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Die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes am 19. Juli 1952 im Deutschen Bundestag ohne wirkliche gewerkschaftliche Einflussnahme ist wohl die erste Niederlage der deutschen Gewerkschaftsbewegung nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Umsetzung der Montan-Mitbestimmung im Jahr zuvor hatte noch auf eine einvernehmliche Form der Realisation hoffen lassen.
Am 21. Mai 1951 war das Montan-Mitbestimmungsgesetz in Kraft getreten. Hans Böckler (1875-1951), dessen direkter Kontakt mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) im Entstehungsprozess des Gesetzes große Bedeutung zukam, starb jedoch schon am 16. Februar 1951. In der Sitzung des DGB-Bundesausschusses am 29. Januar 1951 hatte er, kurz nachdem das Montan-Mitbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht worden war, eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften formuliert:
Ich spreche von einem Anfang, den wir gemacht haben. Ich zweifle nicht daran, wir werden, nachdem wir innerbetrieblich für zwei der wichtigsten Wirtschaftsgruppen die Dinge geordnet haben, weitergehen müssen. Wir werden das Gesetz ausdehnen müssen auf die anderen Industriezweige. Dann steht uns ein weiterer, schwerer Kampf bevor: der Kampf um die überbetriebliche Mitbestimmung. Lasst nicht nach in eurem Bemühen, die Organisation an Mitgliedern und auch finanziell zu stärken. Nur eine starke und mächtige Gewerkschaftsbewegung kann eine neue Wirtschaftsordnung schaffen.
Das Montan-Mitbestimmungsgesetz war in einer Aura „konstruktiver Mitarbeit“ des DGB mit Bundesregierung und Arbeitgebern entstanden. Während die Gewerkschaften, insbesondere aufgrund ihres Entgegenkommens in Fragen der Außen- und Wirtschaftspolitik (z.B. Stellung der Gewerkschaften zum Schumanplan und zur Wiederbewaffnung), von einem ähnlichen Verlauf der künftigen Gespräche ausgingen, sahen Bundesregierung und Arbeitgeberverbände geänderte Vorzeichen für weitere Verhandlungen in Sachen Mitbestimmung. In der Bundesregierung drohte die FDP mit Bruch der Koalition bei erneut zu großem Entgegenkommen des Bundeskanzlers bei neuen Mitbestimmungsverhandlungen gegenüber den Gewerkschaften. Arbeitgeber und Bundesregierung waren zwar verhandlungsbereit in Sachen künftiger Mitspracherechte von Betriebsräten und in der Frage der gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung. Keine gemeinsame Basis fand man jedoch bezüglich der Unternehmensmitbestimmung. Von weiterer Bedeutung war für die Gewerkschaften, dass der privatwirtschaftliche und öffentliche Sektor der Wirtschaft mitbestimmungsrechtlich nicht unterschiedlich behandelt wurde.
Der außerordentliche Bundeskongress des DGB am 22. und 23. Juni 1951 wählte nicht nur Christian Fette (1895-1971) zum Nachfolger Hans Böcklers. Viktor Agartz (1897-1964), Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts (WWI) des DGB, analysierte die Wirtschaftslage der Bundesrepublik Deutschland und kam zu dem Schluss, dass nur eine Änderung der staatlichen Wirtschaftspolitik eine Besserung bringen würde. In einem weiteren Referat sprach Erich Bührig (1896-1959) zu Fragen der Mitbestimmung, die er in der chemischen Industrie und bei der Bundesbahn als Nächstes realisiert wissen wollte. Der Bundeskongress betonte die Bereitschaft der Gewerkschaften, für die Demokratie einzutreten, sollten „die Träger der verfassungsmäßigen Gewalt versagen.“
Mitte 1951 wurde offensichtlich, dass die Hoffnung der Gewerkschaften auf eine einvernehmliche Regelung der Mitbestimmungsfrage vergebens war: Anfang Juni 1951 konnten DGB und Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) nicht durchsetzen, dass im Bundesbahn-Gesetz eine paritätische Mitbestimmung und die Berufungsweise für einen Arbeitsdirektor ähnlich wie im Montan- und Stahlsektor verankert wurde. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1951 waren Versuche der IG Chemie gescheitert, auch in den Chemie-Unternehmen der entflechteten I.G. Farben die paritätische Mitbestimmung zu realisieren; mit Blick auf das noch laufende Gesetzgebungsverfahren zur Montan-Mitbestimmung erklärte sich der DGB mit der IG Chemie aber nicht offen solidarisch.
