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Die Covid-19-Pandemie hat die Relevanz von Datenjournalismus auf eine neue Ebene gehoben: Täglich werden neue Zahlen veröffentlicht und von Datenjournalismus-Teams verarbeitet, interpretiert und dem Publikum präsentiert. Das Interesse an Zahlen und Daten ist so hoch wie nie.
Das läuft zweifellos nicht immer optimal. Datenjournalist_innen ringen immer wieder darum, welche Maßzahlen, das sind Zahlen, die wesentliche Eigenschaften von Daten zusammenfassen, aktuell die wichtigste Aussage vermitteln — R, Verdopplungszeit oder die Zahl der Neuinfektionen? Dann ist da noch die Frage nach der Quelle: Sollen nur Daten des Robert-Koch-Instituts verwendet werden? Oder die Daten der Landesämter, auch wenn da im Nachhinein noch viel korrigiert wird? Oder noch kleinteiliger und aufwendiger: Die Daten der Kreisbehörden? Darauf gibt es nicht die eine Antwort, fast jede Redaktion macht es etwas anders.
Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig es für Redaktionen ist, Datenjournalist_innen zu haben. Ohne sie fiele es deutlich schwerer die Bevölkerung angemessen zu informieren, denn: Technik-, Programmier- oder Statistik-Kenntnisse besitzen nur wenige Redakteur_innen. Auch in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler_innen bemühen sich Daten-Teams, die komplexe Thematik einer Pandemie verständlich zu machen. Aber auch wenn die Corona-Krise in den meisten Daten-Teams seit Anfang des Jahres die Arbeit bestimmt, ist das nicht der einzige Einsatzzweck von Datenjournalismus.
Eine strikte Definition ist schwierig. Fragt man drei Datenjournalist_innen was Datenjournalismus ist, erhält man vier unterschiedliche Antworten. Einen passenden Umriss bieten die beiden Wissenschaftler Weinacht und Spiller (2014, S. 418):
Datenjournalismus ist eine spezielle Form der
Journalist_innen mit Daten-Skills können neue Zugänge eröffnen, indem sie bei der Recherche Wege gehen, die anderen verschlossen sind: angefangen beim guten Kontakt zu Statistischen Ämtern, bis hin zum Einsatz von Scraping, dem automatischen Extrahieren von Daten auf Websites.
Daten-Skills helfen bei der Interpretation von Datensätzen, die heute tagtäglich veröffentlicht werden. Die polizeiliche Kriminalstatistik beispielsweise wurde zuletzt unter anderem von Datenjournalist_innen kritisiert, die ihre fehlende Aussagekraft bemängelten.
Die visuelle Darstellung – oft mit hoher Informationsdichte – hilft dem Publikum dabei, komplexe Sachverhalte zu verstehen. Der Spruch “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte” klingt abgedroschen, eben weil er es auf den Punkt bringt. Unterschiedlich hohe Balken können wir schneller vergleichen als zwei Zahlen in einem Text. Hinzu kommen neue Wege Geschichten zu erzählen, besonders mit den Möglichkeiten, die moderne Web-Technologien bieten. Interaktive Elemente beispielsweise, mit denen das Publikum in der Lage ist die Geschichte genauer zu untersuchen oder zu personalisieren.
Grundsätzlich sieht der Workflow von Datenjournalist_innen so aus: Jemand hat eine Idee oder Hypothese, die belegt werden soll. Dazu sucht man Daten, säubert und analysiert sie um sie anschließend visualisiert in eine Geschichte einzuflechten.
Das dazu benötigte Skillset ist groß und viele Datenjournalist_innen sind Generalist_innen. Trotzdem kann niemand alles können und viele Datenjournalist_innen arbeiten in Teams aus Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen: Im besten Fall arbeiten Datenjournalist_innen, Fachredakteur_innen, die sich mit dem Thema auskennen, Entwickler_innen und Designer_innen zusammen und teilen sich die Arbeit auf.
Für den Newsroom und die Redaktion ist es von Vorteil Datenjournalist_innen zum Team zu zählen: Sie bieten Expertise für die Einschätzung von Datensätzen und den Methoden von Studien und kennen alternative Recherchewege.
