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Die Friedrich-Ebert-Stiftung trauert um Jürgen Schmude

Jürgen Schmude ist am Montag, den 3. Februar 2025 im Alter von 88 Jahren gestorben. In vielerlei Ämtern und Funktionen, vor allem als Bundesminister sowie als Präses der Synode der Evangelischen Kirche, hat er die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialdemokratie entscheidend mitgestaltet und nachhaltig geprägt.

Porträt Jürgen Schmude, 1972
© J. H. Darchinger / FES | 6/FOTA108213

Porträt Jürgen Schmude, 1972

Jürgen Schmude wurde am 9. Juni 1936 im ostpreußischen Insterburg in einer Kaufmannsfamilie geboren, die einige Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst nach Westpreußen und Pommern vertrieben wurde, bis sie 1947 zu Verwandten in Moers am Niederrhein übersiedeln konnte. Dort fand Schmude Anschluss an die evangelische Jugendarbeit und wäre nach seinem Abitur wohl in die Gesamtdeutsche Volkspartei eingetreten, doch die war bereits in Auflösung begriffen. Schmude folgte dem Beispiel vieler GVP-Politiker:innen wie Gustav Heinemann, Helene Wessel und Johannes Rau indem er seine politische Heimat in der SPD fand.

Er studierte Rechtswissenschaft in Göttingen, Berlin, Bonn und Köln und legte 1961 das juristische Referendarexamen sowie 1966 das Assessorexamen ab. Als er 1968 in Bonn promoviert wurde, war er bereits als Rechtsanwalt in die Essener Anwaltssozietät von Gustav Heinemann eingetreten, den er zeit seines Lebens als politische Leitfigur ansah. Schmude engagierte sich kommunalpolitisch und war von 1964 bis 1971 Mitglied des Stadtrates von Moers, zeitweilig auch Kreistagsabgeordneter. Er wechselte jedoch in die Bundespolitik und wurde 1969 in den Deutschen Bundestag gewählt. Seinen Wahlkreis Moers gewann er stets mit Direktmandat, immer mit absoluter Mehrheit, einmal sogar mit 67,2 Prozent.

Abgeordneter im Deutschen Bundestag

Schmude war mit rechtspolitischen Entscheidungen im Rahmen der Reformpolitik der sozialliberalen Koalition befasst. So gestaltete er das neue Ehe- und Familienrecht; auch das Betriebsverfassungsgesetz, das Abtreibungsrecht und das Mietrecht wesentlich mit. Nach dem Kanzlerwechsel im Mai 1974 stieg Jürgen Schmude neben Gerhart Baum (FDP) zum Parlamentarischen Staatssekretär von Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) auf. 1976 beauftragte Fraktionschef Herbert Wehner ihn mit der Leitung des Arbeitskreises I für Außen- und Sicherheitspolitik, innerdeutsche Beziehungen, Europa- und Entwicklungspolitik in der SPD-Bundestagsfraktion. Vor allem die Deutschlandpolitik hatte es Schmude angetan; hier galt er als äußerst versiert, nicht nur weil er im Bundestag von Beginn an dem Ausschuss für innerdeutsche Beziehungen angehörte, sondern auch weil er in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren über Besuche bei evangelischen Christen in der DDR seine spätere Ehefrau kennengelernt und fortan über vier Jahre um ihre Ausreisegenehmigung gerungen hatte.

Zweimal Bundesminister

Im Zuge einer Kabinettsumbildung am 16. Februar 1978 wurde Schmude zum Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ernannt und meisterte den schwierigen Balanceakt zwischen Bundes- und Länderinteressen. Als  Anfang 1981 Hans-Jochen Vogel in Berlin das Amt des Regierenden Bürgermeisters antrat, übernahm Schmude am 28. Januar 1981 das Bundesjustizministerium und leitete es bis zum Ende der sozialliberalen Ära am 1. Oktober 1982 – zudem war er noch für die letzten zwei Wochen als Innenminister für den mit allen anderen FDP-Ministern aus der Koalition ausgetretenen Gerhart Baum eingesprungen.

Jürgen Schmude galt mit seiner leisen, zurückhaltenden Art als Inbegriff des nahezu unsichtbaren Politikers, der in der öffentlichen Aufmerksamkeit durchs Raster fällt. Lieber arbeitete er fleißig im Stillen, als dass er seine Erfolge vor sich her getragen hätte. Mag er auch „Bonns unbekanntester Minister“ gewesen sein, so genoss er doch in Politik und Fachkreisen – und auch in seinen Ministerien – hohes Ansehen. Schmude wurde dabei reichlich hintergründiger Humor und Selbstironie nachgesagt: „Wie wird jemand wie Sie Politiker und auch noch Minister?“  - „Das frage ich mich auch oft morgens, wenn ich beim Rasieren in den Spiegel schaue.“ Aufsehen erregte Schmude allenfalls, wenn er auf das Ministeramt vereidigt wurde, ohne dabei „so wahr mir Gott helfe“ hinzuzufügen, gerade weil er sich als gläubiger Christ nicht an der „Vermischung von weltlichen und göttlichen Dingen“ beteiligten wollte.

