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Unterscheiden sich Frauen und Männer in ihren Einstellungen zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit, Migration, Klimaschutz oder Finanzpolitik? Wir haben die Daten aus sieben verschiedenen Umfrageprojekten analysiert.
Die Studie untersucht anhand der Daten aus sieben verschiedenen Umfrageprojekten Geschlechterunterschiede in politischen Einstellungen. Die Unterschiede fallen zwar nicht besonders hoch aus, deuten aber fast alle in die gleiche Richtung: Frauen sind progressiver eingestellt als Männer; sie sorgen sich mehr um Minderheiten und legen größeren Wert auf soziale Gerechtigkeit.
Ausgewählte Ergebnisse der Studie präsentieren wir auf dieser Seite, die gesamt Studie ist hier abrufbar.
Gender-Pay-Gap, Gender-Pension-Gap, Gender-Care-Gap – mit Blick auf strukturelle Ungleichheiten könnten Frauen viele Gründe haben, sich in gesellschaftspolitischen Fragen anders zu positionieren als Männer. Die Studie geht der Frage nach, ob Frauen und Männer sich in ihren Einstellungen zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit, Migration, Klimaschutz oder Finanzpolitik unterscheiden und ob damit eventuell bestehende Unterschiede in der Wahlpräferenz korrespondieren.
Hierfür untersuchen wir quantitative Daten, die im Rahmen verschiedener Projekte der Friedrich-Ebert-Stiftung zwischen 2021 und 2024 zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten erhoben wurden. Die Datensätze entstanden aus repräsentativen Befragungen von Menschen in Deutschland über 18 Jahre.
Gesamtgesellschaftlich sehen wir in vielen aktuellen Umfragen, dass viele Menschen in Deutschland eher pessimistisch in die Zukunft und skeptisch auf die Politik blicken. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik bezüglich zukünftiger Herausforderungen ist unter dem Eindruck multipler Krisen der vergangenen Jahre stark gesunken. Im Oktober 2018 noch hatten „nur“ 37 Prozent der Befragten kein Vertrauen in die Politik, im Januar 2023 waren dies schon 43 Prozent. In dieser Erhebung gaben nur noch 39 Prozent der Befragten an, Vertrauen in die Politik zu haben, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Zwischen den Geschlechtern finden wir hier keine nennenswerten Unterschiede. Diese finden wir jedoch, wenn wir uns dem Thema sozialer Gerechtigkeit zuwenden: Im Vergleich zu Männern empfinden Frauen Deutschland als weniger gerecht. Der Aussage „Alles in allem geht es in Deutschland gerecht zu.“ stimmen nur 40 Prozent der Frauen „eher/voll und ganz“ zu, Männer zu 45 Prozent. Besonders auffällig ist dabei, dass 23 Prozent der Frauen der Aussage, in Deutschland gehe es gerecht zu, „überhaupt nicht“ zustimmen, aber nur 16 Prozent der Männer.
In diesem Zusammenhang lässt sich auch stellen, dass Frauen den Staat stärker in der Verantwortung sehen, Einkommensunterschiede in Deutschland zu verringern. Dies kann am gut dokumentierten Gender-Pay-Gap liegen, der viele Ursachen hat, u.a. die Tatsache, dass Frauen häufiger in schlechter bezahlten Jobs arbeiten als Männer. Dies ist oftmals in der Pflege oder im Gesundheitsbereich der Fall. Frauen stellen über 70 Prozent der Arbeitskräfte in der Erwerbsklasse der soziokulturellen Expert_innen wie Pflegefachkräfte oder Erzieher_innen. Als Beschäftigte im sozialen Sektor sind damit überwiegend Frauen von der weiter bestehenden sektoralen Lohnlücke im Vergleich zu anderen Sektoren betroffen. Obwohl diese über die Zeit abgenommen hat, betrug sie im Jahr 2021 noch 17 Prozent. Tätigkeiten werden im sozialen Sektor damit monetär weniger wertgeschätzt – das wirkt sich auf die ökonomische Eigenständigkeit von Frauen aus, die dazu häufig auch in Teilzeit tätig sind Daher verwundert es auch nicht, dass Frauen sich besonders für diesen Bereich mehr staatliche Investitionen wünschen. Zwar priorisieren auch Männer diesen politischen Handlungsbereich, aber wesentlich weniger stark als Frauen.