Am 24. Juli 1951 empfahl der DGB-Bundesvorstand dem Bundesausschuss, die Mitarbeit des DGB in allen Gremien der deutschen Wirtschaftspolitik einzustellen. Dies war die Konsequenz daraus, dass die Forderung der Arbeitnehmer nach Mitbestimmung und Beteiligung an der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Neuordnung Westdeutschlands durch Bundesregierung und Bundestagsmehrheit ignoriert wurde. Geschwächt wurde diese gewerkschaftliche Positionierung, die ja eigentlich Kampfentschlossenheit ausstrahlen sollte, durch das in den Vormonaten immer stärker gestörte Verhältnis zwischen dem DGB und den Einzelgewerkschaften. Die teils kontroversen Diskussionen in Bundesvorstand und Bundesausschuss zeugten davon.
Ende 1951 hatte der „Arbeitskreis Mitbestimmung“, der sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Bundestagsausschüsse zusammensetzte, eine Vorlage für ein künftiges Betriebsverfassungsgesetz erstellt. Dieser Entwurf gab vor allem Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wieder. Zuvor erstellte Entwürfe aus dem parlamentarischen Umfeld wurden als noch unzureichender angesehen worden. Im Rahmen dieses „Politik des Alleinganges“ hatte die Bundesregierung bereits am 22. Februar 1952 beschlossen, für den öffentlichen Dienst ein eigenständiges Personalvertretungsgesetz zu lancieren. Für die deutschen Gewerkschaften war dies ein Versuch, die einheitliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer_innen in Betrieben und die gewerkschaftliche Einheit von Arbeitern, Angestellten und Beamten zu stören.
Die ab Mai 1952 laufenden Streiks und Protestaktionen deutscher Gewerkschaften brachten Bundeskanzler Adenauer und den DGB-Vorsitzenden Christian Fette zu neuen Verhandlungen zusammen. Adenauer hob jedoch hervor, dass er Verhandlungen nicht unter dem Druck dieser gewerkschaftlichen Aktionen führen könne. Die Gespräche, die dann nach Einstellung der Streiks und Demonstrationen stattfanden, blieben ergebnislos. Diese Befriedung war für die Bundesregierung aber das eigentliche Ziel des Dialoges: die Bundesregierung und die sie tragende Koalition im Bundestag hatten bereits am 13. Juni 1952 dem überarbeiteten Entwurf eines Personalvertretungsgesetzes ihren Segen gegeben, obwohl sie noch am 7. Juli 1952 mit den Gewerkschaften darüber sprachen. Die so getäuschten Gewerkschaften brachen die Gespräche ab. Streiks oder Demonstrationen wurden seitens der Gewerkschaften aber nicht erneut eingesetzt. Die Bundesregierung brachte noch vor der Sommerpause auch das Betriebsverfassungsgesetz durch den Bundestag. Trotz Versuche der Gewerkschaften, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold (CDU) als Vermittler in den Gesetzgebungsprozess einzuschalten, wurde am 19. Juli 1952 das Gesetz nach dritter Lesung in der Schlussabstimmung gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Nur sieben gewerkschaftlich organisierte CDU-Abgeordnete stimmten gegen das Betriebsverfassungsgesetz.
Nach dem Scheitern in der Mitbestimmungspolitik erschien die deutsche Gewerkschaftsbewegung tief zerrüttet. Dies äußerte sich nicht nur in den Spannungen zwischen dem DGB und den Einzelgewerkschaften, die in der Abwahl Christian Fette als DGB-Vorsitzenden kumulierte, sondern auch im Unverständnis zwischen gewerkschaftlichen Führungsebenen und den Gewerkschaftskartellen vor Ort über das Geschehen um das Betriebsverfassungsgesetz. So telegraphierte die ÖTV-Kreisverwaltung Düsseldorf-Mettmann am 17. Juli 1952 an den DGB-Bundesvorstand:
Wir verzweifeln! Wo bleibt die Tat? Steht zu eurem Wort! Ein echtes Mitbestimmungsrecht!
Am 18. Juli 1952 ging ein tags zuvor abgesandtes Telegramm der IG Metall – Ortsverwaltung Lüneburg beim DGB in Düsseldorf ein:
Die Durchpeitschung des Betriebsverfassungsgesetzes erfordert rasches und entschlossenes Handeln. Wir erwarten vom Vorstand der Industriegewerkschaft Metall die sofortige Einleitung der schon frueher angekuendigten Kampfmassnahmen, damit die dritte Lesung des Betriebsverfassungsgesetzes in seiner jetzigen Form unter allen Umstaenden verhindert wird. Wir Lueneburger Metallarbeiter sind bereit, jedem Aufruf diszipliniert zu folgen.
Diese und ähnliche Appelle, die die Gewerkschaftsführung zur Tat aufforderten, finden sich in den Akten des DGB-Archivs im AdsD. Dort ist auch Schriftgut zur Mitbestimmungspolitik jener Zeit archiviert.
Hubert Woltering
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