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1999 selbst eingebürgert, heute SPD-Berichterstatter zum Staatsangehörigkeitsrecht. Hier schreibt Hakan Demir zu den anstehenden Reformen.
Wenn ich über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nachdenke, ist dies immer auch mit meiner persönlichen Geschichte verbunden. Meine Mutter, mein Vater und ich sind gemeinsam 1999 deutsche Staatsbürger_innen geworden. Meine Eltern durften einige Jahre später wählen. Sie wurden gesehen, sie haben sich anerkannt gefühlt in dem Land, das schon lange ihre Heimat geworden war. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass eine Gesellschaft, die Menschen anerkennt, besser zusammenwächst. Und darum geht es auch bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die die Ampel-Regierung aktuell vorantreibt: Es geht um Anerkennung, um Zugehörigkeit und um die Stärkung unserer Demokratie.
Seit der Verabschiedung des Koalitionsvertrags ist klar: Die Ampel-Regierung wird das Staatsangehörigkeitsrecht grundlegend reformieren. Deutschland wird eines der liberalsten Einbürgerungssysteme weltweit bekommen. Dies ist zum einen ein Signal an Fachkräfte in der ganzen Welt. Wer sich entscheidet, nach Deutschland zu kommen, hat die Gewissheit, dass es einen schnellen und planbaren Pfad gibt, um in diesem Land mit gleichen Rechten dazuzugehören. Es ist aber vor allem ein Signal, an die 10 Millionen Menschen, die aktuell ohne deutschen Pass in Deutschland leben. Sie sollen endlich gleichberechtigte Bürger_innen werden, die an Wahlen und Volksentscheiden teilnehmen, die sich selbst für politische Ämter bewerben und die im öffentlichen Dienst arbeiten. Sie sollen sich genauso einbringen können, wie die Menschen, die schon von Geburt an Deutsche sind. Und sie sollen nicht mehr allzu lange auf die Reform warten müssen. Das Bundesinnenministerium erarbeitet aktuell den sogenannten Referentenentwurf, das Bundeskabinett wird den Gesetzesentwurf im ersten Quartal 2023 verabschieden und wir Abgeordnete des Deutschen Bundestags werden sicherstellen, dass die Reform im Sommer 2023 abgeschlossen wird.
Die erste Säule des neuen Staatsangehörigkeitsrechts ist die Beschleunigung der Einbürgerung. Bisher muss man vor der Einbürgerung acht Jahre in Deutschland gelebt haben, diese Frist kann durch die Absolvierung eines Integrationskurses oder den Nachweis von „besonderen Integrationsleistungen“ auf sieben bzw. sechs Jahre verkürzt werden. In Zukunft können Menschen standardmäßig nach fünf Jahren einen deutschen Pass erhalten. Die beschleunigte Einbürgerung soll nach drei Jahren erfolgen. Dabei setzt die Einbürgerung weiterhin Lebensunterhaltssicherung, gute Deutschkenntnisse und die Kenntnis der Rechts- und Gesellschaftsordnung voraus. Doch viele Menschen brauchen eben keine acht Jahre, um diese Anforderungen zu erfüllen. Warum sollen sie sich also nicht schon früher einbürgern lassen können? Kanada und Polen vergeben die Staatsangehörigkeit nach drei Jahren, Australien nach vier Jahren und die Niederlande nach fünf Jahren. Hier wird sich Deutschland einreihen. Zur Zugehörigkeit gehört auch, dass mehr Kinder ausländischer Eltern von Geburt an Deutsche sind. Dazu wird die Voraufenthaltszeit der Eltern (rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland vor der Geburt der Kinder) von acht auf fünf Jahre abgesenkt.
Die zweite große Säule der Reform ist die Mehrstaatigkeit. Niemand soll sich mehr in Deutschland gegen die Einbürgerung entscheiden, weil er oder sie die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes aufgeben müsste. Dies ist ein echter Paradigmenwechsel! Menschen mit eigener oder familiärer Zuwanderungsgeschichte haben natürlicherweise Verbindungen zu mehr als einem Staat. Sie nicht mehr zur Entscheidung für einen Pass zu zwingen, wird endlich ihrer Lebensrealität gerecht und macht klar, dass Deutschland sie mit ihrer gesamten Geschichte und Persönlichkeit willkommen heißt.
Ohnehin wird die doppelte Staatsangehörigkeit kontroverser als notwendig diskutiert. Denn sie ist längst gelebte Praxis. Zwar nennt das Staatsangehörigkeitsgesetz aktuell die Voraussetzung, dass man „seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert“. Doch durch zahlreiche Ausnahmen – z.B. für EU-Bürger_innen oder bei erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen – behalten jetzt schon 69 % der Eingebürgerten ihren früheren Pass. Wer seinen Pass behalten darf, unterscheidet sich dabei stark nach Herkunftsland. Während aus Belgien 100 % mit doppelter Staatsbürgerschaft eingebürgert wurden, durften nur 10,1 % der türkischen, 13,7 % der ukrainischen und 6,7 % der philippinischen Eingebürgerten den Pass ihres Herkunftslandes behalten. Diese Ungerechtigkeit muss beseitigt werden.
Zur Reform gehört auch die Anerkennung von Lebensleistung. Menschen der Gastarbeiter_innen-Generation, die dieses Land mit aufgebaut haben und es seit Jahrzehnten ihre Heimat nennen, sollen sich nicht mehr durch Integrationskurse und schriftliche Sprachprüfungen bewähren müssen. Sie gehören dazu. Auch auf Härtefälle und besondere Lebenssituationen muss das Staatsangehörigkeitsrecht eingestellt sein. Ich werde dafür kämpfen, dass die Reform den Bedürfnissen der Mutter, die ein Kind mit Behinderung pflegt, ebenso gerecht wird, wie dem Staatenlosen, der sich über eine Beschäftigungsduldung seinen Platz in der deutschen Gesellschaft erarbeitet hat, oder der Ingenieurin, die drei Jahre nach ihrer Einwanderung einen deutschen Masterabschluss nachweisen kann.
Letztendlich kann von der Debatte um erleichterte Einbürgerungen auch ein Signal an die vielen Menschen ausgehen, die jetzt schon alle Voraussetzungen erfüllen. Auch sie sind angesprochen, wenn wir Deutschland zu einem offeneren Land machen. Ich bin überzeugt, dass am Ende davon die gesamte Gesellschaft profitiert. Indem sich alle Menschen schneller zugehörig fühlen können und wir durch die Reform den Zusammenhalt und unsere Demokratie stärken!
Hakan Demir ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Neukölln. Er ist stellvertretender migrationspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied des Innenausschusses. Innerhalb der SPD-Fraktion ist er zuständiger Berichterstatter für die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, internationale und europäische Asylthemen, die Schaffung eines Selbstbestimmungsgesetzes für transsexuelle Menschen und die Arbeits- und Bildungsmigration.
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