Die unterschiedlichen Einstellungen hinsichtlich ökonomischer Ungleichheit ziehen sich wie ein roter Faden durch die Analyse. In allen Bereichen – sowohl bei der Einschätzung der aktuellen als auch der zukünftigen finanziellen Lage – machen Frauen deutlich häufiger negative Angaben. Von den weiblichen Befragten geben 52 Prozent an, finanziell unter Druck zu stehen, während dies nur auf 43 Prozent der Männer zutrifft. Ähnlich verhält es sich beim finanziellen Spielraum mit dem monatlich zur Verfügung stehenden (Erwerbs-)Einkommen: 61 Prozent der Männer geben an, am Ende eines Monats in der Regel Geld zurücklegen zu können, bei Frauen trifft dies nur auf 52 Prozent der Befragten zu 36 Prozent der befragten Frauen reicht das ihnen zur Verfügung stehende Geld monatlich aus, um die laufenden Kosten zu decken, 8 Prozent müssen regelmäßig auf Ersparnisse zurückgreifen .
Auffallend ist, dass Frauen die Rechte von Minderheiten stärker am Herzen liegen als Männern: sie bewerten die gleichgeschlechtliche Ehe deutlich positiver (66 Prozent) als Männer (54 Prozent) und messen den Rechten gleichgeschlechtlicher Paare eine größere Bedeutung bei. Sie empfinden zudem den Schutz von Minderheiten insgesamt ist Deutschland als einen wichtigen Baustein einer offenen und freien Gesellschaft – mehr, als Männer dies angeben. Diese progressiveren Einstellungen von Frauen sind in der Umfrage- und Geschlechterforschung durchaus belegt. Die Salienz von Themen wie Gleichberechtigung und geschlechtergerechter Politik kann auch Wahlergebnisse beeinflussen, wobei Frauen Parteien bevorzugen, die diese Themen stärker betonen.
Schlagen sich die festgestellten progressiveren Tendenzen von Frauen auch in deren Wahlverhalten nieder? Hierfür haben wir die berichtete Wahlpräferenz in ausgewählten Datensätzen untersucht. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind dabei ambivalent. Einerseits gibt es wenig Unterschiede wenn es um die Präferenz einer der Mitte-Links-Parteien geht: die Unterschiede zwischen Männern und Frauen liegen hier lediglich zwischen 2,5 Prozent und 0,5 Prozent. Der Unterschied bei der Wahl von Mitte-rechts-Parteien dagegen ist ungleich größer mit Werten zwischen 2,4 Prozent und 7,1 Prozent. Das heißt, Frauen lehnen Mitte-Rechts-Parteien stärker ab als Männer.
Besonders spannend ist die berichtete Wahlpräferenz mit Blick auf populistische Parteien, in den vorliegenden Daten die AfD und das BSW. Besonders für die AfD gilt eine Abneigung auf Seiten der Wählerinnen: Hier geben Männer mit einem Unterschied zwischen 5,4 Prozent und 8,5 Prozent eine höhere Wahrscheinlichkeit an, jemals für diese Partei zu stimmen als Frauen. Dieser Wert bzgl. einer „populistischen Parteienfamilie“ verändert sich jedoch dramatisch im Datensatz „Welche Träume bewegen Deutschland?“, bei dem erstmals auch Werte für das BSW erhoben wurden. Der Unterschied beträgt hier nur noch 0,8 Prozent. Dieser Befund kann ein Indiz dafür sein, dass beim BSW von Wähler_innen noch inhaltliche Unschärfen in zentralen Politikfeldern wahrgenommen werden. In diese Leerstellen werden dann gegebenenfalls persönliche Wünsche projiziert.
