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Gewerkschaftliche Umweltpolitik im 20. Jahrhundert wurde vor etwa 50 Jahren erstmals zum Thema. Der Zusammenhang von Umwelt und Arbeitswelt geriet für die deutschen Gewerkschaften im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in den Fokus. Vor 25 Jahren, im August 1998 wurde dies auch in den „Umweltpolitischen Positionen des DGB“ festgeschrieben.
„Die zunehmende Bedeutung des Umweltschutzes im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich erfordert die besondere Aufmerksamkeit gerade der Gewerkschaften.“ (DGB; Protokoll, 1972, Antrag 33)
In zwölf Anträgen zum DGB-Bundeskongress 1972 brachten DGB-Bundesvorstand, Landesbezirke und Einzelgewerkschaften erstmals umweltpolitische Themen zur Diskussion. Noch drei Jahre zuvor war auf dem DGB-Bundeskongress 1969 das Thema nicht existent. Die Anzahl der Anträge 1972 weist somit zwar die Bedeutungszunahme dieses Politikfeldes auf, die fehlende Aussprache verdeutlicht jedoch, dass das Thema für viele Delegierte noch nicht im Zentrum eigener Überlegungen angekommen war.
1971 waren die Gewerkschaften, anders als die Arbeitgeberseite, bei der Erstellung des Umweltprogramms der Bundesregierung vollständig ignoriert worden. Dies und die Bedeutung von Umweltschutz, die 1972 im vom Club of Rome veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ festgestellt wurde, trugen dazu bei, dass einzelne Gewerkschaften mit Tagungen (zum Beispiel die IG Metall mit „Aufgabe Zukunft - Qualität des Lebens“ im April 1972) oder auch der DGB mit der Einrichtung eines „Arbeitskreises für Umweltschutz“, bestehend aus Vertreter_innen von DGB und Einzelgewerkschaften, deutlich machten, sich nicht die Deutungshoheit in Umweltfragen nehmen lassen zu wollen. Mit den „Leitsätzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Umweltschutz“ von 1972 erhob der DGB den Anspruch, dass Gewerkschaften „eine politische Gestaltungsaufgabe […] auch im Rahmen des Umweltschutzes ausüben werden.“ (DGB; Leitsätze, 1972, 3)
Bereits 1974 folgte das „Umweltprogramm des DGB“. Neben Einzelbereichen (zum Beispiel Wohnungs-, Stadt- und Verkehrsplanung, Reinhaltung der Luft, Abfallbeseitigung, Reinhaltung der Gewässer) wurde hier die Rolle von Gewerkschaften im Politikfeld „Umwelt“ allgemein definiert. Die Arbeitnehmer_innen fanden sich in der Zwickmühle, einerseits auf betrieblicher Ebene umweltpolitische Maßnahmen zu realisieren, andererseits dies – von Arbeitgeberseite genährt – mit Blick auf möglichen Arbeitsplatz- oder Einkommensverlust zu unterlassen.
„Die Arbeitnehmer sind von den Umweltschädigungen in besonderem Maße betroffen, sie haben nicht nur ein vitales, sondern überdies ein wirtschaftliches Interesse an nachhaltigen und tiefgreifenden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt.“ (DGB; Umweltprogramm, 1974, 10)
Bereits drei Jahre später brachte die Diskussion um das Thema „Kernenergie“ zu Tage, dass auch zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten ein Konfliktfeld in Umweltfragen bestand. Am 5. April 1977 veröffentlichte der DGB-Bundesvorstand seine Stellungnahme „Kernenergie und Umweltschutz“, in der die friedliche Nutzung der Kernenergie gemäß „den Erfordernissen vollbeschäftigungsorientierter Wachstumspolitik“ eingeräumt wurde. Im November 1977 machten Betriebsräte aus Firmen der Kernenergie-Industrie dies durch eine Demonstration in Dortmund nochmals deutlich und setzten so auch ein Signal in Richtung der Gewerkschaften. Mit der Annahme des Antrages 105 auf dem DGB-Bundeskongress 1978 schrieb man fest, dass die Kernenergie als nutzbare Energieform angesehen wurde.
„Ein auch nur teilweiser Verzicht auf wirtschaftliches Wachstum ist nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptabel. Es muss vielmehr befürchtet werden, dass auch das gesellschaftliche System der Bundesrepublik den zu erwartenden Belastungen aus einer erhöhten Dauerarbeitslosigkeit kaum gewachsen wäre“ (DGB; Protokoll, 1978, Antrag 105)
Eine reine Festlegung auf das Prinzip des „qualitativen Wachstums“ wäre so nur noch schwerlich möglich gewesen. Daher wurde im Aktionsprogramm des DGB 1979 dem Themenbereich „Umweltpolitik“ erstmals ein eigener Abschnitt gewidmet, ohne jedoch eine Verbindung zum Bereich „Beschäftigungspolitik“ herzustellen.
