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"Die deutsche Position wird absolut verstanden" - Interview mit Metin Hakverdi

Der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi war kurzlich zu einer Vortragsreise mit dem Themenschwerpunkt Zeitenwende in den USA. Im Interview berichtet er von seinen Gesprächen, bewertet das aktuelle deutsch-amerikanische Verhältnis und beschreibt welche Herausforderungen er zukünftig sieht.

Die Fragen stellte Felix Kösterke.

 

Herr Hakverdi, Sie haben ein paar vollgepackte Wochen hinter sich, insbesondere in Bezug auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Erst der Besuch der Münchner Sicherheitskonferenz, dann eine Vortragsreise durch die USA, mit Stationen an Universitäten im Mittleren Westen und an der Ostküste, gepaart mit politischen Gesprächen in Washington D.C. und New York, inklusive Besuch der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zum Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine. Was sind die Kernfragen, die nach Ihrer Einschätzung das deutsch-amerikanische Verhältnis aktuell prägen?

 

Metin Hakverdi: Zunächst stelle ich fest, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA gut funktioniert. Das war nicht immer so. Die deutsche Position wird absolut verstanden, und es gibt kein Gegeneinander. Wir befinden uns oft in der gleichen taktischen Lage. Erstens darf Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich sein. Zweitens wollen wir massive Eskalationsformen verhindern. Die große Demonstration der Einigkeit während der Sicherheitskonferenz verdeutlichte: Wir tun alles, was dafür nötig ist. Diese Einigkeit ist mir auch auf meiner Reise immer wieder begegnet. Und entgegen mancher Behauptung möchte ich festhalten, dass geschlossene, vertrauliche Gesprächsformate, wie zwischen Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem jüngsten Besuch in Washington, ohne Presse etc., mitnichten ein Ausdruck von Misstrauen oder Verstimmungen sind. Im Gegenteil, ich sehe das als ein Qualitätsmerkmal der Beziehungen und des Vertrauens zwischen dem Präsidenten und dem Bundeskanzler.

 

Dennoch wird das deutsch-amerikanische Verhältnis sicherlich auch aktuell auf die Probe gestellt?

 

Metin Hakverdi: Wirklich auf die Probe stellen könnte diese Beziehung nur ein republikanischer Präsident in Washington. Herausfordernd wird aber auch unter Biden werden, wie konkrete Kriterien für ein Kriegsende zu definieren sind. Dabei muss es stets unser Ziel sein, das gesamte Unterstützerlager und die Ukraine auf einem Kurs zu halten. Fragen der Mitgliedschaft der Ukraine in EU oder NATO, von Sicherheitsgarantien oder des Wiederaufbaus der Ukraine werden sich nicht von jetzt auf gleich in einem großen Friedensvertrag lösen lassen. Dazu gehören viele internationale Player, neben Russland selbst auch China. Dabei muss immer klar sein, dass wir mit der EU und im Bündnis der Nato gemeinsam auf der Seite der Ukraine stehen. Es ist nicht besonders erstrebenswert, ein jahrzehntelanges, bedingungsloses Containment Russlands durchzusetzen. Unser Vorsitzender Lars Klingbeil hat aber recht, wenn er sagt, dass wir auf absehbare Zeit erst einmal Sicherheit vor Russland organisieren müssen. Zurzeit sind wir uns zwischen Deutschland und den USA in dieser Frage einig.

 

Dabei gibt es mit Trump und DeSantis aussichtsreiche Präsidentschaftskandidaten, die genau diese Zusammenarbeit und auch die Unterstützung für die Ukraine in Frage stellen? 

 

Metin Hakverdi: Bei meinen Gesprächen in den USA war das ganz klar eine Mindermeinung. Trotzdem müssen wir zwei Entwicklungen in den USA sehr ernst nehmen:

 

Erstens wird die Unterstützung der Ukraine außerhalb der Polit-Blase von Washington deutlich kritischer gesehen. Auf FOX News ist die Tendenz ganz klar: Weniger Rückhalt für die Ukraine. Zweitens sage ich voraus, dass die Mehrzahl der republikanischen Präsidentschaftskandidaten für eine drastische Reduzierung der Hilfen an die Ukraine eintreten werden. Beide Entwicklungen werden den Wahlkampf dominieren und auch Auswirkungen auf das Lager der Demokraten haben. Wir müssen unser Engagement für die Ukraine auch deshalb verstärken, um damit die Biden-Administration zu unterstützen, damit sie auch auf unser Engagement verweisen und demonstrieren kann, dass sie eben nicht alles alleine leisten muss. Nichts wäre für uns aktuell schlechter, als ein republikanischer Präsident im Weißen Haus.

