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Vor 70 Jahren: Am 17. Juni 1953 protestieren in der DDR rund eine Million Menschen weitgehend friedlich gegen die herrschenden Verhältnisse. Stephan Klecha skizziert in einem Gastbeitrag wie es zum Volksaufstand kam und dessen Bedeutung.
Bild: Volksaufstand vom 17.06.1953. Sowjetische Panzer rücken gegen die Aufständischen vor, Ecke Friedrichstraße Leipziger Straße (auf der Uhr: 11.45h); Rechte: AdsD [6/FOTB003465].
Bild: Umbenennung der "Charlottenburger Chaussee" in "Straße des 17. Juni"; Rechte: AdsD [6/FOTB002116].
Die SED zog die Legitimation für ihre Herrschaft im sowjetischen Sektor und hernach in der DDR aus historischen Notwendigkeiten. Als Reaktion auf das Ende des Nationalsozialismus sah sie ihren Auftrag darin, eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu errichten. Diese Gesellschaftsordnung verstand sich als Herrschaft der Arbeiterschaft, die durch die geeinte Arbeiterpartei SED repräsentiert würde.
Dieses ideologische Fundament hatte von vornherein Risse: Die Vereinigung von SPD und KPD war nur unter Zwang zustande gekommen; die fehlende demokratische Legitimation der DDR und der SED-Herrschaft war offenkundig. Am 17. Juni 1953 kulminierten dann die politischen Verhältnisse in einem Volksaufstand. Dieser war zugleich Ausdruck einer tiefen ökonomischen Krise, in der sich die DDR befand. Die wirtschaftlichen Vorteile, über welche 1945 der sowjetische Sektor noch verfügt hatte, waren binnen weniger Jahre aufgebraucht. Demontagen, innerdeutsche Teilung oder ein wegen der massenhaften Flucht in den Westen zunehmender Fachkräftemangel hatten Spuren hinterlassen. Der wirtschafts- und sozialpolitische Kurs der SED vermochte nicht, die Mängel zu beseitigen und die Versorgungslage zu verbessern. Auf sowjetischen Druck hin versuchte die SED im Frühjahr 1953 umzusteuern. Doch der Kurs war erratisch, die Instruktionen aus Moskau teils widersprüchlich, zumal dort ein Machtkampf um die Nachfolge Stalins tobte.
Für die Bevölkerung in der DDR standen vage Versprechen auf eine Verbesserung des Lebensstandards im Widerspruch zu gleichzeitig erlassenen Normerhöhungen, also Absenkungen des Lohnes. Für Lebensmittel und Konsumgüter galten überdies Bezugsbegrenzungen, die im Westen längst weggefallen waren. Sowieso war die westdeutsche Gesellschaft das Referenzmodell, dessen Leistungsfähigkeit auch in der DDR aufmerksam zur Kenntnis genommen wurde. Marschallplan, Währungsreform und Koreaboom sowie ein Ende der alliierten Demontagen ermöglichten dort einen erfolgreichen ökonomischen Neubeginn. Die DDR war als Gegenmodell dazu angelegt und dabei erkennbar unterlegen.
Dem Staatswesen ermangelte es in dieser Lage an Wegen, Kritik zu kanalisieren. Als besondere Schwachstelle erwies sich im Frühjahr 1953 dabei der Parteiapparat der SED. Als Massenpartei mit nominell starker Verankerung in der Bevölkerung, mit einem flächendeckenden Hauptamtlichenapparat und gut geschulten Funktionären wäre die SED diesbezüglich eigentlich prädestiniert gewesen. Doch seit Gründung der Partei 1946 hatte sich die SED erheblich verändert. Konformität wurde in immer stärkerem Maße abverlangt. Widerspruch oder selbstständiges Denken waren unerwünscht. Als nun offiziell von Fehlern gesprochen wurde, musste das die Funktionäre mehr als irritiert haben. In den zentralen Kursen hatte man ihnen zuvor die Weisheit und Unfehlbarkeit ihrer Partei vermittelt. Sie waren entsprechend unfähig zu argumentieren. Den Widerspruch zwischen den realen Verhältnissen und dem ideologischen Anspruch konnten sie argumentativ nicht auffangen.
Das sodann folgende ständige Hin und Her bei den Normvorgaben und die grobschlächtige, wenig verständnisvolle Berichterstattung in den Zentralorganen von Partei- und Gewerkschaftsführung taten ein Übriges, um die latente Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu einer wachsenden Wut der Arbeiterschaft anschwellen zu lassen. In der Berliner Stalinallee, dem Prestigebauprojekt der Staats- und Parteiführung beim Wiederaufbau, legten schließlich am 16. Juni die Bauarbeiter die Arbeit nieder. Der Funke sprang von dort aus binnen kürzester Zeit auf die gesamte DDR über. Am Folgetag war ein regelrechter Aufstand ausgebrochen. Wilde Streiks, Demonstrationszüge und Besetzung von SED-Geschäftsstellen wogten durchs Land. Parteiführung und lokale Parteigrößen flohen aus Angst vor den in den Ausstand getretenen Arbeitern reihenweise in die Obhut der sowjetischen Militärkommandaturen.
Die revolutionäre Situation walzten dann sowjetische Panzer nieder. Die Herrschaft der SED wurde schließlich nicht durch das Selbstnarrativ der Parteiführung gesichert, sondern durch sowjetische Bajonette. Niemand machte sich in den Führungsgremien der SED hernach Illusionen drüber, was ohne das sowjetische Eingreifen in jenen Stunden passiert wäre: Das Experiment des Aufbaus des Sozialismus sowjetischer Prägung in der DDR wäre vorbei gewesen, die SED von der Macht vertrieben worden.
Die Furcht vor einem neuerlichen Aufstand trieb die SED-Oberen bis zum Ende der DDR um. Dazu gehörte ein forcierter Aufbau des Überwachungs- und Repressionsapparats. Die Deutung des 17. Junis in einen sozialdemokratisch gesteuerten Putsch, den westliche Agenten initiiert hätten, entlastete die Parteiführung von eigenen Fehlern. Gleichwohl, der folgende Angriff auf das originär sozialdemokratische Denken offenbarte auch, wie stark die SED sich längst von der sozialen Basis entfernt hatte, die sie zu vertreten vorgab.
Die Bewertung der Ereignisse jener Tage war in der alten Bundesrepublik als auch im wiedervereinigten Deutschland recht eindeutig. Es war gleichermaßen ein Volksaufstand als auch ein Arbeiteraufstand. Als Volksaufstand delegitimierte der Aufstand die Existenz des ostdeutschen Teilstaats, offenbarte dessen mangelnde demokratischen Grundlage. Aus dieser Perspektive heraus verstand die Bundesrepublik bis 1990 die Vorgänge als Symbol der Deutschen Einheit. Als Arbeiteraufstand zeigten sich nicht nur das Scheitern der wirtschaftspolitischen Vorgaben der DDR-Führung, sondern eben auch dass die Arbeiterschaft sich in Massen gegen die SED wandte.
PD Dr. Stephan Klecha, Institut für Politikwissenschaft der Universität Göttingen
Wir suchen Beitragsideen für den kommenden Band 66 (2026) der Zeitschrift Archiv für Sozialgeschichte. Die vorbereitende Tagung wird am 26./27. Juni…
10. Dezember, 18 Uhr c.t. | Universität Bonn und im Livestream
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