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Fokus Migration und COVID-19: Warum die Auswirkungen des Klimawandels bei der Pandemiebekämpfung nicht vernachlässigt werden dürfen.
Bild: von picture alliance / Zoonar | Uwe Bauch
2020 hat die Zahl der klimabedingten Katastrophen weltweit Rekorde gebrochen. Während der aktivsten jemals dokumentierten Hurrikansaison im Atlantik trafen zwei große Hurrikane innerhalb von zwei Wochen auf die Küsten Zentralamerikas. Fidschi wurde in einem Jahr von zwei tropischen Wirbelstürmen der Kategorie 5 in Mitleidenschaft gezogen, darunter Yasa, demzweitstärksten Zyklon seit Beginn der Aufzeichnungen, der dort auf Land traf. In Ostafrika haben Heuschrecken Hunderttausende Hektar Land verwüstet, und Überschwemmungen haben Hunderttausende Menschen vertrieben. Die Aufzählung noch nie dagewesener Naturkatastrophen scheint unendlich, und während die Größenordnung der klimabedingten Vertreibungen wächst, hat COVID-19 es der internationalen Gemeinschaft erschwert, diesen Herausforderungen zu begegnen.
Zu Beginn der Pandemie haben wir prognostiziert: COVID-19 würde humanitäre Hilfe empfindlich stören, Verpflichtungen zur Klimafinanzierung reduzieren, die menschliche Mobilität und Freizügigkeit beschneiden, die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel unterstreichen und einige multilaterale Prozesse auf Eis legen oder sogar scheitern lassen. Nun werfen wir einen Blick zurück, wie viele dieser Prognosen eingetroffen sind – und auf die Lehren für die zukünftige Politik zur klimabedingten Migration.
COVID-19 hat die Bereitstellung humanitärer Hilfe inverschiedenen Kontexten erschwert, auch als Reaktion auf die vielen plötzlich eingetretenen Naturkatastrophen des Jahres 2020. Lockdowns, Reisebeschränkungen, belastete Lieferketten und geringe Finanzierung behinderten die Bereitstellung von Hilfe, auch in Reaktion aufden Zyklon Harold im Pazifik, den Wirbelsturm Amphan und Monsumüberschwemmungen inIndien und Bangladesch sowie Überschwemmungen und Heuschreckenplagen inOstafrika. Während der Pandemiesteigt der Bedarf an humanitärer Hilfe, und dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen zufolge ist der COVID-19 Global Humanitarian Response Plan von 2020 immer noch erst zu 39 Prozent finanziert.
Für Gemeinschaften, die von Überweisungen aus dem Ausland abhängig sind, wird humanitäre Hilfe weiterhin besonders wichtig sein, um die Kosten für Lebensmittel, Gesundheitsfürsorge und andere notwendige Ausgaben zu decken. Aufgrund der COVID19-Lockdowns prognostizierte die Weltbank im April, dass solche Überweisungen 2020 global um bis zu 20 Prozent zurückgehen würden – und obgleich diese Prognose sich nicht in allen Regionen der Welt bewahrheitet hat, könnten sich derartige Geldflüsse dennoch im weiteren Verlauf der Pandemie deutlich verringern. Nach den Wirbelstürmen Amphan und Harold wurde zudem deutlich, dass Menschen, die auf solche Überweisungen keinen Zugriff haben, während Naturkatastrophen größeren Risiken ausgesetzt sind. Dies behindert die Bemühungen der Gemeinschaft um den Wiederaufbau. Die Schwierigkeiten, während der Pandemie auf Naturkatastrophen zu reagieren, veranschaulichen die dringende Notwendigkeit, die Auswirkungen des Klimawandels und der COVID-19-Pandemiegleichzeitig zu adressieren.
