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Eine verstärkte Teilnahme am anstehenden Flüchtlingsforum kann den Einfluss von Geflüchteten auf Themen, die ihr Leben direkt betreffen, erhöhen.
Die aktuelle Situation von Geflüchteten und Vertriebenen auf der ganzen Welt ist nach wie vor eine ernste und alarmierende humanitäre Herausforderung, gekennzeichnet durch anhaltende Konflikte, geopolitische Instabilität und die Folgen des Klimawandels. Jedes Jahr werden Millionen von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Auf ihrem Weg zu einem sicheren und würdigen Leben sind sie dabei oft mit immensen Schwierigkeiten und Hindernissen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund findet vom 13. bis 15. Dezember 2023 in Genf das zweite Globale Flüchtlingsforum (Global Refugee Forum, GRF oder Forum) statt. Das GRF wird gemeinsam von der Schweiz und dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) veranstaltet und von fünf Staaten mitorganisiert: Kolumbien, Frankreich, Japan, Jordanien und Uganda.
Das GRF findet alle vier Jahre in Genf statt und ist das größte Treffen des globalen Flüchtlingssystems. Hier werden die Fortschritte der Staaten und anderer Akteure bei der Umsetzung der Ziele des Globalen Flüchtlingspakts (Global Compact on Refugees, GCR) überprüft. Der Pakt konzentriert sich auf die Unterstützung der Aufnahmeländer, die Stärkung der Eigenständigkeit von Geflüchteten, den Zugang zu Lösungen in Drittländern, sowie die Verbesserung der Bedingungen in den Herkunftsländern für eine sichere und würdevolle Rückkehr. Das GRF 2023 bietet auch die Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme der Zusagen (Pledges) und Initiativen vorzunehmen, die seit dem ersten Forum im Jahr 2019 angekündigt wurden. Laut UNHCR, kann das kommende Forum nur erfolgreich sein , wenn Staaten und andere Akteure ihr nachhaltiges Engagement durch Multi-Stakeholder-Zusagen fortsetzen, insbesondere durch ernsthafte Pledges (finanziell, materiell oder technisch) sowie der kontinuierlichen Umsetzung der bereits bestehenden Zusagen des ersten Forums von 2019.
Bei hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen (VN) wie dem GRF kommt eine Vielzahl von Akteuren zusammen, darunter die VN-Mitgliedstaaten, Vertreter_innen der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft, Privatsektor und Medien. Jedoch sind bisher für die betroffenen Menschen, in diesem Fall die Geflüchteten, die Möglichkeiten für eine wirkungsvolle Teilnahme bei solchen Treffen begrenzt. Meist beschränken sich diese auf informelle Interessenvertretung oder story-telling, bei denen die Betroffenen von ihren Schicksalen berichten.
Seit 2016, noch vor den Verhandlungen zum GCR, haben Geflüchtete und von Geflüchteten geführte Organisationen (Refugee-led Organisations, RLOs) zusammen mit anderen Verbündeten die Rolle von Geflüchteten und RLOs bei der Gestaltung und Umsetzung von politischen Maßnahmen, die sie betreffen, gestärkt. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Aufnahme von Absatz 34 in den endgültigen Wortlaut des GCR:
"Reaktionsmaßnahmen sind dann am effektivsten, wenn sie diejenigen, die geschützt und unterstützt werden sollen, aktiv und auf sinnvolle Weise einbinden.[…]"
Eine ernsthafte Einbindung von Geflüchteten wird als wichtige Innovation für die Steuerung des globalen Flüchtlingsregimes angesehen. Sie ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch ein wirksamer Ansatz zur Verbesserung der globalen Flüchtlingshilfe. Geflüchtete sind oft die Ersten, die auf die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, reagieren müssen, und entwickeln daher politische und programmatische Expertise. Eine wirkungsvolle Beteiligung von Geflüchteten entwickelt sich zu einer neuen Norm, und daher ist es wichtig, heute die Diskussion von der Frage „ob“ eine Beteiligung relevant ist, zu „wie“ sie in der Praxis und in politischen Prozessen aussehen kann zu verlagern.
In einer Zeit, in der mehr als 110 Millionen Menschen gewaltsam vertrieben werden und das GRF, das weltweit größte internationale Treffen zu Flüchtlingsfragen, näher rückt, beobachten verschiedene Interessengruppen aufmerksam, wie eine wirkungsvolle Beteiligung von Geflüchteten in die Praxis umgesetzt wird. Insbesondere bei Refugees Seeking Equal Access at the Table (R-SEAT) haben wir mit verschiedenen Partner_innen zusammengearbeitet und diese Entwicklungen genau verfolgt. Das bevorstehende GRF kann zu bedeutenden Fortschritten bei der Einbindung von Geflüchteten führen, die als wichtiges Sprungbrett für künftige politische Prozesse dienen und zu einer erhöhten Einflussnahme führen könnten, indem die direkt Betroffenen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden.
