Auf Beton gebaut? Südeuropa und die Krise

Die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 hat die südeuropäischen Länder besonders hart getroffen. Deutschland und die Krisenbewältigung der EU sind daran nicht ganz unschuldig. Was jetzt getan werden kann und warum die EZB die richtigen Impulse setzt.

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Die Wirtschaftskrise in Spanien ist auch heute noch weithin sichtbar: Leere Rohbauten in fast allen spanischen Städten, Baugerippe an den Rändern der Metropolen. Der spanische Aufschwung bis zur Wirtschaftskrise 2007 sei, wurde in Deutschland häufig süffisant kommentiert, auf Beton gebaut. Tatsächlich trug der Bausektor bis zur Krise fast ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei – mehr als in Ostdeutschland auf der Höhe des Baubooms Mitte der 90er Jahre. Es waren jedoch nicht nur Häuser, die prächtig wuchsen: Spaniens Wirtschaft insgesamt erlebte bis 2007 ein Jahrzehnt anhaltender Prosperität. Das Land halbierte seine Arbeitslosigkeit, obwohl es gleichzeitig vier Millionen Immigrant_innen (10 Prozent der Bevölkerung) aufnahm. Mit 3,6 Prozent lag das Wachstum noch 2007 über EU-Durchschnitt. Anders als gerade in Deutschland häufig kolportiert wird, war diese stabile wirtschaftliche Lage nicht Ergebnis einer sonderlich expansiven Haushaltspolitik.

Der weltweite Schock trifft Südeuropa besonders

Im Gegenteil: „Bis zur Krise war die spanische Staatsverschuldung sehr gering, viel niedriger als die deutsche“, konstatiert Michael Dauderstädt. Der Wirtschaftswissenschaftler hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit vier nationalen Experten die vier südlichen Euro-Länder Spanien, Portugal, Griechenland und Italien untersucht und zeigt „Wachstumsstrategien für Südeuropa“ auf. Der wirtschaftliche Kollaps in den untersuchten Ländern sei vor allem dem externen Schock von Finanzkrise und globaler Rezession geschuldet, zeigt Dauderstädt. Das wirtschaftliche Modell der Länder sei in der Folge kollabiert: „Die Länder Südeuropas verfolgten bis zur Krise Wachstumsmodelle, die hauptsächlich auf einer Expansion der Binnennachfrage und der Branchen beruhten, die nicht handelbare Güter produzieren“. Ein klassisches nichthandelbares Gut: Häuser. Tatsächlich also, sagt auch Dauderstädt, sei die Immobilienblase eine der Auslöser der Krise. Die Ursachen der wirtschaftlichen Talfahrt gehen aber weiter: Vorhandene Strukturdefizite in den Ländern, wie zu traditionell geprägte Industriesektoren oder mangelhafte Investitionen in Ausbildung und Entwicklung, sind in der Folge der Krise aufgebrochen.

Europa trägt eine Mitschuld

Gerade in der Griechenlandkrise hieß es aus Berlin und Brüssel häufig, das Land solle seine Hausaufgaben machen - gemeint waren hier meist weitere Haushaltskonsolidierungen. „Griechenland ist auch das Land, bei dem die internationalen Gläubiger nahezu alles falsch gemacht haben“, kritisiert Dauderstädt.
Zu einseitig habe sich die EU auf den Schuldenabbau fixiert. Gerade um die strukturellen Defizite zu beheben, müssen Italien, Spanien, Portugal und Griechenland bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Volkswirtschaften in Innovation und Bildung investieren - mit Hilfe der EU, fordert Dauderstädt.

In besonderer Verantwortung sieht er dabei auch Deutschland: „Was fehlt, ist ein deutlicher Anstieg der Nachfrage seitens der Gläubiger, die der gesündeste Weg aus der Krise wäre.“ Ein Weg: Deutschland muss sein überbordendes Außenhandelsdefizit abbauen und gleichzeitig Waren und Dienstleistungen aus den Ländern Südeuropas importieren. Dafür müssten jene Länder wiederum strukturell in ihre Industrieproduktion investieren, um deren Produkte attraktiver zu machen.

„Die EZB geht den richtigen Weg“

Für Investitionen fehlt den Ländern Südeuropas bislang allerdings der Handlungsspielraum: Die Währungshüter des Euros drängen weiter darauf, möglichst geringe Haushaltsdefizite zu erzielen. Jüngst wurden sowohl Italien und Spanien , als auch Portugal  von der EU-Kommission bzw. den Euro-Finanzministern zu höherer Haushaltsdisziplin ermahnt - ein falsches Zeichen, findet Michael Dauderstädt: „Die Einhaltung der Defizitklauseln sollte nicht die höchste Priorität haben.“ Sinnvoll wäre indes, die Investitionen der öffentlichen Hand aus der Defizitklausel heraus zu rechnen und auch auf EU-Ebene mehr Investitionen in den südlichen Euro-Ländern anzustoßen.

Die Gelegenheit ist günstig, nachdem die Europäische Zentralbank dieser Tage nicht nur den Leitzins auf null Prozent gesenkt, sondern auch erweiterte Anleihenkäufe angekündigt hat. Damit hofft die Zentralbank, die derzeit niedrige Inflation anheben zu können und die Banken in den Mitgliedsländern zu einer lockereren Kreditvergabe zu bewegen. Für die südeuropäischen Länder könne das positive Impulse bringen, glaubt auch Dauderstädt: „Die EZB macht Druck in die richtige Richtung. Aber viele andere Akteure ziehen nicht mit.“ Unternehmen und private Konsumenten halten sich mit Investitionen und Konsum zurück, auch wegen anhaltend hoher Verschuldung. Es wäre also an der öffentlichen Hand, mehr zu investieren. Möglichkeiten dies zu tun, gäbe es zur Genüge - nicht nur in Beton.

Weitere Links zu dem Thema:

Emilio Ontiveros: Eine progressive Wachstumsstrategie für Spanien. FES, 2013

Soziales Wachstum. Leitbild einer fortschrittlichen Wirtschaftspolitik.
Expertise des Thementeams "Soziales Wachstum" der FES, 2013.

Thorsten Schulten: Chancen für einen Wiederaufbau? Die Zukunft des griechischen Tarifvertragssystems nach dem dritten Memorandum. FES, 2015

Michael Dauderstädt und Cem Keltek: Krise, Austerität und Kohäsion: Europas stagnierende Ungleichheit. FES, 2014


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