Eine eigeneKlimafinanzierung ist erforderlich, um zu gewährleisten, dass gefährdete Gemeinschaften Zugang zu Geldern für die Klimaanpassung haben. Die Zusagen der Länder mit hohem Einkommen für die Klimafinanzierung haben jedoch nie das benötigte Niveau erreicht, und COVID-19 hat diese Situation nur verschlimmert. Vor COVID-19 haben Länder mit hohem Einkommen bei Klimagipfelnsich Versuchen widersetzt, sich auf die nötige Finanzierung zu verpflichten, u.a. früheren Verpflichtungen, $100 Milliarden bereitzustellen. Jüngste Berichte zeigen, dass die klimaspezifische Finanzierung seitens der Geberländer möglicherweise nicht „neu und zusätzlich“ ist, sondern vielmehr das Ergebnis einer „Plünderung“ von Entwicklungshilfebudgets.
Diese Gelder könnten jetzt noch stärker gefährdet sein, da die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen von COVID-19 Entwicklungshilfebudgets insgesamt unter Druck setzen und die Regierungen der Geberländer existierende Budgets neu ausrichten, um Reaktionen auf COVID-19 zu finanzieren. Dies ist besorgniserregend, weil Gemeinschaften und Individuen speziell für die Klimaanpassung Finanzierung benötigen, die ihnen bei der Anpassung hilft und sie an Ort und Stelle verbleiben lässt, falls sie das möchten. Ohne ausreichende Klimafinanzierung wird klimabedingte Migration wahrscheinlich in größerem Maßstab und unter Zwang stattfinden anstatt freiwillig zu sein.
Wir haben 2020 argumentiert, dass Handeln bei der Risikoreduktion, der Anpassung an den Klimawandel und der Stärkung der Resilienz der Welt helfen würde, sich auf jegliche zukünftigen Auswirkungen von Pandemien vorzubereiten. Dieses Argument bleibt bestehen, aber wie können und sollen die Lehren aus der Pandemie mit den Rahmen und Politiken zur Klimaanpassung verknüpft werden?
DiePandemie hat strukturelle Ungleichheiten verstärkt und Investitionen in einen „grünen“ Aufschwung in großem Maßstab notwendig gemacht. Der Prozess derNationalen Anpassungspläne (NAP) hilft Ländern dabei, mittel- und langfristige Anpassungsstrategien, die den Klimawandel in die Entscheidungsfindung integrieren und die sich in vielfältiger Weise als machbaren Einstieg für Reaktionen auf die Pandemie erweisen könnten, zu identifizieren, zu schaffen und durchzuführen. Diese Strategien könnengefährdete Gemeinschaften erkennen und Gender-Themen anpacken, Mechanismen zur Unterstützung überproportional Betroffener ausfindig machen und mit Akteur_innen im Risikomanagement in Dialog treten. Sie sollten auch, soweit möglich, migrantische Gemeinschaften mit einbeziehen und ihnen Priorität einräumen. Zunächst kann Migration als Klimaanpassungsstrategie fungieren – als Möglichkeit, Einkommen zu diversifizieren, Risiken zu streuen und die negativen Auswirkungen von Umweltveränderungen zu minimieren. Wenn migrantische Gemeinschaften und Migrant_innen selbst die Klimaanpassung zum Schwerpunkt machen, bedeutet das zudem die Priorisierung von Fragen, die während der Pandemie wichtiger denn je geworden sind, u.a. Stadtplanung, Katastrophenrisikominimierung sowie Wasserver- und -entsorgung.
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob solche Lehren aus der Pandemie Teil einer erneuten Debatte über Klimaanpassung und Risikominimierung, besonders auf internationaler Ebene, sein werden.
