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Bild: 15.11.1928, Reichskanzler Hermann Müller auf dem Weg in den Reichstag; Rechte: AdsD
Hermann Müller wurde am 18. Mai 1876 – also vor genau 145 Jahren – als erstes von vier Kindern in eine bürgerliche Mannheimer Familie hineingeboren. Sein Vater Georg Müller war Schaumweinhändler und eingetragenes Mitglied des linksliberalen Demokratischen Vereins und Freimauer. Er habe zwar sozial gedacht, der Sozialdemokratie jedoch fern gestanden, bemerkte Hermann Müller selber später über seinen Vater. 1888 siedelte die Familie nach Niederlößnitz bei Dresden um, da Georg Müller dort eine Schaumweinfabrik übernahm; doch bereits 1892 starb der Vater. Da nun die wirtschaftlichen Mittel fehlten, um den Besuch des Gymnasiums zu finanzieren, musste Hermann Müller dieses verlassen und begann im selben Jahr eine dreijährige kaufmännische Lehre in der Frankfurter Niederlassung der Porzellanfirma Villeroy & Boch.
Müller und Ebert: Modernisierer in der SPD
Angesichts seiner familiären Prägung ist es erstaunlich, dass Hermann Müller bereits 1893, im Alter von 17 Jahren, in die SPD eintrat. Dort schien er jedoch bereits früh eine politische Heimat gefunden zu haben, denn er engagierte sich ab 1897 derart für das Breslauer SPD-Organ „Volkswacht“, dass er 1899 hauptamtlich als Parteiredakteur für die „Görlitzer Volkszeitung“, das Kopfblatt der „Volkswacht“, arbeiten konnte. Doch nicht nur journalistisch, sondern auch parteiintern übernahm Müller neue Funktionen: So wurde er 1901 in den Vorstand und 1904 zum Unterbezirksvorsitzenden der Görlitzer SPD gewählt.
Im Jahr 1905 wurde dann auch die Bundespartei auf den aufstrebenden, jungen Journalisten aufmerksam. Paul Singer, zu dieser Zeit gemeinsam mit August Bebel Vorsitzender der SPD, nominierte ihn auf dem Jenaer Parteitag für den Parteivorstand. Durch die Nominierung des 29-jährigen wollte Singer vor allem der starken Überalterung des Gremiums entgegenwirken. Bei der Abstimmung am Ende des Parteitags unterlag Müller jedoch deutlich dem ebenfalls noch jungen Friedrich Ebert.
Auf dem Mannheimer Parteitag im Jahr 1906 erreichte er seinen bis dahin größten politischen Erfolg. Mit einem gegenüber dem Jenaer Parteitag stark verbesserten Ergebnis von 248 Stimmen wurde Müller dieses Mal als zweiter besoldeter Sekretär in den Reichsvorstand der SPD gewählt und zog nach Berlin um. Zusammen mit Friedrich Ebert schaffte es Müller in den Folgejahren, einen Modernisierungsschub in der SPD einzuleiten. Obwohl von Herkunft und Charakter durchaus unterschiedlich, verstanden sich Ebert und Müller sehr gut miteinander. Zu den Reformen, die beide bald durchsetzen konnten, zählten vor allem die auf Initiative Müllers realisierte Gründung eines parteieigenen Nachrichtenbüros im Jahr 1907 und die von beiden gegen starke innerparteiliche Widerstände im Frühjahr 1912 durchgesetzte Schaffung eines Parteiausschusses, der von nun an zwischen den Parteitagen als Beschlussgremium wirkte. Besonders durch die zunehmende krankheitsbedingte Abwesenheit August Bebels seit 1910 verlagerte sich das Führungszentrum innerhalb der SPD immer weiter auf Müller und Ebert, der mit dem Tod Bebels im Jahr 1913 in den Vorsitz aufrückte.
Parteidiplomat und Außenminister
In den folgenden Jahren konnte sich Hermann Müller vor allem als Parteidiplomat profilieren, dem mit der Zeit immer mehr die Aufgabe zuwuchs, sowohl die SPD in der Zweiten Internationale zu vertreten als auch den Kontakt zu ausländischen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien zu pflegen. So war er es auch, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs die drohende militärische Auseinandersetzung durch Gespräche mit den französischen und belgischen Schwesterparteien - wenn auch letztlich erfolglos – zu verhindern versuchte.
Es war daher keine Überraschung, dass Müller am 22. Juni 1919 in der Weimarer Koalition unter dem SPD-Reichskanzler Gustav Bauer das Amt des Außenministers übernahm. Bereits die erste Aufgabe des neuen Ministers war zugleich eine besonders schwierige. Am Tag seiner Ernennung hatte die Weimarer Nationalversammlung mit einer Mehrheit von 237 zu 138 Stimmen für die Unterzeichnung Friedensvertrages gestimmt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass Deutschland nicht als Urheber des Krieges bezeichnet werden sollte. Da jedoch noch am selben Tag die Entente bekannt gegeben hatte, sie werde am 23. Juni Truppen in Richtung Deutschland in Bewegung setzen, wenn der Friedensvertrag nicht in Gänze unterschrieben würde, unterzeichnete Deutschland am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles durch Außenminister Müller und Reichsverkehrsminister Johannes Bell den Vertrag auch mit dem umstrittenen Schuldparagraphen.