 

Nun hat Lars Klingbeil die Idee einer „Führungsmacht“ Deutschland ins Gespräch gebracht. Steht dies im Widerspruch zur amerikanischen Führungsrolle im westlichen Bündnis, oder ist das genau das, was Sie meinen, wenn sie davon sprechen die Biden-Administration zu unterstützen?

 

Metin Hakverdi: Die USA haben eine andere Vorstellung davon, was Führung bedeutet als wir. Sie sind eine militärische Supermacht mit weltweiter Präsenz. Sie wünschen sich von uns Führung, wo sie angebracht und leistbar ist. Sie wünschen sich, dass wir innerhalb der EU mit einer Stimme sprechen und gemeinsame Interessen vertreten. Sie möchten von uns mehr Führung, meinen damit aber nicht das Gleiche wie ihre eigene Führung. 

 

Gibt es bereits Bereiche in denen eine solche Arbeitsteilung, oder auch deutsche Führung sichtbar wird? 

 

Metin Hakverdi: Ich glaube, dass Deutschland in drei Bereichen eine wichtige Führungsrolle übernimmt, im Sinne der „Zeitenwende“ wie Olaf Scholz und auch Lars Klingbeil sie in Grundsatzreden definiert haben. Zunächst sehen wir derzeit historische Waffenlieferungen an die Ukraine. Außerdem leisten wir einen substanziellen Beitrag für die Sicherheit an der NATO-Ostflanke. Und schließlich stehen wir in Deutschland und Europa für die Menschen aus der Ukraine ein. Das ist insbesondere in den USA nicht immer präsent. Wir bieten Geflüchteten Schutz, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu den sozialen Sicherungssystemen, Bildung, etc. Wenn man sich Zeit nimmt für einen fairen und informierten Dialog, dann bekommt man die Rückmeldung, dass sich die USA der Leistungen bewusst sind, die wir erbringen. 

 

Wie schaffen wir es auf dieser Basis in Zukunft die Sicherheit in Europa zu garantieren?

 

Metin Hakverdi: In Bezug auf Europas Sicherheit: Natürlich hätte ich lieber eine stabile Sicherheitsarchitektur wie sie früher in Europa herrschte. Dass diese von Russland zerstört wurde, macht mir Sorgen. Es ist erschreckend wie viel Geld wir für unser Militär ausgeben werden müssen, weil es für diese Mittel auch andere Verwendung gegeben hätte.

 

Aber ist Deutschland bei alledem schnell genug, oder haben wir nicht bereits wertvolle Zeit verschwendet, vor allem in Betracht möglicher innenpolitischer Entwicklungen in den USA. Sie hatten ja bereits angesprochen was bei FOX News derzeit Mainstream ist? 

 

Metin Hakverdi: Wenn ein anderer Präsident gewählt wird oder sich die Mehrheitsverhältnisse im Kongress noch einmal verschlechtern, stehen wir vor einer völlig neuen Situation. Es könnte ein Populist wie Trump zurückkommen. Man muss sich deshalb auf die eigenen Fähigkeiten konzentrieren und in sie investieren. Es ist noch nicht bei allen in Deutschland und der EU angekommen, was uns 2025 passieren könnte: Ein US-Präsident, der uns mit Russland allein lässt oder uns erpresst. Wir müssen auf dieses Worst-Case-Scenario vorbereitet sein. Viel Zeit bleibt nicht.

 

Dennoch ist die EU im Diskurs rund um die Ukraine nicht sonderlich präsent, gerade, wenn es darum geht die Europäische Sicherheit zu organisieren.

