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Der Dammbruch von Erfurt weckt beklemmende Erinnerungen, auch wenn sich die Verhältnisse in der Weimarer Republik nicht mit der heutigen Situation vergleichen lassen. Der Schock sitzt tief.
Trotzdem: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Ministerpräsident mit den Stimmen einer völkisch rechts-nationalen Partei gewählt. Als hätten wir, die Demokratien des Westens, nicht vor wenigen Tagen an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren erinnert. Zeit und Ort drängen zu historischen Vergleichen. Wie groß ist der Schaden vom Mittwoch für unsere Demokratie?
Fast auf den Tag genau, vor 90 Jahren, im damaligen Thüringen wurde mit Wilhelm Frick erstmals ein Mitglied der NSDAP Minister in einer Landesregierung. Bürgerlich-konservative Kräfte glaubten damals noch, die Nationalsozialisten einhegen zu können – und verhalfen ihnen zur Macht. Es erfüllt mich mit Stolz, heute sagen zu können, dass es die deutsche Sozialdemokratie war, die sich den Nationalsozialisten und den Feinden der Weimarer Republik entgegenstellte – bis hin zur heute noch aufwühlenden Rede von Otto Wels – im schon von den Nazis besetzten Reichstag. Wie hoch der Preis war, den viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bezahlen mussten, wissen wir heute.
Der Konservative Erwin Baum, Vorsitzender des Thüringischen Landbunds, hatte sich bereit erklärt, mit der NSDAP eine Regierung zu bilden. "Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen" freute sich daher am 2. Februar 1930 ein gewisser Adolf Hitler. "Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. [...] Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen." Die rechtsbürgerliche-nationalsozialistische Thüringer Koalition, die sogenannte Baum-Frick-Regierung, wurde so 1930 die erste Landesregierung der Weimarer Republik mit einer Beteiligung der NSDAP.
Zuvor, bei der Landtagswahl in Thüringen am 8. Dezember 1929, hatte die NSDAP ihren Stimmenanteil fast verdreifachen können. Die eigentliche Wahlsiegerin, die SPD, stellte zwar die größte Fraktion. Doch die bürgerlichen Parteien weigerten sich, mit ihr zusammenzuarbeiten. So blieb sie, ohne Koalitionsoptionen, chancenlos.
Der Nationalsozialist Wilhelm Frick wurde Staatsminister für Inneres und Volksbildung in Thüringen. Hitlers Kalkül lautete 1930: "Wer diese beiden Ministerien besitzt und rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann Außerordentliches wirken." Frick verlor keine Zeit und erließ anstelle von Gesetzen eine Reihe von Verordnungen. Mit ihnen säuberte er zielstrebig den Verwaltungsapparat, vornehmlich von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
Thüringen: Hier begann für die SPD der Widerstand gegen den Nationalsozialismus schon im Januar 1930 – drei Jahre vor dem vom Reichstag beschlossenen Ermächtigungsgesetz, welches der ersten deutschen Demokratie ein Ende bereiten sollte.
1930 wie 1933 war es die Sozialdemokratie, die sich mit aller Macht gegen die sogenannte "Machtergreifung" der Nationalsozialisten stellte, bei der es sich in Wahrheit um eine Machtübergabe an Hitler durch die bürgerlich-konservativen Kräfte handelte.
Es war der Sozialdemokrat und Staatsrechtler Hermann Brill, der als Abgeordneter des Thüringer Landtags gegen die Entmachtung des Parlaments kämpfte. Er hintertrieb die Politik des nationalsozialistischen Innenministers Frick, der dem Landtag die parlamentarische Kontrolle über die Gesetzgebung zu entziehen suchte. Hermann Brill brachte im Namen der SPD-Fraktion das Gesetz vor dem Staatsgerichtshof zu Fall. Brills entschiedene Kritik und sein entschlossenes Handeln trugen maßgeblich zum Misstrauensantrag gegen Frick im April 1931 bei, der nicht nur Fricks Amtszeit beendete, sondern auch das zwischenzeitliche Ausscheiden der NSDAP aus der Regierung nach sich zog.
Anschließend führte Brill 1932 den Untersuchungsausschuss, den der Thüringer Landtag auf Initiative von SPD und KPD zur Durchleuchtung der Praktiken Fricks eingesetzt hatte. Frick hatte im Juli 1930 versucht, dem damals staatenlosen Adolf Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Dazu hatte er ihm auf dem Gautag der NSDAP in Gera die Ernennungsurkunde zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen überreicht. Brill lud auch Hitler als Zeugen vor den Untersuchungsausschuss. Auf die Fragen Brills reagierte Hitler mehrfach mit Wutanfällen – ein Schlüsselerlebnis für Brill. Er schwor, sich Hitler "jederzeit, überall, unter allen Umständen" zu widersetzen.
Was aus der Geschichte zu lernen ist, ist, dass die Hoffnung auf "Einhegen" und "Zähmen" radikaler Kräfte, hat man sie erst salonfähig gemacht, naiv und verantwortungslos ist. Bei den Wahlen zum VI. Thüringer Landtag, am 31. Juli 1932, schaffte die NSDAP den Durchbruch und siegte mit 42,5 Prozent der Stimmen.
Unser Landesbüro Thüringen, das seit seiner Gründung nach der Wiedervereinigung im "Hermann-Brill-Haus" residiert, erinnert aktuell mit einer Ausstellung an das Wirken der damaligen Thüringer SPD. Der Blick zurück könnte passender nicht sein. Wer diese Ausstellung besucht, wird spüren, dass wir vor wenigen Tagen ein Fiasko für unsere Demokratie erlebten. Denn damals wie heute faselten sogenannte bürgerliche Kräfte davon, es gelte mit allen Mitteln eine linke Koalition zu verhindern – nur um dann die Demokratie ihren Feinden auszuliefern.
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber manchmal bietet die Gegenwart eine einzigartige Chance, um aus vergangenen Fehlern zu lernen.
Kurt Beck, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung