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Ausgerechnet die Themen mit der momentan größten Sprengkraft in Europa, Flucht- und Migration, verleihen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU neuen Antrieb: Was paradox erscheint, erscheint auf den zweiten Blick doch logisch.
Bild: Bild: LE Eithne Operations 28 June 2015 Urheber: Irish Defence Forces Lizenz: CC BY 2.0
Gibt es sie noch, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU? Außen- und Sicherheitspolitik gehören zum Kern der Souveränität, weshalb Staaten in diesem Bereich besonders vorsichtig Kooperationen eingehen. Eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa stand die längste Zeit im Schatten der NATO; während des Kalten Krieges sowieso und auch die Verwerfungen des Westens mit Russland schienen eher das Nordatlantische Militärbündnis zu beflügeln als der GSVP Auftrieb zu verleihen.
Angesichts der verbreiteten EU-Skepsis sowohl in den Regierungen als auch bei den Bürger_innen und dem Gefühl, dass momentan alles in der EU auf dem Prüfstand steht, überrascht es zunächst, dass sich gerade im Bereich der GSVP etwas zu bewegen scheint. Genau diese Entwicklung jedoch beobachtet Steven Blockmans, verantwortlich für EU-Außenpolitik bei der Brüsseler Denkfabrik CEPS, und rekonstruiert sie in seiner Kurzstudie „New Thrust for the CSDP from the Refugee and Migrant Crisis". Der Grund für die erhöhte Bereitschaft die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszubauen: die Flüchtlings- und Migrationskrise.
Paradox scheint dies nur auf den ersten Blick. Denn obwohl die Konflikte in der EU in der jüngsten Zeit vor allem mit dem Zuzug von Flüchtenden zu tun haben, zeigt sich in dieser Krise auch, dass die Kontrolle der EU-Außengrenzen eine intensivere Zusammenarbeit bedingt, insbesondere bei der „blauen Grenze“ im Mittelmeer. Zumindest ist das so, wenn man nicht die offenen Grenzen im Schengen-Raum aufgeben will. Und so gibt es also auch in souveränitätssensiblen Bereichen wie dem Grenzschutz Fortschritte für die GSVP.
Blockmans führt als zentrales Beispiel die Operation „Sophia“ an und im Zusammenhang damit die „Entstehung einer halbmilitärischen Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenschutz“. Diese gegen Schleuser gerichtete Operation im Mittelmeer zwischen Italien, Tunesien und Libyen ist nicht die erste militärische Aktion der EU. Auch in Bosnien-Herzegowina und vor der Küste Somalias gibt es derzeit militärische Einsätze im Rahmen der GSVP. Vor allem die Anti-Piraterie Mission „Atalanta“ im Golf von Aden habe eine wichtige Grundlage für „Sophia“ und für „maritime Sicherheit“ allgemein geliefert, so Blockmans. Besonders hebt er die kurze Zeitspanne zwischen Beschluss und Entsendung der Mission hervor. Diese sei bemerkenswert – wenn dabei auch zahlreiche Fehler gemacht worden seien, nicht zuletzt im Bereich der Kommunikation: die Operation sei anfangs schlicht als „Schiffe versenken“ verstanden worden.
„Sophia“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie von einer Resolution des Sicherheitsrats unter Kapitel 7 der UNO-Charta zur „Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit“ gedeckt ist. Das bedeutet vor allem, dass der Einsatz militärischer Mittel auch außerhalb internationaler Gewässer (zum Beispiel in libyschem Hoheitsgebiet) erlaubt ist. Blockmans zufolge hat die Verunsicherung aufgrund der Fluchtbewegungen dazu geführt, dass die EU-Staaten nun „gewillt sind, auf robustere EU-Aktionen hinzuwirken“. Insofern ist der Einsatz im Mittelmeer auch ein wichtiger Impuls für die neue Agentur für Grenz- und Küstenschutz. Sie wird auf Frontex aufbauen und auch tätig werden können, wenn einzelne EU-Staaten nicht in der Lage sind, den Grenzschutz wirksam aufrecht zu erhalten.
Hier stellt sich die Frage nach der Militarisierung der EU-Politik in diesem Bereich. Schon Frontex wurde wohl mehr kritisiert als jede andere EU-Agentur. Eine Organisation, deren Mandat noch weiterreicht, wird sich vermutlich noch größerer Kritik ausgesetzt sehen. Zwar ist die Kritik an Frontex in vielerlei Hinsicht überzogen, Frontex und auch die neue Agentur haben im Vergleich zu einzelnen Staaten sehr eingeschränkte Rechte und Mittel. Doch sieht man sich hier einmal mehr mit dem „Integrationsdilemma“ konfrontiert: Entweder gehen die europäischen Staaten ihre eigenen Wege. Oder sie stimmen sich ab, bauen Institutionen auf, die diese Kooperation verstetigen – und begründen so eine Großorganisation, die zumindest gefühlt noch weiter von den Bürger_innen und legitimen Kontrollinstitutionen entfernt ist. Die GSPV sollte darum zusammen mit der europäischen „Innenpolitik“, das heißt dem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ entwickelt werden – und entsprechend auch die weitere Demokratisierung der EU.
Weiterführende Links:
Claire Hajaj, Tuesday Reitano: Caught in the Crossfire – United Nations Security and Policy Perspectives on the Refugee Crisis, FES 2016
Ansprechpartner in der Friedrich-Ebert-Stiftung:
Anna Maria Kellner
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