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Wenn Menschen auf die Straße gehen, die eine globale Pandemie leugnen, dann ist das gefährlich. Nicht nur, weil sie sich gegenseitig mit einem tödlichen Virus anstecken. Nein, es ist auch gefährlich, weil es Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft angreift und zum Wackeln bringt. So, wie die in Artikel 5 des Grundgesetzes festgehaltene Pressefreiheit.
Der 7. November 2020 war ein erschreckender Tag. Als 45.000 Menschen im Rahmen der “Querdenken”-Demonstration in Leipzig auf die Straße gingen, großteils ohne Maske und Abstand, konnten Journalist_innen nur fassungslos zusehen, wie ihnen gewährt wurde.
Eine heterogene Mischung an Menschen aus der gesamten Bundesrepublik_ Junge Menschen in Outdoor-Klamotten, Hippies in Pluderhosen und mit Trommeln, Esoteriker_innen, Reichsbürger_innen, Familien, Senior_innen und Rechtsextreme.
Viele der Demonstrant_innen sagen, es gehe ihnen um ihre Freiheitsrechte. Darum, dass Kinder unter der Maskenpflicht leiden würden. Die meisten sagen aber auch, dass Corona eine „Lüge” sei, nicht schlimmer als eine Grippe. Manche behaupten, die zahlreichen Toten wären durch Impfstoffe und 5G-Strahlung bedingt, andere sagen, die „Pandemie” sei nur erfunden worden von mächtigen Eliten, die uns kontrollieren wollen. All das entspricht nicht den Fakten. Es sind verschwörungsideologische Annahmen, die nicht verifizierbar sind, die medizinischen Erkenntnisse leugnen und nicht selten mit antisemitischen und rechtsextremen Ideologien verwoben sind.
An diesem Samstag in Leipzig sind auch viele, die die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik anzweifeln, die somit auch das Grundgesetz ablehnen. Und solche, denen demokratische Rechte schlichtweg egal sind. Einige von ihnen prügeln Journalist_innen zu Boden, schießen mit Leuchtgeschossen auf Polizei und Presse, werfen Flaschen.
Von mindestens 43 Übergriffen und Behinderungen journalistischer Arbeit sprach die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) der Gewerkschaft ver.di im Anschluss an das Versammlungsgeschehen. Die Dunkelziffer wird höher geschätzt. Einige der Betroffenen schildern der taz im Nachhinein von ihren Erfahrungen. Sie erzählen davon, von Querdenkern bedroht, bespuckt und angegriffen worden zu sein. Von Schlägen ins Gesicht ist die Rede, von Beschimpfungen, von Stören der Arbeit. Sie berichten ebenso, wie die Polizei sie bei ihrer Arbeit behinderte - und wie sie die Presse nicht ausreichend schützte.
Viele erfahrene Journalist_innen sagen, die Ereignisse seien ein Novum gewesen, eine neue Qualität der Gewalt gegen Pressevertreter_innen. Doch was heißt das für die kommende Berichterstattung über Querdenker? Für die Arbeit der Journalist_innen, die sich damit potentiell in Gefahr begeben? Und für einen Staat, in dem Pressefreiheit als hohes demokratisches Gut gilt? Im Folgenden werden vier Strategien aufgezeigt, wie Journalist_innen ihre Berichterstattung gestalten, sich schützen und Unterstützung durch andere bekommen können.