Im Grundsatzprogramm räumte der DGB 1981 dann aber doch die Wechselwirkung zwischen „Umwelt“ und „Beschäftigung“ ein:
„Der zunehmenden Umweltgefährdung muss Einhalt geboten werden. Deshalb kämpfen die Gewerkschaften für die Gestaltung eines gesunden Arbeits- und Wohnumfeldes sowie für den Schutz der natürlichen Umwelt. Dabei sind beschäftigungspolitische Aspekte angemessen zu berücksichtigen.“ (DGB; Grundsatzprogramm, 1981, 21)
In seinem Positionspapier „Umweltschutz und qualitatives Wachstum“, das der DGB-Bundesvorstand nach umfassender Beratung am 5. März 1985 einstimmig beschlossen hatte, wurde das Wechselspiel von Umweltschutz und Beschäftigung klar herausgestellt.
Beide Politikfelder dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn die Gewerkschaften ständen ihren Mitgliedern in Beschäftigungs- wie Umweltfragen in der Pflicht.
„Durch umfangreiche Umweltschutzmaßnahmen können viele Arbeitsplätze erhalten und neue zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Investitionsprogramm des DGB zur Beschleunigung des qualitativen Wachstums bilden Investitionen für den Bereich des Umweltschutzes einen Schwerpunkt.“ (DGB; Umweltschutz, 1985, 6)
Vertieft wurde dies im Programm „Arbeit für alle“, in dem der DGB 1986 die Maßnahmen formulierte, mit denen Vollbeschäftigung wiederhergestellt werden könnte.
„Die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums ist ein wichtiger Weg, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Notwendig ist aber ein gezieltes qualitatives Wachstum, das Arbeitsplätze erhält und dort schafft, wo sie zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen gebraucht werden.“ (DGB; Arbeit, 1986, 5)
Genannt wurden Politikbereiche (zum Beispiel Umweltschutz, soziale Dienste, Energieversorgung und saubere Kraftwerke, bessere öffentliche Verkehrsverbindungen, Wohnungs- und Städtebau und Bildungs- und Gesundheitswesen), in denen die öffentliche Hand durch zielgenaue Finanzierung die Vollbeschäftigung wiederherstellen könnte.
Gewerkschaftliche Umweltpolitik in den 1990er-Jahren
Zu Beginn der 90er-Jahre startete die IG Metall die Diskussion um das Verhältnis von Verkehrs- und Umweltpolitik. 1990 stellte die IG Metall auf einer gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring veranstalteten Tagung „Auto, Umwelt und Verkehr. Umsteuern, bevor es zu spät ist“ ein 10-Punkte-Programm vor, in dem beispielsweise eine umweltorientierte Produktionsweise, Verbesserung der Verkehrssteuerung oder der Ausbau des ÖPNV-Angebotes gefordert wurde. Dafür sollten auf einer verkehrspolitischen Konferenz die Vertreter_innen von Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden mit Verantwortlichen aller staatlichen Ebenen zu einer gesamtdeutschen Verabredung kommen. Wieder einmal war der Einfluss von Betriebsräten wichtiger Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie für manche Entwicklungen hemmend. Der programmatische Prozess kam jedoch zum Abbruch.
Im DGB-Grundsatzprogramm von 1996 wurde erneut die „Verbindung von Arbeit und Umwelt“ festgeschrieben. Sie wurde als ein wichtiges Ziel der ökologischen Modernisierung, das heißt als Entlastung der Umwelt bei gleichzeitiger Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze, angesehen. Mit Blick auf die zunehmende Globalisierung sollte nachhaltiges Handeln und die ökologische Neuorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft im Zuge einer sozial-ökologischen Wende nicht nur national, sondern im Rahmen der Neugestaltung der Weltwirtschaftsordnung umgesetzt werden. In einem eigenen Abschnitt „Ökologisch wachsen und umsteuern“ schrieb man fest:
„Wer das Leben der Menschen für die Zukunft sichern will, muss ökologisch umsteuern. [...] Ökologisch umsteuern erfordert zugleich eine nachhaltige Veränderung unserer Konsum- und Lebensgewohnheiten. Wir wollen erreichen, dass der Wohlstand der Bevölkerung steigt, indem sich die Lebensqualität der Menschen verbessert. Langlebige Produkte, eine verbesserte Infrastruktur, ökologischer Städtebau, stärker regionalisierte Märkte und eine gesunde Umwelt erlauben ein gutes Leben.“ (DGB; Grundsatzprogramm, 1996, 16)
Im August 1998 wurde dies in den „Umweltpolitischen Positionen des DGB“ nochmals vertieft. Entlang der Bereiche des Umweltgutachtens „Umweltschutz: Erreichtes sichern - Neue Wege gehen“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen bezogen die deutschen Gewerkschaften Stellung.
