDP-Parteivorsitzende Thomas Dehler, die DGB- und IG-Metall-Vorsitzenden Willi Richter und Otto Brenner, Intellektuelle wie Heinrich Böll und Wissenschaftler wie der Atomphysiker Max Born sowie prominente christliche Vertreter des Widerstands gegen den Nationalsozialismus wie Martin Niemöller und Eugen Kogon an. Erste öffentlichkeitswirksame Aktionen wie eine Unterschriftensammlung, an der sich auch Erich Kästner beteiligte, begannen zwar bereits Anfang März, doch zunächst erreichte die Kampagne nur ein kleines Publikum.

Die Debatte im März 1958

Breite Wahrnehmung erhielt die Kampagne mit der von der CDU/CSU-Fraktion einberufenen außenpolitische Debatte ab dem 20. März 1958. Die in voller Länge im Rundfunk übertragene Debatte verfolgte zeitweise etwa die Hälfte der Bevölkerung. Dass sie zu einer der schärfsten parlamentarischen Kontroversen der jungen Bundesrepublik werden würde, machte bereits die Auftaktrede des Verteidigungsministers Strauß deutlich. An die SPD gerichtet fragte er: „Wie stehen Sie eigentlich praktisch zur Landesverteidigung?“ Hiermit traf er einen durchaus wunden Punkt: Wenige Wochen zuvor war die Empfehlung einiger Verteidigungsexperten im Parteivorstand um Friedrich Beermann an die Öffentlichkeit gekommen. Diese Empfehlung sprach sich für die Ausstattung der Bundeswehr mit Flugabwehrraketen mit atomaren Sprengköpfen aus, welche von Parteivorstand und Bundestagsfraktion abgelehnt wurden.

Für die sozialdemokratische Fraktion stieg zunächst Fritz Erler „in den Ring“ und feuerte die emotionsgeladene Stimmung mit der Bemerkung weiter an, die Worte der Bundesregierung erinnerten ihn an die Sportpalastrede von Joseph Goebbels. Entrüstet verließ mit der CDU/CSU-Fraktion der größte Teil des Parlaments zeitweise den Bundestag. Insbesondere die Abgeordneten Wolfgang Döring (FDP) und Helmut Schmidt (SPD), in der Presse als „zornige, junge Männer“ charakterisiert, griffen in ihren Beiträgen Mitglieder der Bundesregierung teils persönlich an und zogen den Vergleich zwischen der Zustimmung zur Stationierung atomarer Waffen und dem Ermächtigungsgesetz 25 Jahre zuvor. Diese Entscheidung werde, so Schmidt, „in der Geschichte einmal als genauso schwerwiegend und verhängnisvoll angesehen werden.“ Die Sozialdemokrat*innen bewerteten die Stationierung atomarer Waffen als kardinalen Fehler. Trotz der klaren Zustimmung der Bevölkerung für ihre Position waren sie faktisch ohne Möglichkeit, die Entscheidung zu verhindern. Das Frustrationsgefühl, erneut vergeblich gegen ein aufkommendes Unheil anzukämpfen, wurde bestärkt durch den Jahrestag der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes. Hinzu kamen die personellen Kontinuitäten: so saßen vier Sozialdemokraten, die 1933 das Ermächtigungsgesetz abgelehnt hatten, fünf Abgeordneten aus CDU und CSU gegenüber, die diesem damals zugestimmt hatten. Schließlich wurde am 25. März um Mitternacht nach namentlicher Abstimmung entschieden, dass Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik stationiert werden durften.

Die verbleibende Hoffnung lag nun auf der Protestbewegung um den Ausschuss „Kampf dem Atomtod“. Zunächst erhielt der Protest Zulauf. Viele regionale und lokale Unterausschüsse bildeten sich und im April fanden zahlreiche Protestaktionen statt, deren Höhepunkt die Hamburger Demonstration am 17. April mit über 100.000 Teilnehmer*innen war. Das erhöhte zwar den Druck auf die Bundesregierung, die Stationierung atomarer Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik erneut zu überdenken, zu weitergehenden Maßnahmen konnte man sich dennoch nicht durchringen. Generalstreiks oder auch die vorgeschlagene symbolische Niederlegung der Arbeit für fünf Minuten lehnte der DGB ab. Vor allem durch die Niederlage der SPD im NRW-Wahlkampf im Sommer 1958, aber auch durch das Scheitern der Bemühungen um eine Volksbefragung über die Stationierung von Atomwaffen und das Chruschtschow-Ultimatum am 27. November 1958 verlor die Bewegung zunehmend an Unterstützung und Dynamik.

    Nachwirkungen der Debatte und der Protestbewegung

    Zahlreiche Umfragen stellten fest, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine Stationierung atomarer Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ablehnte, genauso wie die Ausstattung der Bundeswehr mit solchen Waffen. Trotzdem war die Sorge vor einem expandierenden kommunistischen Ostblock und Wohlstandsverlust durch eine fehlende Bindung an das westliche Bündnissystem größer, sodass die Frage der atomaren Bewaffnung für die meisten Wähler*innen kein entscheidendes Kriterium darstellte. Innerhalb der SPD setzte sich zunehmend die Überzeugung durch, dass das Bekenntnis zur Landesverteidigung im Bündnissystem der NATO zu akzeptieren und bejahen sei. Mit dem Godesberger Programm 1959 und der Rede Herbert Wehners am 30. Juni 1960 manifestierte sich die außen- und sicherheitspolitische Neuausrichtung der Partei.

    Zwar scheiterte die außerparlamentarische Initiative, sie zeigte aber, dass sich Kirchen und SPD mehr und mehr aufeinander zubewegten. Ein beginnender gesellschaftlicher Wandel, der sich in den 60er Jahren fortsetzen und intensivieren sollte, offenbarte sich auch darin, dass Wissenschaftler*innen an Demonstrationen zum 1. Mai teilnahmen. Nach dem Scheitern der Initiative setzten zahlreiche Aktivist*innen aus verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen ihren Kampf in Form der an Bedeutung rasch zunehmenden Ostermarsch-Bewegung fort.

    Leon Pietsch

     

    Literatur

    • Appelius, Stefan: Pazifismus in Westdeutschland. Die deutsche Friedensgesellschaft 1945-1968, Mainz 1991.
    • Rupp, Hans Karl: Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer. Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fünfziger Jahren, Köln 1971.
    • „Kampf dem Atomtod!“ Die Protestbewegung 1957/58 in zeithistorischer und gegenwärtiger Perspektive, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg  (Hrsg.): Hamburger Zeitspuren, Bd. 6, Hamburg 2009.

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