Datenjournalismus bietet die Möglichkeit, über Zitate und Anekdoten von Einzelpersonen hinauszugehen: Daten sind letztendlich die gesammelten Informationen vieler Einzelfälle. Damit lassen sich Zitate und Anekdoten in ihren größeren Kontext setzen: Handelt es sich um Fakten oder doch nur eine Einzelmeinung?
Über eine große Anzahl von Fällen können systemische Probleme dargestellt werden, wodurch solche Geschichten mehr Gewicht haben als über Einzelfälle zu berichten. Ein Vergleich mit der Vergangenheit im zeitlichen Kontext kann aktuelle Entwicklungen besser einordnen.
Manchmal genügt ein geschulter Blick auf die Rohdaten, um so manche Behauptung auch selbst überprüfen zu können. Datenjournalist_innen müssen hier nicht nicht auf Datenerheber_innen und ihre Pressestellen vertrauen, um Information in einem Datensatz zu bewerten. Manchmal können sie das selbst überprüfen und die Ansprechpartner_innen anschließend damit konfrontieren. In der Regel gilt allerdings auch im Datenjournalismus: Eine Quelle ist keine Quelle; alles muss verifiziert werden. Im besten Fall gibt es zwei Datenerhebungen mit ähnlichen Methoden, die das gleiche Bild vermitteln. Das ist jedoch fast nie der Fall. Und in der Regel auch nicht notwendig: Eine Einschätzung von Rechercheergebnissen durch Expert_innen bringt nicht nur Absicherung sondern häufig auch weitere wertvolle Erkenntnisse. Die technische Expertise von Datenjournalist_innen ersetzt nicht fachspezifisches Wissen.
Zu datenjournalistischen Methoden gehört auch die Darstellung großer Mengen an Informationen in einer einfachen, verständlichen Form. Die Informationsdichte einer Tabelle ist hoch: In einem Fließtext formuliert wäre das Resultat eine mit Zahlen vollgestopfte Bleiwüste – was viel zu häufig immer noch der Fall ist. Eine Grafik vermittelt diese Informationen, nimmt aber weniger Platz ein und ist verständlicher. Außerdem werden lange Texte optisch interessanter, wenn sie von anderen Elementen unterbrochen sind.
Die Vorteile von Datenvisualisierungen zeigen sich beispielsweise bei Bundestagswahlen: An Stelle von Tabellen, die hunderte Zeilen für jede Gemeinde und ein Dutzend Spalten für Nichtwähler bis Parteiergebnisse enthalten, zeigen eine Karte und Grafiken schnell, wo eine Partei am stärksten war, welche Altersgruppe welche Partei gewählt hat und andere Aspekte.
In Daten lassen sich Geschichten oder Argumente finden, die Anderen verborgen bleiben. Sie bieten manchmal neue Perspektiven auf bestehende Debatten und damit auch die Chance für exklusive Geschichten. Das liegt vor allem daran, dass bisher nur wenige Journalist_innen die nötigen Skills haben, um in Daten zu recherchieren.
Daten sind weder objektiv noch neutral. Sie werden von Menschen gesammelt, analysiert und kommuniziert. Das bedeutet, Menschen entscheiden über die Methoden der Datenerhebung, die zugrundeliegenden Definitionen, die Auswahl und Präsentation der Daten. Dabei kann es immer vorkommen, dass Menschen Fehler machen oder absichtlich manipulieren. Deshalb gilt grundsätzlich: Datenjournalismus ist Journalismus! Datensätze müssen wie alle anderen Quellen hinterfragt und geprüft werden.
Datenjournalist_innen wissen: Nur weil Daten drauf steht, muss noch lange nicht Wahrheit drin sein. Sie haben nicht nur das Handwerkszeug, um Behauptungen anderer kritisch zu hinterfragen, sondern auch das notwendige Wissen, ihre eigene Arbeit nicht aus Unwissen irreführend darzustellen – was in der Praxis nicht immer so leicht ist.
Er bedient sich eines anderen Werkzeugkoffers und manchmal einer anderen Sicht auf die Dinge, verfolgt jedoch letztlich die gleichen Ziele. Er ersetzt nicht den etablierten Journalismus, sondern ergänzt ihn. Dabei ist von Redaktion zu Redaktion und von Geschichte zu Geschichte unterschiedlich, welche Werkzeuge verwendet werden.