Politiken mit dem Ziel, die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen,beschränken weiterhin die menschliche Mobilität und haben überproportionale Auswirkungen auf migrantische Gemeinschaften sowie auf Menschen, die vom Klimawandelbetroffen sind. Mit Stand 28. Januar 2021 waren etwa 18% der Grenzübergangsstellen von 182 Ländern, Territorien und Gebieten, die die Internationale Organisation für Migration (IOM) untersuchte, komplett geschlossen, und nur 48% waren in vollem Umfang in Betrieb. Seit April 2020 haben viele Länder ihre Politik geändert, vom Erlass allgemeiner Einreisebeschränkungen bis hin zu spezifischeren „Bedingungen für eine autorisierte Einreise“. Aufgrund von Reiseverboten und Grenzschließungen sind Migrant_innengestrandet und leben in prekären Umständen, in denen sie durch Ausbeutung und Gewalt gefährdet sind. Grenzschließungen und erzwungene Rückführungen von Asylbewerber_innen habeninternationale Organisationen,Fachleute für öffentliche Gesundheit undAktivist_innen, die sich für Geflüchtete einsetzen, veranlasst, Regierungen dringend aufzufordern, den gewaltsamen Umgang mit Migrant_innen und Asylsuchenden zu beenden.
Solche Maßnahmen haben außerdem die Fähigkeit beeinträchtigt, bahnbrechende politische Lösungen, die auf Freizügigkeit beruhen, zu verhandeln. Wenn auch langsam, werden beim Free Movement Protocol (Protokoll über Freizügigkeit) der Intergovernmental Authority on Development (IGAD), das Schutzmechanismen für von Naturkatastrophen und Klimawandel Vertriebene enthält weiterhin Fortschritte erzielt. Der Fahrplan für die Umsetzung des Protokolls wurde im November bestätigt, muss jedoch noch von der Versammlung und dem Ministerrat der IGAD verabschiedet werden. In der Zwischenzeit wurden die Beschränkungen der Mobilität in der IGAD-Region seit April gelockert, aber der IOM zufolge bestehen „verschiedene Restriktionen bei der Mehrzahl der Grenzübergangsstellen an Landgrenzen“. Beispielsweise hat Südsudan seine Landgrenzen wieder geöffnet, aber die Mobilität ist aufgrund der Restriktionen der Nachbarländer weiterhin in beiden Richtungen eingeschränkt. Es bestehen wichtige offene Fragen dazu, wie die menschliche Mobilität sogar nach der Pandemieweiterhin eingeschränkt sein wird – und zwar sowohl kurz- als auch langfristig.
COVID-19 hat wichtige globale Prozesse zu den Themen Klimawandel, Migration und Katastrophenrisikominimierung (disaster risk reduction, DRR) verzögert. Die 26. Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz (COP 26) der Klimarahmenkonvention, die ursprünglich für November 2020 terminiert war, ist bis November 2021verschoben worden. DieSeventh Regional Platform for DRR und dieAsia-Pacific Ministerial Conference on DRR sind ebenfalls verschoben worden, wobei bislang keine neuen Termine bekannt gegeben wurden. Der erste regionale Review desGlobalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM) in der Region der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) fand im Dezember 2020 statt, aber alle anderen Reviews wurden in das laufende Jahr verschoben.
Obwohl wir den regionalen Review-Prozess ursprünglich pessimistisch betrachtet haben, haben mehrere Mitgliedstaaten der UNECE-Region den Klimawandel in ihrenBerichten für den regionalen Review erwähnt. Von den 26Länderberichten erwähnten fünf (Aserbaidschan, Deutschland, Finnland, Irland, Vereinigtes Königreich) den Klimawandel explizit, und einer (Dänemark) erwähnte „Herausforderungen der klimabedingten Migration im Sahel“. Deutschland war in seiner Erörterung der Verknüpfungen zwischen dem Klimawandel und der Migration bei Weitem am stärksten engagiert und erwähnte – anders als alle anderen Berichte – spezifische Handlungen, die das Land bereits unternimmt, um diese Verknüpfungen zu adressieren. Deutschland beschrieb sein Engagement in der Platform for Disaster Displacement, einer von Staaten angeführten Initiative, die Schutzmaßnahmen für von Naturkatastrophen und dem Klimawandel vertriebene Menschen fördert, und stellte verschiedene Programme in den Mittelpunkt, die es umsetzt, um auf Forschung basierende politische Lösungen für klimabedingte Vertreibung zu entwickeln und die Existenzgrundlagen von Menschen, die vom Klimawandel vertrieben wurden, zu sichern. Deutschland erwähnte zudem, dass es das International Federation of Red Cross and Red Crescent Disaster Law Program (Programm zu Katastrophenrecht der Internationalen Rotkreuz‑ und Rothalbmond‑Bewegung) sowie Initiativen unterstützt, die Ländern helfen, in Übereinstimmung mit dem Sendai-Rahmenwerk DRR-Strategien zu entwickeln. Indem es diese Bemühungen hervorhebt, lebt Deutschland anderen Ländern vor, wie man dem Klimawandel und der Migration im Rahmen der GCM-Umsetzung Priorität einräumen kann. Es ist schwierig zu erkennen, ob diese Verknüpfung zwischen Migration und Klimawandel, und der GCM-Review-Prozess ganz allgemein, weiterhin darunter leiden werden, dass COVID-19 sämtliche Aufmerksamkeit beansprucht.
