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Stresstest für die internationale Sozialpartnerschaft

Bei der 112. Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) traten verhärtete Fronten und Misstrauen zwischen Sozialpartnern zutage. Und dennoch gab es Ergebnisse.

Einmal im Jahr treffen sich Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Regierungsvertreter_innen aller 187 Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf und führen zwei Wochen lang Debatten und Verhandlungen zur Arbeitswelt. Dass dieser massive demokratische Akt schon so lange konstant besteht, gibt Hoffnung in einer Zeit, in der sich demokratische Systeme und Multilateralismus weltweit im Krisenmodus befinden. Wie die Debatten jedoch geführt wurden zeigt, dass der Druck auf Arbeiter_innen, ihre Rechte und diejenigen, die sie verteidigen, weltweit steigt.

Neue Standards, alte Debatten

Aus Unmut darüber, dass der ILO-Verwaltungsrat erst kürzlich eine Kontroverse zum Streikrecht an den Internationalen Gerichtshof verwiesen hat, bestand die Arbeitgeberseite gleich zu Beginn darauf, Fragen zur Versammlungsfreiheit und zum Recht auf Kollektivverhandlungen während der Konferenz gar nicht erst anzureißen. Mit dieser Forderung sollten zwei in den ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98 verankerte Grundprinzipien außen vor gelassen werden, was die themenübergreifende Arbeit in den Ausschüssen massiv erschwert hat. Sei es bei der Aussprache zu fundamentalen Prinzipien bei der Arbeit oder zu guter Arbeit in der Pflege und Betreuung, meist schien nur ein Minimalkonsens möglich. Dabei wurde deutlich, dass die Arbeitgeber den Sorgearbeiter_innen keine Stärkung ihrer Rechte zugestehen wollten.

Andererseits lässt sich als Erfolg verbuchen, dass bei der IAK die Erarbeitung eines neuen bindenden Übereinkommens zum Schutz vor biologischen Gefahren im Arbeitsumfeld beschlossen wurde – das erste, seitdem das Recht auf ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld als ILO-Grundprinzip anerkannt ist. Dennoch verliefen auch hierzu die Verhandlungen extrem zäh und unnachgiebig – selbst als ein Konsens greifbar schien –, so dass viele inhaltliche Entscheidungen auf das nächste Jahr vertagt werden mussten.

Das Übereinkommen schließt eine Lücke im ILO-Regelwerk und kann so einen Impuls für bessere Arbeitsschutzpolitik weltweit liefern. Gerade die COVID-19-Pandemie hat verdeutlicht, wie notwendig bessere Schutzmaßnahmen über sämtliche Branchen hinweg sind. 

Länder im Fokus

Die durch die Arbeitgeberseite verursachte Auseinandersetzung um die Versammlungs- und Kollektivverhandlungsrechte stellte auch den Normenanwendungsausschuss (Committee on the Application of Standards, kurz CAS) vor enorme Herausforderungen. Denn bei vielen der 24 verhandelten Länderfälle ging es gerade um die Verletzung dieser Rechte. Im CAS wurden schließlich Schlussfolgerungen beschlossen, in denen die betreffenden Staaten zur Ergreifung von Maßnahmen zur Einhaltung der ILO-Konventionen aufgerufen wurden.

Zusätzlich gab es eine Sondersitzung zu Belarus, da die dortige Regierung die Rechte von freien Gewerkschaften massiv einschränkt und sich trotz mehrfacher Aufrufe seitens des CAS über die vergangenen 20 Jahre hinweg nicht um eine Verbesserung der Lage gekümmert hat. Derzeit sitzen mindestens 41 Gewerkschafter_innen aufgrund ihres Engagements für die Rechte von Arbeitnehmer_innen im Gefängnis und werden dort unmenschlich behandelt – unter anderem diffamiert als „Terroristen“. Viele belarussische Gewerkschafter_innen mussten ins Exil fliehen, um sich und ihre Angehörigen zu schützen. Diese gravierenden Verstöße wurden von vielen demokratischen Staaten angeprangert, während Belarus von Ländern wie China, Russland, Venezuela, Ägypten, Eritrea, Aserbaidschan und Pakistan verteidigt wurde.

Darüber hinaus war die Gefährdungslage für Arbeiter_innen und Gewerkschafter_innen in verschiedenen Ländern Thema zahlreicher Veranstaltungen und Solidaritätsakte, etwa zu Myanmar, Argentinien, der Ukraine und den palästinischen Gebieten. Zur Lage in Palästina gab es darüber hinaus eine emotionale Sondersitzung im Plenum der IAK und auch die ILO selbst hat einen Bericht dazu veröffentlicht, obwohl einer Mission des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) nach Israel bisher die Einreise verwehrt blieb. Geopolitische Spannungen zeigten sich auch bei den Wahlen zum ILO-Verwaltungsrat bezüglich der Kandidatur des russischen Gewerkschaftsbundes FNPR.

Der Weg nach vorne

Allen Widrigkeiten zum Trotz richtet die ILO ihren Blick nach vorne. So gab die 112. IAK etwa den Startschuss für die Globale Koalition für soziale Gerechtigkeit – eine Sonderinitiative unter ILO-Führung, welche zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen und Fortschritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit festhalten will. Außerdem wurde erstmals die Außerkraftsetzung von veralteten ILO-Übereinkommen beschlossen, um neben der Erarbeitung neuer Normen insgesamt zur Modernisierung des ILO-Regelwerks beizutragen. Besonders spannend wird dabei auch die standardsetzende Diskussion im kommenden Jahr zu guter Arbeit in der Plattformökonomie sein. Diese Diskussion bereitet der Internationale Gewerkschaftsbund in Kooperation mit der FES intensiv vor. Hier wird sich konkreter zeigen, welche Antworten die internationale Sozialpartnerschaft für die Zukunft der Arbeit finden kann.

 

Über die Autoren

Fabian Lischkowitz ist Gewerkschaftskoordinator für Lateinamerika und die Karibik sowie Länderreferent für Brasilien und Uruguay der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Hendrik Johannemann ist Länderreferent für Japan, Korea und die Mongolei bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Beide nahmen an der 112. IAK in Genf teil.


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