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Aus Angst vor Massenarbeitslosigkeit

Bis zum Jahr 2045 will China zur Spitzengruppe der Industrieländer aufschließen. China ist sehr gespannt, wie Deutschland mit der vierten industriellen Revolution zurande kommt. Entsprechend groß war das Interesse an der FES Studie von Prof. Dr. Daniel Buhr zum Thema „Soziale Innovationspolitik für die Industrie 4.0“, die er in Shanghai vorgestellt hat.

Bild: Bild: FES Shanghai

Begriffe wie Industrie 4.0 und Industrial Internet machten in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland und den USA die Runde, sondern auch in China. Dort sucht man schon seit Längerem nach einem Ausweg aus der reinen Billiglohnfertigung und nach Lösungen für die Probleme des demografischen Wandels. Immer weniger junge und ungelernte Arbeitskräfte wandern in Richtung der großen Fabriken nach Ostchina, was sich wiederum in Lohn- und Preissteigerungen sowie zunehmender Automatisierung von Produktionsprozessen niederschlägt. Daher ist das dortige Interesse an Konzepten wie dem im Industrieland Deutschland geprägten Begriff Industrie 4.0 äußerst groß. Denn mit ihnen verbindet sich auch die Hoffnung eines Aufstiegs Chinas entlang der globalen Wertschöpfungskette, weg von einem reinen Produzenten billiger und niedrig-qualitativer Produkte hin zu einer Hightech-Wirtschaft auf Weltniveau. Die von Prof. Dr. Daniel Buhr verfasste FES‑Studie zum Thema „Soziale Innovationspolitik für die Industrie 4.0“ stieß bei verschiedenen akademischen und regierungsnahen Institutionen in Shanghai auf entsprechend großes Interesse. Insbesondere seine Ausführungen zu den sozioökonomischen Konsequenzen von zunehmender Digitalisierung und Automatisierung wurden angeregt diskutiert, da die chinesische Debatte über diese Themen bisher vor allem auf technische Fragen verengt ist.

Einsatz von vernetzten Maschinen schafft neue Geschäftsmodelle

So beschrieb Buhr, dass Industrie 4.0 als Konzept der nächsten industriellen Entwicklungsstufe primär auf der steigenden Vernetzung von Mensch und Maschine beruhe. Neben gesteigerter Effizienz und Flexibilität sei das wirklich Neue an dieser Vision jedoch die wertschöpfungskettenübergreifende Kommunikation von Subjekten und Objekten. So erlaube der Einsatz von vernetzten Maschinen (sogenannte cyber-physische Systeme [CPS]) u.a. eine deutlich engere Einbeziehung von Endkunden und Zulieferern in Produktionsprozesse und berge damit das Potential für ganz neue Geschäftsmodelle und eine bessere Ausrichtung an Kundenwünschen.

Neben den bisher vor allem von Befürwortern dieser Entwicklung viel betonten Chancen eines solchen digitalen Upgrades der industriellen Massenproduktion ging Buhr aber auch auf mögliche Risiken ein und erörterte wie sichergestellt werden könne, dass möglichst breite Gesellschaftsschichten von dieser Entwicklung profitieren könnten. Noch unklar sind die Auswirkungen: Während einige ein Zeitalter der umfassenden Automatisierung aufziehen sehen, in dem die Arbeit von Niedrigqualifizierten überwiegend durch Maschinen erledigt wird, könnten durchdachte und gut designte CPS aber auch lediglich ein weiteres Werkzeug sein, welches seine Anwender bei Entscheidungen unterstützt. Damit könnten auch niedrigqualifizierte Arbeiter_innen in komplexen industriellen Arbeitsprozessen produktiv eingesetzt werden und die derzeit in Deutschland dominante Rolle der Facharbeit in Fertigungsprozessen insgesamt erhalten bleiben. Gerade in China mit seinem immer noch großen Niedriglohnsektor und mangelnden sozialen Sicherungssystemen birgt das Szenario einer Massenarbeitslosigkeit eine Brisanz, die sich mehrfach in den Kommentaren des Publikums widerspiegelte.