1. Sagen, was ist
Für Journalist_innen gilt in erster Linie, sich an die Fakten zu halten. Aufklärung und Wissenschaft sind Errungenschaften, die es in einer Gesellschaft, in der Fake News und Verschwörungsideologien zu weit verbreiteten Meinungen gehören, zu verteidigen gilt. Für jedes Argument gibt es ein gutes Gegenargument. Es ist die Aufgabe von Journalist_innen, diese Argumente zu finden, verständlich aufzubereiten und in ihrer Berichterstattung darüber zu informieren. In der Corona-Pandemie ist das eine besondere Herausforderung, weil vieles unklar ist und Wissen nach und nach generiert wird. Das schürt Unsicherheiten, bei allen von uns. Wichtig ist es, auf diese Unsicherheiten einzugehen, die Neuartigkeit der Situation immer wieder zu erklären, den gesamtgesellschaftlichen Lernprozess sichtbar zu machen. Es ist auch wichtig, Kritik an staatlichem Handeln zu formulieren, beispielsweise wenn es um die Frage nach Grundrechten geht. Die Presse wird nicht umsonst als die vierte Gewalt einer Demokratie betrachtet. Aber auch hier geht es darum, sich auf die Fakten zu berufen, die Kritik zu kontextualisieren und präzise zu berichten. Wenn ein_e hochrangige Politiker_in eine Aussage über die Pandemie trifft, die sich später als falsch herausstellt, dann gilt es, genau das zu berichten: Die Person hat EINE falsche Aussage getroffen, vermutlich, weil sie es nicht besser wusste. Das heißt aber noch lange nicht, dass das gesamte „Regime” uns „belügt”, wie es Querdenker_innen oft behaupten, sondern nur, dass Menschen nicht unfehlbar sind und alle mit der Pandemie neue Schritte gehen. Das Wissen über Corona wächst täglich. Ein Prozess, der immer wieder eine Neubewertung erfordert. Es gibt Dinge, über die sich nicht diskutieren lässt. Und dazu zählt ganz klar die Existenz des Virus, seine Gefährlichkeit für den menschlichen Organismus und die hohe Sterberate bei infizierten Personen. Und die Erkenntnis, dass Maske und Abstand halten ein wichtiges Instrument im Infektionsschutz sind. Auch für Journalist_innen gilt daher: Bei den Fakten bleiben, Lügen als solche entlarven. Und selbstbewusst sagen, was ist: Eine globale Pandemie, die bereits über eine Millionen Todesopfer weltweit gefordert hat.
2. Solidarität in den Fokus nehmen
Es ist gut und wichtig, auf Sorgen und Ängste der Menschen einzugehen und sie nicht vorschnell zu verurteilen. Es ist auch wichtig, diese Unsicherheiten als Journalist_innen aufzugreifen und zu erklären. In einer Zeit, in der vieles fragil erscheint, ist es nur logisch, dass die Ängste der Menschen steigen. Umso wichtiger ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Nur mit Solidarität und dem Blick hin zur gemeinschaftlichen Unterstützung können Herausforderungen wie eine globale Pandemie gemeistert werden. Auch für Journalist_innen gilt daher, die solidarischen Perspektiven auf Corona in den Fokus zu nehmen. Im Umgang mit Querdenker_innen und Corona-Skeptiker_innen heißt das: Diejenigen abholen, die vor allem verunsichert sind und diejenigen ignorieren, die ein gefestigtes verschwörungsideologisches, rechtsextremes Weltbild haben oder gar die Pandemie leugnen. Jene Menschen, bei denen Verunsicherung, Zukunftsängste und die Sorge um die individuelle Freiheit im Zentrum ihrer Motivation stehen, gilt es, mithilfe fundierter journalistischer Aufklärungsarbeit zu informieren und von einem solidarischen Umgang zu überzeugen. Auch Dialogformate können hier hilfreich sein, um Menschen zu zeigen, dass sie gehört werden und ihre Meinung zählt. Begegnungen auf Augenhöhe, bei denen verschwörungsideologischen und postfaktischen Aussagen faktenbasierte Argumente entgegengesetzt werden können. Ebenfalls wichtig sind Beiträge, die weit verbreitete Thesen und Annahmen aufgreifen und sie auf Richtigkeit und Quelle und überprüfen. Bei jenen, die die Errungenschaften der Demokratie angreifen oder rechtsextremistische Bestrebungen und Ideologien haben, gilt: Keine Bühne bieten, die Meinungen nicht weiterverbreiten, antisemitische oder faschistische Argumente als solche demaskieren - und entschieden ablehnen.
