In SPD und ADGB verankert – also ein Sozialist?
Als Lothar Erdmann Ende 1918 wieder deutschen Boden betrat, war der Krieg vorbei und das Reich eine Republik. Beeindruckt von der Revolution befasste er sich mit den Parteien und entschied sich für die SPD. Der Sozialismus hätte je nach Auslegung auch zur KPD führen können, doch Erdmann war eben auch national und bürgerlich geprägt. Das Bürgerliche hingegen hätte zur DDP, DVP oder gar DNVP führen können, doch er war eben auch vom Sozialismus begeistert.
Beruflich musste sich Erdmann in den ökonomisch schwierigen ersten Jahren der Republik umsehen, wo er unterkommen konnte. Er wäre gerne bei der politisch einschlägigen Presse tätig geworden; sein Traum war es immer, als freier Schriftsteller wirken zu können, aber beides war trotz Romanentwürfen unerreichbar. 1921 gelang es ihm, in die Presseabteilung des IBG in Amsterdam einzusteigen. Schwierig war nicht zuletzt die räumliche Trennung von der Ehefrau, die er respektierte und liebte, aber bei der er sich immer im Schatten des verstorbenen besten Freundes fühlte. 1923 wurde er für den ADGB in Berlin tätig – als Redakteur des eigens gegründeten Theorieorgans „Arbeit“. 1925 konnte er endlich dauerhaft mit seiner Familie zusammenleben: In Berlin hatten sie ein Haus gekauft.
Durch die besondere Position als eine Art Theoretiker war es Erdmann möglich, dauerhaft in die engsten Kreise von SPD und ADGB Einblick zu erhalten und zu wirken. Aufgrund der Verortung als „nationaler Sozialist“, also weit auf dem rechten Flügel von Partei und Gewerkschaften, eckte er regelmäßig an. Was ihn persönlich verletzte und seine in Schüben wiederkehrenden Depressionen verstärkte; dies sollte vor allem nach dem reichsweiten Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 problematisch werden. Er war nicht naiv, schließlich hatte er die politischen Kämpfe am Ende der Weimarer Republik miterlebt und stand selbst mitunter vorne und äußerte sich unmissverständlich. 1933 hoffte Erdmann anfangs dennoch auf den linken Parteiflügel der NSDAP, sah dann aber die rasche Zerschlagung von Gewerkschaften, SPD und schließlich auch die Verfolgung seiner eigenen Person. Auch wenn er nationaler Sozialist war, blieb für die Nationalsozialisten bestimmend, dass er an der Spitze der Arbeiter_innenbewegung aus Sozialdemokratie und Gewerkschaften mitgewirkt hatte. Mehrfach verhaftet und beruflich ausgegrenzt verstarb er 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen.
Lothar Erdmann: Ein Leben der Widersprüche?
Dieses sehr früh an sein Ende gelangte Leben Lothar Erdmanns erscheint schnell als widersprüchlich: Ein Bürgerlicher in der Arbeiter_innenbewegung; ein Nationalist und zugleich Sozialist; ein Intellektueller mit etlichen Möglichkeiten, der aber depressiv und oft passiv blieb. Vielleicht aber ist dieses Leben kein Leben der Widersprüche, sondern besaß eine innere Logik: Ein Bürgerlicher, der sich im Bürgertum unwohl fühlte und den sozialen Zielen der Arbeiter_innenbewegung zuneigte; ein an nicht ausreichender zwischenstaatlicher Zusammenarbeit Verzweifelnder, der soziale Projekte nur im nationalen Rahmen für möglich umzusetzen ansah; ein von Haus aus intellektuell Geprägter, der vom Tod der Mutter, der Gefühlskälte des Vaters sowie der empfundenen zweiten Rolle für die Ehefrau immer wieder niedergedrückt wurde.
Daniel Meis
Weiterführende Quellen und Literatur:
Die Tagebücher Lothar Erdmann sind in der vergriffenen Edition Ilse Fischers als Anhang ihrer Erdmann-Biografie teilweise veröffentlicht. Der Verfasser bereitet mit einer Kollegin gerade eine neue, vollständige Edition vor. Die Tagebücher liegen im Original im AdsD und dem DGB-Teilarchiv vor.
Lothar Erdmanns eigene Publikationen vom Buch bis zum Pressebeitrag, hier in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Eine kleine Fotogalerie zur Zeitschrift "Die Arbeit" und Lothar Erdmann findet sich hier.
Fischer, Ilse: Versöhnung von Nation und Sozialismus? Lothar Erdmann (1888–1939). Biographie und Auszüge aus den Tagebüchern (= Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 23/Veröffentlichungen aus dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Heft 3), Bonn 2004.
Schröder, Doris: Erdmann, Lothar, in: Mielke, Siegfried (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, Band 1, Berlin 2002, S. 56–67.