 

Metin Hakverdi: Die Europäische Union ist immer am Stärksten, wenn der Druck von außen kommt - und Klimawandel und Krieg bedeuten natürlich sehr viel Druck von außen. Die EU macht schon eine Menge im Hinblick auf die Ukraine. Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder so erfolgreich agieren können wie in der Pandemie, als aus dem Schock Erfolgsprojekte wie der Next Generation EU Fonds entstanden sind, die wir vorher für unmöglich hielten. Ich hoffe auf Fortschritte für die Sicherheit Europas, der Ukraine, den Kampf gegen den Klimawandel und für eine wirtschaftlich resiliente Gesellschaft – oder auch bei neuen Industrien.

 

Gerade bei der Wirtschaftspolitik gibt es allerdings dann unterschiedliche Meinungen mit unseren transatlantischen Partnern. Beispielsweise beim Einsatz von Subventionen, wo auch die Biden Administration derzeit „America First“-Politik macht. 

 

Metin Hakverdi: Der Inflation Reduction Act (IRA) wird gerne als Streitpunkt erwähnt. Natürlich hätte ich die Einführung eines CO2-Preises besser gefunden. Trotzdem bin ich positiv überrascht, dass die USA ein riesiges Investitionsprogramm zur Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft auflegen. Im Hinblick auf den Klimawandel ist das eine der wichtigsten politischen Entscheidungen weltweit. Was haben wir uns früher beschwert, dass die US-Regierung nicht bereit sei, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Der IRA darf aber nicht zu einem Subventionswettlauf - einem Race to the bottom - zwischen EU und USA führen.

 

Und was ist mit den möglicherweise negativen Auswirkungen auf die deutsche und europäische Wirtschaft?

 

Metin Hakverdi: Ich war zuletzt beim Bundesverband der Deutschen Industrie und habe mir genau und branchenspezifisch erklären lassen, was der IRA für uns bedeutet. 80% der deutschen Wirtschaft ist dem positiv aufgeschlossen. Die anderen 20% machen sich Sorgen, dass Kapazitäten aus Deutschland in die USA abwandern könnten. Wir sollten uns also in den Gesprächen mit dem Weißen Haus und dem US-Kongress auf diese 20 % konzentrieren.

 

Wir sehen, dass die Bedeutung nicht-westlicher Staaten immer weiter zunimmt, gleichzeitig scheint sich in Bezug auf den Russischen Angriffskrieg eine Erzählung des „The West vs. The Rest“ zu etablieren, in der „der Westen“ mit seinen Sanktionen ziemlich alleine dasteht.  

 

Metin Hakverdi: Dass der Westen alleine dasteht, sehe ich gar nicht. Brasilien stimmt jetzt beispielsweise mit uns. Ich habe dazu zwei Beobachtungen gemacht. 

Die Erzählung „Demokratie vs. Autokratie“ stimmt so nur in Europa und für das transatlantische Verhältnis, vielleicht noch in Bezug auf China. Aber sie passt nicht weltweit. Wenn bei den UN 141 Staaten gegen Russland stimmen, dann sind da natürlich auch Autokratien dabei. Das zeigt auch, wie stark wir diplomatisch aktuell sind. Diese Staaten verurteilen Russland ja nicht, weil jemand Druck ausübt, sondern weil es dabei um Interessen geht. Dabei sehen wir, dass eine Debatte „Demokratie vs. Autokratie“ zu kurz greift und dass trotzdem eine Mehrzahl der Nationen erkennt, dass es in ihrem Interesse ist, wenn die Weltgemeinschaft die Verschiebung von Grenzen mit Gewalt verurteilt.  Würde das Recht des Stärkeren gelten, wäre das ein Horrorszenario für viele Staaten. Ich kann mir vorstellen, dass Deutschland, die EU insgesamt, eine andere Rolle in Bezug auf den globalen Süden hat, als die USA, weil es für uns leichter sein könnte, auf Augenhöhe zu kooperieren. Europa könnte viel besser gleichwertig mit anderen Ländern zusammenarbeiten als es eine Supermacht wie die USA, oder vielleicht auch China können, wenn wir ernsthafte Angebote von ebenbürtiger Kooperation machen. Es ist eine gute Zeit, um auf die Länder des Globalen Südens zuzugehen und sich auf Augenhöhe zu begegnen.

 

Metin Hakverdi ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags. Er gehört dem Haushaltsausschuss an und ist stellv. Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA. Außerdem ist er Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke.

 


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