Im Laufe der Professionalisierung der Datenjournalismus-Szene haben sich einige beliebte Formen der Erzählung oder Darstellung von Datengeschichten herauskristallisiert.
Tagesaktuelles Geschehen lässt sich aus der Datenperspektive betrachten. Ein Beispiel: Gibt es Daten, die untermauern oder widerlegen, was ein_e Politiker_in behauptet? Grundlegende Statistikkenntnisse gehören zum Werkzeugkasten von Datenjournalist_innen und helfen im Tagesgeschehen dabei, Missverständnisse und manipulative Aussagen über Daten zu entdecken.
Eine Nachricht oder kurzer Bericht bietet sich als Umsetzungsform an. Wenn überhaupt werden schnell verfügbare Daten in einer simplen Grafik visualisiert. Oft fließt die Datenrecherche in Textform in den Bericht ein.
Sind die Daten exklusiv, stammen vielleicht sogar aus einem Leak, also einer Veröffentlichung von geheimen Informationen durch Whistleblower, darf viel Arbeit in die Recherche und Aufbereitung hineingesteckt werden, weil andere Redaktionen diese Daten nicht haben. Die aufwendige Einarbeitung in Datensätze belohnt jedoch oft mit beeindruckenden Geschichten und neuen Informationen.
Aufwendig gestaltete Longreads und exklusive Nachrichten bieten sich als Umsetzungsformen an.
Beispiel: Hanna und Ismail – Diskriminierung auf dem Mietmarkt (BR Data & Spiegel Data)
Ein häufiger Einsatz von datenjournalistischen Kompetenzen ist die Analyse eines Datensatzes hinsichtlich Trends, Mustern und Ausreißern. Gerade in Ausreißern, also Datenpunkten, die vom Rest besonders abweichen, können interessante Geschichten versteckt sein. Oft sind sie aber auch einfach nur das: Ausreißer. Mit datenjournalistischen Methoden lässt sich einschätzen, ob sie berichtenswert sind oder nicht.
Eine Nachricht, ein Feature oder ein Bericht bietet sich als Umsetzungsform an.
Beispiel. So wirkt sich Corona auf den Verkehr aus (Sueddeutsche.de)
Sind die Daten von direkter, praktischer Relevanz für das Publikum, lohnt sich ein Service-Stück. Hierbei werden die Daten meist mit interaktiven Elementen aufbereitet und präsentiert. Das Publikum kann sich dadurch selbst in den Daten wiederfinden oder die Daten auf eigene Faust erkunden.
Karten und interaktive Grafiken bieten sich als Umsetzungsformen an.
Beispiel: Corona-Fallzahlen für den eigenen Wohnort (Zeit Online)
Die Daten sind das zentrale Element der Geschichte. Sie stehen im Mittelpunkt und werden mittels Datenvisualisierungen und Multimedia-Elementen visuell stark aufbereitet. Dadurch wird Aufmerksamkeit auf die Daten gelenkt, weil sie besonders relevant oder interessant sind, oder Zusammenhänge detailliert erklärt.
Häufig werden Investigativgeschichten mit Visual Storytelling verbunden, um wichtige, aber thematisch trockene Geschichten wie die Panama Papers zu vermitteln. Leichtere Themen werden auch immer wieder über Visual Storytelling umgesetzt, um sich vom restlichen Content abzuheben und auf ein interessantes Thema auch visuell nochmal etwas draufzusetzen.
Ein Longread, Feature oder Explainer bietet sich als Umsetzungsform an.
Beispiel: Der Tatort und die Kriminalstatistik (Sueddeutsche.de)
Moritz Zajonz hat ein Datenjournalismus-Volontariat in der Entwicklungsredaktion der Süddeutschen Zeitung abgeschlossen. Neben längerfristigen Projekten hat er bei der SZ auch aktuelle Themen daten-getrieben umgesetzt. Als Mitglied von Journocode (https://journocode.com) versucht er seit 2015 zu erklären, was Datenjournalismus eigentlich ist.
Moritz Zajonz auf Twitter.