Insgesamt lässt sich also konstatieren, dass sich die progressiveren Einstellungen von Frauen zwar in einer höheren Ablehnung von Mitte-rechts-Parteien und – vom BSW abgesehen – auch der AfD widerspiegeln. Aber sie führen nicht zu einer wesentlich höheren Wahrscheinlichkeit, Mitte-links-Parteien ihre Stimme zu geben. Für Parteien in diesem Spektrum bedeutet dies, dass sie ihre inhaltliche Kongruenz mit der Wählerinnenschaft nicht in Wahlwahrscheinlichkeit umsetzen können.
Die systemischen Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen bestehen weiter und zeigen sich in den untersuchten Daten dezidiert in den Einstellungen und Haltungen von Frauen. Insbesondere die großen Lücken in der ökonomischen Gleichstellung, die bestehende Segregation auf dem Arbeitsmarkt und die fehlende politische und wirtschaftliche Anerkennung der unbezahlten Sorgearbeit sind hier als Ursachen zu nennen.
Bei allen Mängeln und Handlungsbedarfen ist dies auch eine positive Nachricht: Politische Akteur_innen aus dem progressiven Spektrum könnten hier profitieren und Konzepte kommunikativ in den Vordergrund stellen, die Lösungen aufzeigen. Wenn Frauen durchgehend tendenziell eher soziale Ungerechtigkeiten sehen und anprangern oder ein progressiveres Gesellschaftsbild verfolgen als Männer, ist es notwendig, diese Haltungen auch in die politischen Verteilungsdebatten einzubringen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unterstreichen die dringende Notwendigkeit, gezielte politische Maßnahmen zu entwickeln, die Geschlechtergerechtigkeit fördern und die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen beider Geschlechter berücksichtigen. Besonders in den Bereichen finanzpolitische Bildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Klimapolitik liegt erhebliches Potenzial, bestehende Ungleichheiten zu reduzieren und die politische Partizipation von Frauen zu stärken.
Dabei sind viele konkrete Handlungsbedarfe auf Policyebene bereits bekannt. Um die Gender-Gaps zu verringern, bräuchte es unter anderem eine Reform des Ehegattensplittings, eine Reform der Minijobs und der beitragsfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung, eine verbesserte Kinderbetreuungsinfrastruktur und eine Reform des Elterngeldes hin zu einer erhöhten Übernahme von Sorgeverantwortung durch Väter. Eine Klimapolitik, die Geschlechtergerechtigkeit vergrößert, und eine Sicherung von Parität in politischer Repräsentation und Klimaverhandlungen könnte der Haltung von Frauen entsprechen. Auch eine Wirtschafts- und Steuerpolitik, die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt, könnte für Frauen attraktiv sein.
Über die Autor:innen
Annika Arnold ist Referentin für Empirische Sozial- und Trendforschung im Referat Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor war sie, nach wissenschaftlicher Tätigkeit an der Universität Stuttgart, Referentin im Landesbüro Nordrhein-Westfalen der FES.
Marko Miljević schließt derzeit sein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz ab. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen insbesondere auf den quantitativen Methoden der Sozial- und Politikwissenschaften. Hier unterstützt er die empirischen Analysen im Referat Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Vanessa Kiesel ist Referentin für Familien- und Geschlechterpolitik im Referat Politische Beratung und Impulse. Zuvor war sie in der politischen Bildungsarbeit der FES tätig.
Ansprechpartnerinnen in der FESannika.arnold(at)fes.de
Vanessa.kiesel(at)fes.de
Arnold, Annika; Milijević, Marko; Kiesel, Vanessa
Eine geschlechterspezifische Analyse gesellschaftspolitischer Umfragedaten / Annika Arnold, Marko Milijević, Vanessa Kiesel ; Herausgeberin: Abteilung Analyse, Planung und Beratung. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, 2024. - 34 Seiten = 3,7 MB PDF-File. - (FES diskurs)Electronic ed.: Berlin : FES, 2024ISBN 978-3-98628-645-3
Zum Download (PDF) (3,7 MB PDF-File)
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