Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
„Im Rückblick mag es erscheinen als sei der erfolgreiche Weg Spaniens von der Diktatur zur Demokratie einem gut konzipierten Drehbuch gefolgt,“ schreibt Antonio Muñoz Sánchez in seinem Buch über die Arbeit der FES in Spanien. Doch in Wirklichkeit habe sich Spaniens Schicksal Schritt für Schritt entwickelt. Ohne historische Blaupause bahnte sich der Prozess seinen Weg. Für diese Gemengelage war Dieter Koniecki, der sich „Konietzki“ sprach, ein Glücksfall: Es ist völlig eindeutig, dass die besondere Persönlichkeit von Dieter für diesen Moment in der Geschichte wie gemacht schien.
Mit politischem Fingerspitzengefühl, analytischer Scharfsichtigkeit, ausgeprägter Kontaktfreudigkeit, Wortgewandtheit und Durchsetzungskraft gelang es Dieter, zu einer gestaltenden Kraft in dieser Phase der Transition und darüber hinaus zu werden. Sein fantastisches Netzwerk, das sich über Politik, Verwaltung, und Medien hinaus auch auf Akademiker, Unternehmer, Geistliche, ja sogar bis zur spanischen Krone spannte, ist schlicht legendär. „El amigo aleman“, der deutsche Freund, nennt man ihn in Spanien bis heute.
Als erster Repräsentant der FES in Spanien trieb Dieter Koniecki ab 1976 – in enger Abstimmung mit Willy Brandt, Herbert Wehner und Hans Matthöfer – den Aufbau moderner sozialdemokratischer Institutionen, wie auch demokratischer Strukturen und Prozesse voran. Über drei Jahrzehnte leitete er die Geschäfte der FES und drückte seiner Arbeit ein prägnantes und persönliches Siegel auf. Selbstredend blieb er auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1996 für die Sache – und für die FES – aktiv.
Dieter Koniecki ist nun am 19. Oktober 2021 in seiner letzten Heimatstadt Saragossa, in Aragonien (Spanien), im Alter von 90 Jahren verstorben.
Er war ein Kind der Kriegsgeneration. Mit 14 Jahren musste er seine Heimatstadt Bunzlau in Schlesien verlassen. Als Jugendlicher in einem fremden Umfeld, erschien ihm die allgegenwärtige Zerstörung der Gebäude als ein Symbol für den Zusammenbruch der moralischen Grundlagen der deutschen Gesellschaft.
Anders als viele seiner Generation wandte er sich damals nicht von der Beschäftigung mit Politik ab. Im Gegenteil. Für ihn war klar, dass nun eine grundlegend neue politische Vision zur Gestaltung der Zukunft erforderlich war. Er konnte gar nicht anders, denn Dieter war ein „zoon politikon“, ein Mensch, dessen Gedanken ständig darum kreisten, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt vertieft werden konnte.
Dieters zweites großes Talent lag im Beherrschen von Fremdsprachen. Da lag es nahe, Politik und internationale Beziehungen, zu verbinden. Nach Abschluss des Studiums schrieb er an einer wissenschaftlichen Arbeit über die internationalen Kontakte der Studentenverbände in westlichen und östlichen Ländern, über die Blockgrenzen hinweg. Er sah darin ein Vehikel für die junge Generation, wieder grenzüberschreitende Verbindungen aufzubauen und damit eine bessere Zukunft in Europa und für Europa zu gestalten.
Doch Dieter traf erneut ein hartes Schicksal: 1961 in Ostberlin verhaftet, wurde er über die Grenze verschleppt und in der Tschechoslowakei zu 10 Jahren Kerkerhaft verurteilt. Die westdeutschen Behörden stimmten einem Austausch nicht zu. Der Austausch eines unschuldigen Bürgers gegen verurteilte östliche Spione hätte das falsche Zeichen gesetzt, befürchteten sie. Dieter musste den Preis dieser grundsätzlichen Erwägungen zahlen und verbrachte etliche Jahre unter schwersten Haftbedingungen.
Wer denkt, dass Dieter danach genug von Politik gehabt hätte, irrt. Vielmehr engagierte er sich aktiv in der Sozialdemokratie, weil sich allen voran Willy Brandt, für den „Fall Koniecki“ eingesetzt und eine vorzeitige Haftentlassung erwirkt hatte. Dieter kam bald in Kontakt mit führenden Sozialdemokraten, zu einer Zeit, als diese die politische Landschaft in Deutschland umgestalteten. Eine Zeit der Erneuerung, nach innen und nach außen, war angebrochen, und Dieter kannte alle bedeutenden sozialdemokratischen Akteure dieser Zeit.