Die Auswirkungen von COVID-19 auf Klimawandel und Migration waren und sind komplex: die Einschränkungen der menschlichen Mobilität wurden sofort umgesetzt und als direkten Versuch, die Pandemie zu bekämpfen, begriffen, wohingegen der Klimawandel zum stillen, depriorisierten Opfer geworden ist. Klimawandel und Migration zu verknüpfen ist entscheidend, um zu verhindern, dass Bemühungen, die Auswirkungen von COVID-19 auf die Migration zu adressieren, die Aufmerksamkeit vom Klimawandel weiter ablenken. Wir formulieren die folgenden Empfehlungen, um Klimawandel stärker mit Migration sowie mit Vorsorge/Reaktion auf Pandemien zu verknüpfen:
Sicherstellen, dass sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um multilaterale Prozesse zu Klimawandel, Migration und Katastrophenrisikominimierung weiterzuführen und dabei ursächliche Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Naturkatastrophen, Reaktionen auf die Pandemie und Migration herauszustellen;
Sich dafür einsetzen, dass von COVID-19 verschärfte Ungleichheiten als Hauptauswirkungen der Pandemie verstanden werden. Sie müssen als Teil der Reaktion auf COVID-19 adressiert werden, einschließlich Ungleichheiten in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels und die Rechte von Migrant_innen;
Einlösen finanzieller Verpflichtungen, besonders der Länder mit hohem Einkommen, in den Bereichen Klimawandel und Entwicklungshilfe/humanitäre Hilfe, indem verhindert wird, dass ihre Finanzierung stattdessen für nationale Reaktionen auf COVID-19 ausgegeben wird;
Sicherstellung der Rechte von Menschen, die während der Pandemie vom Klimawandel vertrieben oder zum Umzug gezwungen wurden, indem man die Auswirkungen des COVID-19-Ausbruchs und der Reaktion darauf auf häufig fragile Existenzgrundlagen unterstreicht.
Autor_innen:
Kayly Ober ist Senior Advocate und Programmmanagerin des Climate Displacement Program bei Refugees International
Miriam Ernest ist Praktikantin im Climate Displacement Program bei Refugees International
Jacqueline Kessler ist Praktikantin im Climate Displacement Program bei Refugees International
Dieser Artikel ist Teil einer Serie der Global Coalition on Migration und der Friedrich-Ebert-Stiftung über internationale Migration während der COVID-19-Pandemie. Sie analysiert die Auswirkungen der Pandemie auf den Schutz internationaler Migrant_innen; Schwerpunkte sind dabei verschiedene Instrumente der Menschenrechte, internationales Recht, der Globale Pakt sowie internationale Übereinkommen, die die Rechte von Migrant_innen schützen. Die Artikel behandeln verschiedene Themen, u.a. Geschlecht, Arbeit, Regularisierung, Rasse, Fremdenfeindlichkeit, Sicherheit, Grenzen, Zugang zu Dienstleistungen sowie Inhaftierung.
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