3. Sich schützen
Geht es um Berichterstattung von Demonstrationen, bei denen Pressevertreter_innen physisch und verbal angegriffen und einer massive Stresssituation ausgesetzt sind, wie zur Querdenken-Demo in Leipzig, aber auch bei Hass im Netz oder anderen Anfeindungen gilt für Journalist_innen als oberste Priorität, sich selbst zu schützen. Für eine Demonstration kann das beispielsweise ein Helm oder anderes Schutzequipment sein, das eine_n zumindest bei physischen Angriffen schützt. Aber auch die psychologische Ebene darf nicht unterschätzt werden. Solche Einsätze können traumatisierend sein, insbesondere wenn man unkontrollierbarer Gewalt ausgesetzt ist und es, wie in Leipzig geschehen, kein Entkommen gibt. Auch Hass-Mails und Bedrohungen im Internet können Auswirkungen auf die Psyche haben. Anfeindungen jeglicher Art sind daher unbedingt ernst zu nehmen. Ein erster Schritt kann sein, die Privatadresse im Melderegister sperren zu lassen. Dafür muss jedoch eine konkrete Bedrohungslage vorliegen, die Gesetze machen es Journalist_innen hier nicht gerade leicht, die Behörden sind oft unkooperativ. Anzeige zu erstatten ist ein wichtiges Mittel, sich gegen Menschen, die die Presse bedrohen oder anfeinden zu wehren. Unterstützend wirken können hier Verbände wie die dju in ver.di, der Deutsche Journalistenverband DJV oder die Freischreiber für Freie Journalist_innen. Auch Beratungsverbände für Opfer rechter Gewalt können helfen. Verantwortlich, ihre Reporter_innen zu schützen und sie zu unterstützen, sind aber vor allem auch Redaktionen. Psychologische Beratungsangebote, die sich auf Journalist_innen spezialisiert haben, sind eine wichtige Anlaufstelle, um den Umgang mit Bedrohungen im Beruf und Resilienz zu erlernen - Redaktionen sollten diese zur Verfügung stellen und finanzieren. Darüber zu sprechen, was belastet, ist eine unschlagbare Strategie. Daher kann es auch hilfreich sein, Bedrohungen öffentlich zu machen, darüber zu twittern oder sie gar als journalistische Arbeit aufzubereiten. Wichtig ist aber vor allem, sich abzugrenzen. Journalismus ist wichtig, die eigene Unversehrtheit aber auch.
4. Den Staat in die Verantwortung ziehen
Der Staat hat die Verantwortung, die Presse zu schützen. Am 7.11. ist das in Leipzig missglückt, als die Polizei eine aggressive Horde Corona-Leugner_innen auf Pressevertreter_innen hat zurennen lassen, ohne sie zurückhalten zu können. Aber auch an anderer Stelle wurde Pressearbeit von den Beamt_innen behindert, beispielsweise beim Nicht-Anerkennen von Presseausweisen oder der Behinderung der Arbeit von Fotograf_innen. Dieser Umgang darf nicht sein. Es ist daher wichtig, den Staat öffentlich in die Verantwortung zu ziehen, das Fehlverhalten der Exekutive aufzuarbeiten und darüber zu berichten, gegebenenfalls Anzeige gegen Beamt_innen zu erstatten. Lobbyverbände können auch hierbei helfen. Ebenso wichtig ist es, Politiker_innen in die Verantwortung zu nehmen. Das was in Leipzig passierte, war laut Soziologe David Begrich eine “Katastrophe mit Ansage” - politisch hätte sie verhindert werden können und müssen. Unsere Aufgabe als Journalist_innen, ist es eben diese Versagen der Verantwortlichen als solches zu benennen und Konsequenzen zu fordern. Es darf in einer demokratischen Gesellschaft nicht passieren, dass sogenannte Querdenker die Presse einschüchtern und bedrohen, während der Staat dabei zusieht. Wir müssen das benennen und die Politik in die Verantwortung ziehen. Mit unseren Mitteln: Recherchieren, Debattieren, Kritisieren.
Sarah Ulrich ist Journalistin, Moderatorin und Reporterin. Seit Oktober 2020 ist sie Landeskorrespondentin der Tageszeitung taz für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ihre Schwerpunkte sind soziale Bewegungen, Rassismus, rechte Gewalt, feministische Themen und modernen Formen der Kultur. Sie lebt und arbeitet in Leipzig.