Nach seiner Haftentlassung 1966 nahm Dieter Koniecki Kontakt zur Friedrich-Ebert-Stiftung auf. Die FES bot dem begabten jungen Mann ein Stipendium an. Im Zuge des „Lateinamerika-Stipendiaten-Programms“ zog Dieter 1967 nach Mexiko, um dort zu promovieren. Aus der Doktorarbeit wurde nichts, denn das Wohnzimmer seiner bescheidenen Studentenwohnung wurde schnell zu einem der aktivsten Büros der Stiftung. Minister und Gewerkschaftsbosse aber auch Wirtschaftsvertreter, Universitätsprofessoren und Kirchenvertreter gaben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Früh wurde dort die Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation diskutiert. Dieter unterhielt z.B. eine enge Freundschaft zu Ivan Illich und seinem Institut in Cuernavaca. Noch heute kennt jeder Politiker und Gewerkschafter in Mexiko und weit darüber hinaus Dieter Koniecki als Mittler zwischen Lateinamerika und Europa.
Dieters große Aufgabe kündigte sich dann schon vor dem Tod des spanischen Diktators Francisco Francos am 20. November 1975 an. In Spanien formierten sich bereits mit Macht demokratische Kräfte. Die deutschen Sozialdemokraten setzten im Rahmen ihrer Politik der Westintegration sogleich auf eine langfristige Strategie der Demokratisierung Spaniens. Dieter Koniecki sollte dabei nicht fehlen.
Der Entscheidung zur Eröffnung eines FES-Büros in Spanien am 18. Dezember 1975 war ein ausführlicher Bericht Dieter Konieckis vorausgegangen. Diesen hatte er Mitte September 1975 in einem Madrider Hotelzimmer verfasst, nachdem er einige Zeit im Auftrag der Stiftung das Land bereist und eine Vielzahl von Gesprächen geführt hatte.
Er formulierte seine Ideen in einem nüchternen Bericht zum Zustand der demokratischen Strukturen und zur künftigen Rolle der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und des Gewerkschaftsdachverbands UGT und skizzierte Leitlinien für die zukünftige Arbeit der FES in Spanien. Es war nicht zuletzt Dieters außergewöhnliche Überzeugungs- und Durchsetzungskraft sowie ausgeprägte kommunikative und diplomatische Fähigkeiten, die Willy Brandt, Hans Matthöfer und Herbert Wehner dazu bewegten, Dieter aktiv zu unterstützen.
Wichtig waren auch Dieters enge Verbindungen zur PSOE-Führung v.a. auch zum damaligen Generalsekretär, Felipe Gonzáles.
Ein breit angelegtes politisches Bildungsprogramm, Studien und Stipendien, damit begann ab 1976 die Arbeit zur Etablierung moderner demokratischer Institutionen im Partei- und Gewerkschaftswesen – auch und gerade auf regionaler und lokaler Ebene. Mit dem bekannten Erfolg: Bei der Wahl im Oktober 1982 wurde die PSOE zur stärksten Kraft und konnte mit Felipe Gonzáles den Ministerpräsidenten stellen. Spanien wurde ein verlässlicher Partner in EU und NATO.
Dieter Koniecki konnte erst nach dem Zusammenbruch des „Ostblocks“, in seinem sechsten Lebensjahrzehnt, die Stätten besuchen, die mit den Narben der Vergangenheit verbunden waren. Bunzlau, seine Geburtsstadt, war für ihn wie ein Spiegel der fernen Jugend. In Prag stellte er fest, dass das FES-Büro genau gegenüber dem Gerichtsgebäude lag, in dem sein Hafturteil verkündet worden war. Er hat damals einen persönlichen Brief des amtierenden Innenministers erhalten, der um Verzeihung für das erlittene Unrecht bat.
Dieser war nach 1968 selbst zum Dissidenten geworden und wusste, was politische Inhaftierung bedeutete. So konnte Dieter nach 1990 allmählich die schmerzhaften Kapitel seiner frühen Jahre schließen: Er wusste, dass die geschichtliche Entwicklung seinen Weg gegangen war. Eine politische Gestaltung, in deren Zentrum die Reformen der Sozialdemokratie standen, hat die Lebensgrundlagen für die Menschen in Europa verbessert, Grenzen gesprengt, den persönlichen Austausch ermöglicht. Er stand auf der richtigen Seite der Geschichte, auch wenn es galt, Risiken einzugehen und auch, wenn er persönlich dafür Opfer bringen musste. Dieter war in seinen Überzeugungen und in seinem Handeln unerschütterlich, so erinnern wir ihn, unseren geschätzten Kollegen.
Alexander Kallweit, Ernst Kerbusch, Luise Rürup
Dr. Alexander Kallweit leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Peking. Zuvor war er Leiter der Abteilung Internationaler Dialog der FES.
Ernst J. Kerbusch, war von 1976 bis 1990 Stellvertretender Leiter der Internationalen Abteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und von 1990 bis 2008 Leiter der Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der FES.
Luise Rürup leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid. Zuvor war sie Leiterin des Referats Forum Politik und Gesellschaft in Berlin und Leiterin der Büros in New York, Chile, Indien und der Türkei.
Die Publikation "Von der Franco-Diktatur zur Demokratie" von Antonio Muñoz-Sánchez enthält einen Sachbericht von Dieter Koniecki über eine Sondierungsreise nach Spanien im Jahr 1975.