Schmude, in der linken Mitte seiner Partei verortet, wurde nicht nur in beiden SPD-Flügeln, sondern auch über Parteigrenzen hinweg als moralische Instanz geschätzt, da er nicht auf Polarisierung, sondern auf Integration und Gemeinsamkeiten setzte. Seine geräuschlose Ämterführung und sein ruhiges, gewissenhaft abwägendes Verhandlungsgeschick boten wertvolle Verlässlichkeit, sodass in Porträts Prädikate wie „Augenmaß“, „Aufrichtigkeit“ und „Beharrungsvermögen“ nicht fehlten. Diese Prädikate wurden besonders in seinem Agieren in der Flick-Parteispendenaffäre deutlich, als er sich weigerte, rasche Amnestien auszusprechen.

Für die Bundestagswahl 1983 gestaltete er das Wahlprogramm federführend. Überdies berief ihn Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel in seine Regierungsmannschaft, in der er zusammen mit Herta Däubler-Gmelin für Innen-, Rechts- und Ausländerpolitik zuständig war. Doch ein neuerliches Ministeramt rückte in weite Ferne, die SPD blieb auf den Oppositionsbänken. Schmude wurde stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion und hatte außerdem den Vorsitz des Arbeitskreises II (Inneres, Bildung, Sport) der Fraktion inne, widmete sich aber auch der Deutschlandpolitik. Im Mai 1985 – während sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 40. Mal jährte – sorgte er für Schlagzeilen und heftigen, aber kurzen Aufruhr, als er in einer Rede vor dem Historisch-Politischen Arbeitskreis des Kuratoriums Unteilbares Deutschland über das Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des Grundgesetzes und andere zukünftige Formen der deutsch-deutschen Annäherung nachdachte.

Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland

Nur wenige Tage später wurde Schmude zum Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt und vollzog sogleich einen „Teilrückzug“ aus der Politik: seine Funktionen in der Bundestagsfraktion legte er nieder, blieb aber bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags. Unter Schmudes Vorsitz des Kirchenparlaments erfolgte der Zusammenschluss zwischen der EKD und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR auf Augenhöhe. Er wurde im Juni 1991 auf der ersten gesamtdeutschen Synode als einziger Kandidat wiedergewählt; sein kirchliches Ehrenamt bekleidete er bis Mai 2003 insgesamt achtzehn Jahre und drei Amtsperioden lang.

Schmude zählte zu den profiliertesten Protestanten; sein Ehrenamt hielt er aus dem politischen Geschäft konsequent heraus, aber dennoch oder gerade deshalb hatte seine Stimme im öffentlichen Diskurs Gewicht. Als Brückenbauer zwischen Kirche und Politik schaltete er sich immer wieder zu Sachthemen in Debatten ein, sei es zum Einigungsprozess und zur Stasi-Aufarbeitung, zum Golfkrieg und zum Militäreinsatz auf dem Balkan oder zu rassistischer Gewalt und zur Einschränkung des Asylrechts. Weiterhin gehörte er ab 2000 der von Rita Süssmuth geleiteten Unabhängigen Kommission Zuwanderung an. 2002 bat ihn die SPD Nordrhein-Westfalen, in einer Feststellungskommission Licht in die Spendenaffäre rund um die Kölner SPD zu bringen. Von 2005 bis 2012 war er Mitglied im Nationalen Ethikrat bzw. Deutschen Ethikrat.

Zu Schmudes Werdegang zählen zudem mehrere Posten, die ihm vergebens angetragen worden sind. Zeitgenössischen Berichten zufolge wurde Schmude im Herbst 1991 gedrängt, er möge sich um Hans-Jochen Vogels Nachfolge als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion bewerben – unter Verweis auf seinen Synodalvorsitz lehnte er ab. 1993 galt Schmude als idealer und von den Regierungsparteien akzeptierter Kandidat für das Amt des Vorsitzenden des Zweiten Senats und Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts – und somit absehbar auch als Nachfolger des amtierenden Präsidenten des Gerichts Roman Herzog. Doch als die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen das althergebrachte Auswahlverfahren kritisierte und dafür eintrat, am männerdominierten höchsten rechtsprechenden Gremium den weiblichen Anteil zu verstärken, verzichtete er.

Schmude kümmerte sich auch um das Erbe seines langjährigen Fraktionsvorsitzenden: Im Juli 2001 wurde er Sprecher des Freundeskreises Herbert-Wehner-Bildungswerk in Dresden und half maßgeblich, die 2003 neugegründete Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung aufzubauen; von Beginn an bis 2015 war er zudem Mitglied und Vorsitzender ihres Stiftungsbeirats.

Sein politischer Nachlass wird im Archiv der sozialen Demokratie verwahrt. Die Friedrich-Ebert-Stiftung trauert mit seiner Familie und wird Jürgen Schmude ein ehrendes Andenken bewahren.

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