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Ein Dokumentarfilm über weibliche Bundestagsabgeordnete reüssiert zurzeit in den Programmkinos. Anhand von Filmausschnitten und Interviews zeigt „Die Unbeugsamen“, wie sich Frauen im Deutschen Bundestag gegen Widerstände, Vorurteile und Sexismus durchsetzen mussten. Sie standen und stehen damit ganz in der „Tradition“ der ersten weiblichen Reichstagsabgeordneten, wie sich am Beispiel der Politikerin Luise Zietz zeigen lässt, die vor 100 Jahren verstorben ist.
„Eine bleiche, hagere Frau mit gelben Wangen, die von Hunger, von dumpfer, enger Behausung erzählen, mit wild flackernden Augen, in denen Flammen des Hasses lodern“ – hier zeichnet der „Sozialdemokrat“ vom 27. 1. 1947 kein besonders sympathisches, einnehmendes Bild, er fährt aber weiter fort: „des Hasses gegen Unrecht, Willkür, Tyrannei, Armut und Elend, eine Kämpferin in deren leidenschaftlicher, ungebändigter Rede sich Barrikaden türmen – das ist Luise Zietz.“
In der Tat: Luise Zietz war eine große Kämpferin. Ihr Werdegang bis in die Führung der Sozialdemokratischen Parteien ist ungewöhnlich und durch ihren unermüdlichen Einsatz für die Sache der Arbeiter_innen erkämpft. Luise Körner – 1865 als Tochter eines Hauswebers in Bargteheide bei Hamburg geboren – muss schon als Kind mitarbeiten und zum Familienunterhalt beitragen. Aufgeweckt und lernbegierig nutzt sie die kleine Bibliothek ihres Lehrers, um ihren Lesehunger zu stillen. Mit 14 Jahren geht sie als Dienstmädchen nach Hamburg, arbeitet dann als Tabakarbeiterin, bis sie an der Hamburger Fröbelschule eine Ausbildung als Kindergärtnerin absolvieren kann – für eine junge Frau ihrer Herkunft keine Selbstverständlichkeit.
Durch eine kurze Ehe mit dem Hafenarbeiter Carl Zietz kommt sie in Kontakt mit der Arbeiterbewegung und den sozialistischen Ideen. Sie ist begeistert von Bebels Bestseller „Die Frau und der Sozialismus“. Ihr politisches Engagement beginnt. Mit ihren Reden versucht sie, gerade Arbeiterfrauen zu erreichen, ermutigt sie, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und sich gewerkschaftlich zu organisieren. Im Hafenarbeiterstreik 1896/97 ruft sie dazu auf, die streikenden Männer zu unterstützen und im Kampf für die Sache nicht nachzulassen. Sie organisiert eigene Veranstaltungen für die Frauen und füllt die Säle. In Hamburg als aufreizende Agitatorin polizeibekannt, reicht ihr Ruf nun über die Grenzen der Stadt hinaus.
Luise Zietz wird Berufspolitikerin: als Rednerin reist sie durch die Lande, hat bis zu 200 Auftritte im Jahr. Sie versucht, ihre Zuhörerinnen über ein Abonnement der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ an die SPD zu binden. In zahllosen Beiträgen darin thematisiert sie die Lage der arbeitenden Frau: Heimarbeit, mangelnder Arbeitsschutz, dürftiger Mutter- und Säuglingsschutz, die desolate Situation lediger Mütter, die Ausbeutung der Dienstmädchen. Ihre Artikel sind nicht theorielastig, sondern zielen auf Realitätsnähe und Verständlichkeit, sparen jedoch nicht mit sozialistischem Pathos.
Die Agitatorin wird „Vertrauensperson der Sozialdemokratinnen“ in Hamburg, ist regelmäßig Parteitagsdelegierte und wird 1908 zum ersten weiblichen Mitglied im SPD-Parteivorstand gewählt. Nach der Verabschiedung des Reichsvereinsgesetzes können nun auch Frauen offiziell Parteimitglied werden, und als Parteisekretärin ist es Aufgabe für Luise Zietz, die Frauen in die Organisation zu integrieren. Sie setzt sich damit gegen Clara Zetkin durch, die als Vertreterin der revolutionären Linken von der Parteiführung kritisch gesehen wird.
Wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg ist sie im Ersten Weltkrieg erbitterte Kriegsgegnerin und stimmt 1914 im Parteivorstand gegen die Bewilligung von Kriegskrediten. Gleichwohl verhält sie sich loyal zur Parteilinie und ermuntert in der „Gleichheit“ die Genossinnen zur Zusammenarbeit mit dem patriotisch motivierten, bürgerlichen Nationalen Frauendienst. 1915 unterstützt sie Karl Liebknecht in seiner Kritik an der Kriegspolitik der Partei; sie versucht Kontakt zur Sozialistischen Internationalen zu halten. 1916 schließlich verbietet ihr die Parteileitung, Vorträge zu halten, Anfang 1917 wird sie als Parteisekretärin abgesetzt. Konsequent beteiligt sich Zietz an der Gründung der USPD, wird geschäftsführende Sekretärin und Frauensekretärin und veröffentlicht jetzt ihre Artikel in der USPD-Frauenzeitung „Die Kämpferin“. 1919/20 zieht sie als Abgeordnete in die Weimarer Nationalversammlung ein.
Luise Zietz ist ganz offenbar eine starke, selbstbewusste Frau, überzeugte Sozialistin, unerschrocken in der Auseinandersetzung. Vielleicht gerade deswegen greifen ihre Zeitgenoss_innen immer wieder auf Äußerlichkeiten zurück, um sie zu beschreiben, eher: zu diskreditieren. Lilly Braun, Genossin in der SPD, bescheinigt ihr „vermännlichte Züge“ und vermisst „jede Spur von Weiblichkeit“.
Die Tatsache, dass die Abgeordneten ohne die Verstärkung eines Mikrofons mit lauter Stimme sprechen müssen, um im Parlament überhaupt durchzudringen, wird – was die weiblichen Abgeordneten betrifft - von der Presse mit Vorliebe als Hysterie diffamiert. Luise Zietz wird als „kreischende Zwischenruferin“ bezeichnet, die wohl ihrer „frauenhaften Hemmungslosigkeit“ ausgeliefert sei. Ihre Redebeiträge werden vom politischen Gegner mit Zwischenrufen „Hier zieht’s, Frau Zietz“ gestört.
Tatsächlich kämpft Zietz als Abgeordnete weiter für die Belange der Frau. Vor allem in der Debatte um den Grundsatz der Geschlechtergerechtigkeit bezieht sie Position und fordert (letztlich erfolglos) mit Marie Juchacz (SPD) die Streichung des Wörtchens „grundsätzlich“ in Art. 109 der Verfassung und damit die Formulierung „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte.“
Anlässlich dieser Debatte spricht ihr Adolf Stein – viel gelesener konservativer Journalist der Weimarer Republik – jede Anmut ab: „Wenn man ihr muskulöses breites Gesicht ohne Zucken als Sprechmaschine dienen sieht, aus der in harten Lauten immer wieder ein Stück Erfurter Programm hervorquillt, wenn man ihre kräftigen Arme stoßweise die Luft hämmern sieht, als wolle sie Hufeisen schmieden, so hat man unbedingt den Eindruck, daß ein Mann einem gegenübersteht, der nur in Ermangelung von Hosen sich in das lange Weibergewand geworfen hat […] Sie ist eine etwas beschränkte Proletarierfrau, die von Mutter Natur eine übergroße Menge […] männliche Moleküle mitbekommen hat und in ihrem männlichen Amt als Parteisekretär der Unabhängigen immer noch mehr verholzt“ sei.
Im Zuge einer Diskussion um die sogenannte „Schwarze Schmach“ (die französische Besatzung des Rheinlands durch zum Teil marokkanische Soldaten) 1920 bricht eine üble Schmutzkampagne gegen Luise Zietz los. Sie hatte sich in der von Ekel und Rassenhass geprägten Parlamentsdebatte gegen jeden Rassismus gewandt und Gräueltaten jedweder Urheberschaft scharf verurteilt:„Die deutschen Soldaten haben genau die gleichen Greueltaten im besetzten Frankreich begangen wie die heute vorgetragenen. Die deutsche Kolonialpolitik ist eine ununterbrochene Kette von Verbrechen gegen die Schwarzen. Der Schwarze ist durchaus kulturfähig und treu.“ Die erboste Reaktion der bürgerlichen Presse gipfelt in einer Karikatur im „Simplicissimus“, begleitet von einem Schmähgedicht. Ein Shitstorm der ersten Stunde.
Luise Zietz erleidet am 26. Januar 1922 im Plenarsaal des Reichstages einen Schlaganfall und verstirbt am nächsten Tag. Nicht nur die USPD-Zeitung „Freiheit“ widmet ihr einen ausführlichen Nachruf, auch die SPD-Frauenzeitschrift „Gleichheit“ gedenkt der ehemaligen Genossin. Noch 1952 erinnert der „Neue Vorwärts“ an ihrem 30. Todestag an die „bedeutende Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung“ und die „unter den weiblichen Abgeordneten markanteste Figur“.
Gabriele Rose
Ausführliche Literatur über Luise Zietz finden Sie hier.
Broschüren und Aufsätze von Luise Zietz können Sie hier abrufen.
Als Redakteurin der „Gleichheit“ veröffentlichte Luise Zietz eine Vielzahl von Beiträgen. Recherchieren Sie in der „Historischen Presse der deutschen Sozialdemokratie online“.
Die Nachrufe auf Luise Zietz finden Sie ebenfalls dort:
Nachruf in Die Freiheit (USPD)
Nachruf in Die Gleichheit (SPD)
Für den Hinweis auf die Schmutzkampagne 1920 bedanke ich mich bei Olaf Guercke. Das genannte Titelblatt des Simplicissimus findet man hier.
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