Das GRF wird Betroffene in verschiedenen Funktionen einbinden. Erstens werden mehrere Staaten eine_n oder mehrere Geflüchtete als Berater_innen in die offiziellen Regierungsdelegationen zum GRF aufnehmen. Die Staaten sind die ultimativen Entscheidungsträgerinnen in diesem System, sei es durch formelle Verhandlungen oder informelle Treffen am Rande der offiziellen Sitzungen. Daher müssen die Geflüchteten als Sachverständige an der Seite der Staaten am Tisch sitzen. Die USA, Kanada, Neuseeland und Australien haben auf nationaler Ebene bereits Flüchtlingsbeiräte eingerichtet, um auf nicht-tokenistische, nachhaltige und effektive Weise mit Betroffenen zusammenzuarbeiten. Diese Beiräte, die sich in der Regel aus 5 - 12 Geflüchteten zusammensetzen und von einem unabhängigen Ausschuss ausgewählt werden, stellen den Staaten einen Pool von Expert_innen zur Verfügung, die sowohl über gelebte Erfahrung als auch über politisches Fachwissen verfügen und als Teil der jeweiligen staatlichen Delegationen an den Treffen des globalen Flüchtlingssystems teilnehmen. Auch in Deutschland wird es in absehbarer Zeit einen solchen Beirat geben, nachdem in einem Pilotprojekt eine betroffene Person in die deutsche Delegation bei früheren globalen Treffen aufgenommen wurde.
Zusätzlich zu den Vertretungen in den Delegationen hat das UNHCR selbst einen Beirat eingerichtet, der sich aus 16 Organisationen zusammensetzt, die von Geflüchteten, Binnenvertriebenen und Staatenlosen geführt werden, darunter auch Organisationen, die von Frauen, LGBTIQ+-Personen, Menschen mit Behinderungen und anderen unterschiedlichen Gruppen geleitet werden. Es wird erwartet, dass alle Mitglieder des Beirates am GRF teilnehmen. Weiter hat das UNHCR Anfang des Jahres in einer offenen Ausschreibung 70 Flüchtlingsexpert_innen auserwählt, die am GRF partizipieren sollen. Der Beirat, wie auch die 70 Expert_innen waren bereits in die Vorbereitungen für das GRF beteiligt. Sie haben Veranstaltungen rund um das Forum geplant und standen für die Pledges beratend zur Seite. Darüber hinaus wurden aus allen Teilen der Welt 50 RLOs und ihre Delegationen eingeladen, die ein breites Spektrum an Expertise und politischer Erfahrung miteinbringen. Eingeladen wurden auch Flüchtlingsvertreter_innen des Globalen Jugend Beirates, führende Köpfe der studentische Geflüchteten und Journalismus-Mentees sowie eine Vertretung der „Young Champions for Refugees“.
Im Vergleich zum ersten GRF im Jahr 2019, bei dem nur ein Staat einen Flüchtlingsberater miteinbezog (Kanada) und die Beteiligung von Geflüchteten insgesamt nur 2,3 % betrug (mehr als 3000 Delegierte nahmen teil, aber nur 70 waren Geflüchtete), wird das kommende GRF voraussichtlich einen bedeutenden Wandel darstellen. Es wird erwartet, dass im Dezember etwa 300 Geflüchtete teilnehmen werden, womit deren Beteiligung auf 10 % steigen könnte. Die Einbeziehung von Geflüchteten in multilaterale Treffen ist kein Allheilmittel für die zahlreichen Lücken, Nöte und Herausforderungen, mit denen sie in der ganzen Welt konfrontiert sind. Nichtsdestotrotz kann eine ernsthafte Einbindung von Betroffenen dazu beitragen, Fragen der Legitimität, Wirksamkeit und Rechenschaftspflicht innerhalb des UNHCR-Systems zu klären. Die Einbeziehung der Stimmen von Geflüchteten in die Entscheidungsfindungsprozesse bei den VN kann in der Tat das Ungleichgewicht verschieben und dazu führen, dass Betroffene einen spürbaren Einfluss darauf haben, wie Länder auf Fragen, die sich direkt auf ihr Leben auswirken, reagieren.
Marisa Leon Gomez Sonet arbeitet auf multilateraler, nationaler, regionaler und städtischer Ebene zu Migration, Flucht und Menschenrechte. Sie hat einen Master-Abschluss in Global Affairs, International Peace Studies, von der University of Notre Dame und einen Bachelor-Abschluss in Global Studies, International Development, von der Salve Regina University in den Vereinigten Staaten.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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