„Übergangskanzler“ Hermann Müller
Aufgrund des durch den Kapp-Putsch entstandenen Prestigeverlustes der Regierung Bauer wurde Hermann Müller am 27. März 1920 von Reichspräsident Friedrich Ebert zum neuen Reichskanzler ernannt. Als solcher sah er sich vor allem mit den Versailles-Revisionisten konfrontiert, die über breit vernetzte Agitationsinstrumente verfügten. Als Übergangskanzler bereitete Müller aber vor Allem die erste Reichswahl vor. Obwohl aufgrund des Erstarkens des linken und rechten Rands des politischen Spektrums mit einem Stimmenverlust für die Weimarer Koalition zu rechnen war, war das Ausmaß der Niederlage der Regierungskoalition doch überraschend. Die mehr als zwei Drittel große Mehrheit von 329 (von 421) Mandaten war auf 205 Abgeordnete geschrumpft. Dennoch blieb die SPD stärkste Kraft, weshalb Müller nun Koalitionsverhandlungen führte. Doch einerseits lehnte die USPD ein Regierungsbündnis mit der SPD vehement ab. Andererseits sprach sich eine Mehrheit der SPD, ganz besonders aber Hermann Müller, gegen eine Zusammenarbeit mit der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) aus.
Mit dieser Haltung unterschied sich Müller, der nach seiner Kanzlerschaft bis in das Jahr 1928 SPD-Fraktionsvorsitzender war, von seinem engen Vertrauten und Parteifreund Friedrich Ebert, der seine Partei immer wieder vergeblich dazu aufforderte, sich an Regierungen zu beteiligen. Erst 1928, drei Jahre nach dem Tod Friedrich Eberts, beteiligte sich die SPD erneut an einer Regierungskoalition auf Reichsebene und erneut hieß der Reichskanzler Hermann Müller.
Zweite Reichskanzlerschaft und Wirtschaftskrise
Obwohl er sich in seiner ersten Amtszeit bereits großen Hürden ausgesetzt sah, waren die Probleme in Müllers zweiter Amtszeit wesentlich substanzieller. Auch durch die fehlende Bereitschaft Müllers und der SPD Regierungsverantwortung zu übernehmen, war in den vergangenen acht Jahren das Vertrauen in die Parteien, die einst die Weimarer Koalition gebildet hatten, erheblich gesunken. Zwar ging die SPD durch ein beeindruckendes Wahlergebnis von 29,8 Prozent der Stimmen zunächst gestärkt in eine große Koalition mit vier bürgerlichen Parteien, darunter die Zentrumspartei unter Heinrich Brüning sowie die DVP unter Gustav Stresemann.
Nach dem Börsencrash vom 24. Oktober 1929 stieg jedoch die Erwerbslosenquote derart in die Höhe, dass die Arbeitslosenversicherung nicht mehr auf dieselbe Weise wie noch vor der Wirtschaftskrise finanzierbar war. Zwar konnte über die Finanzierung zunächst noch ein Kompromiss erreicht werden, dieser hielt jedoch nur bis zum 5. März 1930. Einen weiteren Kompromissvorschlag des Zentrums-Vorsitzenden und kommenden Reichskanzlers Heinrich Brüning lehnte die SPD jedoch ab.
Dass vor allem die Ansichten der DVP mit denjenigen der SPD unvereinbar waren, lag auch darin begründet, dass wenige Tage vor dem Börsencrash, am 3.Oktober 1929, der DVP-Abgeordnete und
Außenminister Gustav Stresemann verstorben war, der – anders als der Großteil seiner Partei – in dieser Frage wohl besser mit Hermann Müller und der SPD kooperiert hätte. Dass Müller und Stresemann auch persönlich gut miteinander auskamen, verdeutlicht auch die Rede, die Müller anlässlich der Trauerfeier für Stresemann am 06. Oktober 1929 im Reichstag hielt und von echtem Bedauern über das Dahinscheiden des DVP-Politikers zeugt.
Nach dem Scheitern der Koalition erreichte die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 18,3 Prozent, was einem Zugewinn von über 15 Prozent gegenüber der Reichstagswahl 1928 entsprach. Nur wenige Monate nach der Ernennung Heinrich Brünings zum Reichskanzler, der von 1930 bis 1932 eine Minderheitsregierung anführte, welcher die SPD nicht mehr angehörte, starb Hermann Müller am 20. März 1931 im Alter von nur 54 Jahren.
Rückblickend war es ein Fehler Müllers gewesen, seine Partei zwischen 1920 und 1928 der Regierungsverantwortung zu entziehen. Gegenüber dem Votum seiner Partei gegen eine Annahme des Brünig-Kompromisses war er zwar machtlos, er selbst hatte jedoch nachdrücklich für dessen Annahme plädiert. Auch war Müller ein guter Vermittler zwischen SPD und USPD sowie ein hoch angesehener Außenpolitiker gewesen, der den Versailler Vertrag unterschrieben hatte, aber dennoch die revisionistischen Bestrebungen in Deutschland zumindest teilweise einzudämmen wusste.
Das Urteil des großen Satirikers Kurt Tucholsky über Hermann Müller war spöttisch und eindeutig: „Hermann Müller, Hilferlieschen, blühn so harmlos, doof und leis, wie bescheidene Radieschen, außen rot und innen weiß.“ Dem ist nicht nur zu widersprechen, sondern auch entgegenzuhalten, dass Müller, der mittlerweile nahezu in Vergessenheit geraten ist, eine Neubetrachtung verdient hat. Er war der letzte sozialdemokratische Reichskanzler der Weimarer Republik.
Tom Hillebrand
In der Bibliothek im AdsD finden Sie umfangreiche Literatur zu Hermann Müller.
Im AdsD befindet sich ein Teilnachlass Hermann Müllers aus den Jahren 1928–1930.
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