Einem Kapitel zur grundsätzlichen Positionierung (zum Beispiel zu Qualitätszielen oder Entscheidungsfindungsprozessen der Umweltpolitik) folgte die Stellungnahme zur Situation in der damaligen Umweltpolitik. Als Beispiele hierfür wurden der bestehende Reformstau, die Diskussion um Schaffung eines Umweltgesetzbuches, die Unzuverlässigkeit von Selbstverpflichtungserklärungen im Umweltbereich und die Planungen eines umweltpolitischen Schwerpunktprogramms „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ durch das Bundesumweltministerium genannt. In einem abschließenden Kapitel benannte der DGB vier Beispiele für den Umweltschutz in ausgewählten Politikbereichen: Gentechnik in der Landwirtschaft, betrieblicher Umweltschutz nach Öko-Audit/ ISO 14001, Klimaschutz und Energie, sowie Mobilität. In den Mittelpunkt wurde hier der „maximale Einsatz innovativer Umwelt-Technologien“ (zum Beispiel regenerativer Energieträger) gestellt, um so „das Arbeitsplatzpotential der Umwelt-Technologien in seinem vollen Umfang auszuschöpfen“ (DGB; Positionen, 1998, 2).
Acht Monat später wurde dies im DGB-Positionspapier „Arbeit und Umwelt. Ein Beitrag zur ökologischen Modernisierung und zur Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze“ festgeschrieben, in dem die Gewerkschaften im Rahmen ihrer Mitarbeit im „Bündnis für Arbeit“ 79 konkrete Maßnahmen und Investitionsvorschläge (zum Beispiel aus den Bereichen Gewässerschutz, Luftreinhaltung, Klimaschutz und Energieeinsatz), mit denen ein Beschäftigungspotential von mindestens 500.000 Arbeitsplätzen verbunden sein würde, formulierten. Die Gewerkschaften forderten eine „sozial-ökologische Reformstrategie“ ein, in der der Sozialstaat dem Bereich „Arbeit und Beschäftigung“ Vorrang einräumen muss:
„Eine zukunftsfähige Entwicklung verlangt gezieltes Wachsen und Schrumpfen, die Verlagerung auf ökologische und sozialverträgliche Produktion, Produkte und Dienstleistungen, neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens, ein neues Verständnis von Wohlstand und Fortschritt. Die sozial-ökologische Modernisierung ist eine große Gemeinschaftsanstrengung. Sie bedarf aber auch der Solidarität und der gerechten Verteilung von Chancen und Lasten.“ (DGB; Positionspapier, 1999, 4)
Hubert Woltering
In den Gewerkschaftsbeständen von DGB und Einzelgewerkschaften im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdsD) finden sich viele Bezüge zur Umweltthematik. So brachte eine Recherche nach der Zeichenfolge umwelt über 1.200 Treffer.
Wirft man auch einen Blick in den Bestand der Bibliothek der FES so finden sich nicht nur die im Beitrag genannten gewerkschaftlichen Grundlagenpapiere des Beitrages. Beispielrecherchen zeigen auf, wie dicht die Überlieferung zur gewerkschaftlichen Umweltpolitik in der Bibliothek der FES ist: Die Suchen nach dem Schlagwort gewerkschaft, umweltpolitik bringen 744 Treffer bzw. nach der Schlagwortkombination aus Internationale Gewerkschaft* und umwelt* 134 Treffer. Beim Material aus der Bibliothek ist entscheidend, dass sich hier auch sehr viele Publikationen der Gewerkschaften selbst finden, die in anderen Bibliotheken nicht oder nur selten zu finden sind. Neben „klassischen“ Einzelveröffentlichungen finden sich auch Aufsätze und digitales Material. Den Bibliothekskatalog finden Sie hier.
Die Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Oktober 1949 war auch durch die dramatischen Erfahrungen im Nationalsozialismus beeinflusst.…
10. Dezember, 18 Uhr c.t. | Universität Bonn und im Livestream
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