Technische Innovationen müssen an soziale Innovationen gekoppelt sein

Im zweiten Teil seines Vortrags erläuterte Buhr angesichts dieser Chancen und Risiken einige seiner Thesen für eine soziale Innovationspolitik. Dabei warnte er insbesondere vor der derzeitigen „Hightech-Obsession“ und betonte, dass technische Innovationen nur dann wirklich erfolgreich sein könnten, wenn sie auch an soziale Innovationen gekoppelt seien. Industrie 4.0 mache beispielsweise die Entwicklung neuer Arbeits- und Lebenszeitmodelle notwendig, was wiederum großes Potential für andere Branchen, u.a. im Dienstleistungssektor berge.

Bei der Veranstaltung an der Shanghaier Tongji-Universität wurden Buhrs Ausführungen durch einen Vortrag von Professor Chen Ming von der Chinesisch-Deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften ergänzt. Darin verglich dieser das deutsche Konzept der Industrie 4.0 mit ähnlichen Strategien anderer Länder und ging dann insbesondere auf die im Mai 2015 vorgestellte Made-in-China 2025 Strategie der chinesischen Regierung ein. Mit dieser soll das produzierende Gewerbe in zunächst zehn Schlüsselbranchen durch ein breit angelegtes Reformprogramm langfristig weiterentwickelt werden. China soll damit um das Jahr 2045 zur Spitzengruppe der Industrieländer aufschließen können.

China denkt über massenhafte Umschulungen nach

Im Vergleich zur in Deutschland anfänglich von Großunternehmen angestoßenen Industrie 4.0 sei die Made-in-China 2025 Strategie viel stärker durch staatliche Akteure und Planung geprägt und sei insgesamt mehr auf den heterogenen Entwicklungsstatus der chinesischen Wirtschaft ausgerichtet. Beide Strategien hätten jedoch die Integrierung von IT und fortgeschrittener Fertigung gemein. Chen merkte später an, dass angesichts dieser Entwicklung auch in China mehr qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht würden. Es gebe zwar bereits Überlegungen wie eine entsprechende (Um)Schulung von Arbeitern geleistet werde könne, doch seien diese noch nicht weit fortgeschritten, da der Hardware-Aspekt in China derzeit noch deutlich im Vordergrund stehe.

Auch die Teilnehmer_innen der Veranstaltung beim Counselors‘ Office der Stadt Shanghai (wissenschaftlicher Beirat der Stadtregierung) stellten interessierte aber auch besorgte Nachfragen zu einzelnen Aspekten der Digitalisierungs- und Automatisierungstrends. Premier Li Keqiang habe jüngst betont, dass eine breite Partizipation der Bevölkerung an der wirtschaftlichen Entwicklung nötig sei, um diese auf ein stabiles Fundament zu stellen. Prof. Buhr sagte, dass er Befürchtungen bzgl. einer Wegrationalisierung bestimmter Jobs teile. Der Umgang mit diesen Herausforderungen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Andere Teilnehmer_innen knüpften in Wortbeiträgen an Buhrs Mahnung an, die soziale Komponente von Innovation nicht zu vernachlässigen und verwiesen auf die rasant gestiegene Nutzung von Smartphone-Apps in China.

Insgesamt zeigte die große Zahl interessierter Teilnehmer_innen an den Workshops, dass die Themen Industrie 4.0, Digitalisierung und industrielle Modernisierung in China derzeit einen großen Stellenwert besitzen. Ähnlich wie in Deutschland werden die unterschiedlichen Chancen und Risiken dieser Vision erkannt, doch noch etwas stärker als in Deutschland scheint die Debatte in China auf die Technik zentriert zu sein, während die soziale Dimension dieser Entwicklungen weniger beleuchtet wird.

 

Hier finden Sie die Publikationen von Daniel Buhr als PDF-Files: 

"Industrie 4.0 - Neue Aufgaben für die Innovationspolitik"  Download Deutsch | Download English | Download Chinesisch

"Soziale Innovationspolitik für die Industrie 4.0" Download

 

Zum Artikel: <link gute-gesellschaft-soziale-demokratie-2017plus neues-wachstum-gestaltende-wirtschafts-und-finanzpolitik artikel-in-neues-wachstum-und-gestaltende-finanzpolitik industrie-40-chancen-ergreifen-und-risiken-erkennen external-link-internal-icon>Industrie 4.0: Chancen ergreifen und Risiken erkennen

Ansprechpartner in der FES: Dr. Philipp Fink


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