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Ein Interview mit Johannes Hillje, der für das Progressive Zentrum Menschen in rechtspopulistischen Hochburgen über Unmut und Ängste befragte.
Bild: von Progressives Zentrum
Menschen in strukturschwachen Regionen mit hohem Anteil rechtspopulistischer Wähler_innen fühlen sich von der Politik verlassen. Das ergab eine Befragung des Progressiven Zentrums von 500 Personen in 12 Kommunen Deutschlands und Frankreichs, in denen Rechtspopulist_innen viele Stimmen gewonnen haben. Wir sprachen mit dem Hauptautor der Studie Johannes Hillje.
FES: Für die Studie wurde an 500 Haustüren in Frankreich und Deutschland geklingelt. Wie offen waren die Bewohner_innen und wie verliefen die Gespräche mit ihnen?
Hillje: Wir haben insgesamt an 5.000 Türen geklopft, daraus sind die 500 Gespräche entstanden. Diese Erfolgsquote liegt im Bereich des Normalen von qualitativer Sozialforschung, also unsere Zielgruppe war nichts besonders redeunwillig. Im Gegenteil: Wenn sie reden wollten, dann haben sie sehr offenherzig und lange erzählt. Die Gespräche dauerten im Durchschnitt über 25 Minuten. Das zeigt, dass diese Menschen einen großen Redebedarf haben und wahrgenommen werden wollen – wenn man mit ihnen statt über sie spricht.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Missstände vor Ort der Grund für die politische Unzufriedenheit vieler Menschen sind und nicht etwa Fremdenfeindlichkeit. Woran machen Sie diese Erkenntnis fest?
Es gibt drei Deutungsmuster, die wir bei den Menschen identifiziert haben. Das ist erstens eine „Vergleichende Abwertungslogik gegenüber Migrant_innen“ auf der eher abstrakten bundespolitischen Ebene. Die Abwertung von Migrant_innen ist dabei die Folge einer eigenen Abwertungserfahrung, weil die eigenen Probleme (wie zum Beispiel Erwerbsarmut) von der Politik nicht anerkannt und gelöst werden. Zweites, wird der Frust darüber, dass diese spürbaren Probleme nicht gelöst werden, dadurch verstärkt, dass andere Themen wie die Außenpolitik oder wiederum die Flüchtlingspolitik eine zu hohe Priorität bekommen. Und drittens, haben die Menschen das Gefühl von Sozial- und Verkehrsinfrastruktur verlassen zu sein, also der Einkaufsladen um die Ecke hat zugemacht oder öffentliche Briefkasten wurde abmontiert. Insgesamt fühlen sich diese Menschen abgewertet, sowohl hinsichtlich ihrer Arbeit als auch ihres persönlichen Umfelds. Und als Reaktion darauf werten sie Migrant_innen ab.
Wenn viele Bürger_innen kritisieren, dass in der öffentlichen Debatte nicht die Themen dominieren, die vor Ort als wichtig angesehen werden (zum Beispiel der Rückbau der Infrastruktur), sondern andere (zum Beispiel Migration), haben wir dann zu viel über Flucht, Migration und Integration gesprochen? Oder zu wenig, wenn gleichzeitig die Menschen Angst haben, zu kurz zu kommen, weil viel Geld in die Aufnahme von Geflüchteten fließt?
Die Medienagenda ist meines Erachtens oftmals von Hypes getrieben und die Berichterstattung neigt dann dazu, monothematisch zu werden. Migration war in den letzten Jahren zu Recht ein Megathema, aber zusätzlich gibt es Themen, die schon seit Jahren gesellschaftlich höchst relevant sind, aber oftmals mangels aktuellen Anlasses kaum im Diskurs vorkommen. Erwerbsarmut, Infrastruktur, Klimawandel oder Bildungspolitik sind Beispiele dafür. Sie können die Anzahl der Talkshows, die es im letzten Jahr zu diesen Themen gab, an einer Hand abzählen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein anderer Befund unserer Studie: Einige zentrale Narrative von Rechtspopulist_innen wie die Skepsis gegenüber Europa, aber auch eine drohende Islamisierung oder eine pauschalisierte Medienkritik spielen in der Wahrnehmung und Sinnstiftung der Menschen kaum eine Rolle. Das heißt: Andere Parteien sollten kritisch hinterfragen, ob Narrative von Populist_innen, die auf mediale Resonanz stoßen, tatsächlich auch von den Bürger_innen übernommen werden, bevor sie diesen hinterher laufen.
Welche Schlussfolgerungen können aus den Ergebnissen gezogen werden? Kann man also Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit durch eine bessere Sozialpolitik zurück drängen?
Rechtspopulist_innen profitieren von der „politischen Verlassenheit“, die durch das Verschwinden von Infrastruktur und durch die mangelnde Repräsentation der Probleme der dort lebenden Menschen im Diskurs entstanden sind. Rechtspopulist_innen locken mit dem Versprechen, diesen Menschen wieder eine Stimme zu geben, gleichzeitig bauen sie aber auch gezielt in solchen Regionen Bürgerbüros aus und geben den „Kümmerer“. Neben einer besseren Sozialpolitik und ausreichenden Daseinsvorsorge, sollten meines Erachtens auch die anderen Parteien physisch in diese Regionen zurückkehren. Sie sollten sich vor Ort wieder zivilgesellschaftlich nützlich machen. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass Bürgerbüros von reinen Informationsstellen zu so etwas wie politischen Coworking-Spaces werden, wo Bürger_innen, Vereine und Initiativen zusammen mit den Parteien Lösungen für lokale Probleme erarbeiten.
Eine Erklärung für das Ergebnis der Bundestagswahl lautete, dass viele ehemalige Wähler_innen der Volksparteien aus Protest rechtspopulistisch gewählt haben. Was wurde denn an den Haustüren über die demokratischen Parteien und ihre Politik gesagt?
Die Menschen sind enttäuscht über die politische Praxis in unserem Land. Sie werfen Parteien und Politiker_innen Bürgerferne und Wirtschaftsnähe vor. Positiv ist aber, dass es keinen grundsätzlichen Zweifel an unserer Parteiendemokratie gibt. Gewünscht werden jedoch programmatische und organisatorische Erneuerungen, gerade bei den Volksparteien. Auf die Frage, wer die Probleme im Land am ehesten lösen könnte, kam auch die Antwort: „Eine sozialdemokratische Partei, die zu ihren Wurzeln zurückkehrt.“
Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig. 2017 hat er das Buch „Propaganda 4.0“ (Dietz Verlag) veröffentlicht. Hillje hat an der London School of Economics einen Masterabschluss in Politics and Communication und an der Universität Mainz einen Magister in Politikwissenschaft und Publizistik abgelegt.
Die Studie zum Download gibt es hier.
Weitere Informationen finden Sie auf der Sonderseite der Studie.
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