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Tiergartenkonferenz: Herausforderungen für die kollektive Sicherheit in Afrika

Zwischen kollektiver oder kooperativer Sicherheit in Afrika? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Rückblick auf eine spannende Diskussion im Rahmen der Tiergartenkonferenz 2020.

Bild: FES TGK 2020 von FES

Unter dem Motto „Kooperative Sicherheit in konfrontativen Zeiten? Wunschdenken oder Unerlässlich?“ fand die diesjährige Tiergartenkonferenz zum ersten Mal weitgehend virtuell statt. Auch das Afrikareferat trug zu dieser internationalen außen- und sicherheitspolitischen Jahrestagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit 2012 im Rahmen von Fachgesprächen und öffentlichen Veranstaltungen jedes Jahr internationale Expert_innen und politische Entscheidungsträger_innen zusammenbringt, mit einer Podiumsdiskussionen zur kooperativen Sicherheit in Afrika bei. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von den FES-Mitarbeitern Ulrich Thum, Referent für Frieden und Sicherheit im Afrikareferat und Philipp M. Goldberg, Leiter des FES Peace and Security Competence Centre in Dakar, Senegal.

Im Zentrum der Diskussion standen die Herausforderungen für kollektive Sicherheit im Rahmen der African Peace and Security Architecture (APSA). Nachdem die AU im Jahre 2002 die Organisation of African Unity (OAU) ersetzte, kam es auch zu einem Paradigmenwechsel in der kontinentalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Die Erfahrungen mit dem Völkermord in Ruanda und dem Bürgerkrieg in Somalia und die Tatsache, dass in beiden Fällen, aufgrund des hochgehaltenen Gebotes der Nichteinmischung in nationale Angelegenheiten, keine Intervention stattfinden konnte, ergänzte die Afrikanische Union dieses Gebot mit dem Gebot der Nichtgleichgültigkeit. Erst dieser Wandel ermöglichte sogenannte humanitäre Interventionen.

Wie auch in anderen Regionen erlebte die auf Multilateralismus basierende Afrikanische Sicherheitsarchitektur Herausforderungen, vor allem durch ad-hoc-Zusammenschlüsse von Mitgliedstaaten. Dies war unter anderem im Kampf gegen Boko Haram im Tschadseebecken wie auch im Kampf der G5 Sahel Koalition gegen Islamistische Terrormilizen in Mali und im weiteren Sahel zu beobachten.

Schnelles Eingreifen im Widerspruch zu langfristigen Sicherheitsmechanismen

In diesen Reaktionen auf die neuen Sicherheitsbedrohungen, die sich inzwischen eher grenzübergreifend darstellen und folglich auch grenzübergreifende Lösungen fordern, durch Koalitionen der Willigen, erkennt Podiumsteilnehmer Christoph Matschie, MdB, durchaus einen Widerspruch. Einerseits sei schnelles Eingreifen wichtig, andererseits unterwandern diese Einsätze die langfristigen Bemühungen, in Afrika eine reaktive und verantwortlichen Sicherheitsarchitektur auf- und auszubauen. In seiner Eröffnungsrede betonte Matschie, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags und Leiter des Gesprächskreises Afrika der SPD-Bundestagsfraktion, wie wichtig eine solche sicherheitspolitische Debatte, vor allem in Anbetracht dieser widersprüchlichen Entwicklungen sei.

„Konflikte hätten an ihrer Wurzel gepackt werden müssen“

Auch Prof. Dr. Ulf Engel, Professor für „Politik in Afrika“ am Institut für Afrikastudien an der Universität Leipzig, führte die Herausforderung der APSA im Umgang mit den Bedrohungen nicht nur auf die Neuartigkeit der Konflikte zurück, sondern auch darauf, dass die Konflikte über die Jahre nicht in ihrer Wurzel angegangen wurden. Oft wurde die durch Regierungs- und Verwaltungsstrukturen verstärkt. Dennoch besteht Hoffnung, dass ausgehend von systematischen Auswertungen Reformprozessen angegangen werden. So soll die Zusammenarbeit zwischen der AU und den Regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (RECs) nächstes Jahr durch eine Überarbeitung des bestehenden Subsidiaritätsprinzips besser geregelt werden. Des Weiteren, betonte Prof. Engel, bedürfe es einer besseren Strukturierung und professionelleren Zuhilfenahme der bestehenden Mediationsmechanismen der APSA, zum Beispiel durch einen gezielten und besser ausgestatteten Einsatz von Sondergesandten in Krisenregionen.    

Spannungsfeld regionale vs. Internationale Interessen

Alle Beteiligten stimmten darüber ein, dass ad hoc-Koalitionen sowie deren internationale Unterstützung als Herausforderung für die kollektive Sicherheitsarchitektur auf dem afrikanischen Kontinent angesehen werden müssen. Die Sicherheitsarrangements und deren Handlungsfähigkeit innerhalb der bestehenden APSA hängen dabei immer von den politischen Interessen der betroffenen Staaten ab, aber auch von den geostrategischen Interessen der internationalen Großmächte. In diesem Spannungsfeld, so Dr. Katharina Döring, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Baltic and East European Studies (CBEES), Södertörn University Stockholm, müsse auch das Entstehen der ad hoc-Koalitionen verstanden werden. Die verschiedenen Interessen der Einzelstaaten und ein Mangel an Ressourcen machen das Eingreifen der bestehenden APSA-Mechanismen oft unmöglich und folglich entstehen solche ad-hoc-Zusammenschlüsse. Es gehe darum diese Militärkoalitionen nicht per se als Konkurrenz zur APSA oder den Regionalorganisationen zu sehen, sondern diese bestmöglich in die APSA einzubauen und zu integrieren. Dazu benötige es Kommunikation und vor allem Reformen der bestehenden Sicherheitsarchitektur. APSA muss sich weiterentwickeln und sich die so schnell wie möglich den neuen Gegebenheiten anpassen.

Fehlendes Wertesystem innerhalb der APSA

Auf die Frage, ob sich solche ad hoc-Koalitionen auch im Horn von Afrika etablieren könnten, um die bestehenden AU- Missionen in Somalia und im Sudan abzulösen, zeigte sich Abdi Aynte, der Geschäftsführer des „Heritage Institute for Policy Studies”, eher skeptisch. Dazu seien die Interessen der jeweiligen involvierten Nachbarstaaten zu divergierend. Derehemaliger Minister für Planung und internationale Zusammenarbeit von Somalia wies auf einen grundsätzlichen Widerspruch in der Funktionalität der APSA hin, welchen er auf ein fehlendes Wertesystem zurückführt. Während sich afrikanische Staaten zusammenschlossen, um in der APSA einen vollwertigen kollektiven Sicherheitsmechanismus zur Selbstregulation aufzubauen, wird sich im Falle des Greifens des Mechanismus und eines Zurechtweisens eines Mitgliedstaates meist das Recht auf nationale Souveränität und das Nichteinmischungsgebot berufen. Professor Engel bestätigte ähnliches auch im Bereich der Afrikanischen Governance Architecture (AGA), welche im kommenden Jahr unter den geplanten Reformen mit der APSA zusammengeführt werden soll, um der Verschränkung der Bereiche Sicherheit und Regierungsführung in Zukunft Rechnung zu tragen. Denn auch den gemeinsam beschlossenen Compliance- Berichterstattungspflichten im Governance-Bereich kommt kaum ein Mitgliedstaat nach. Es gibt bis jetzt nur wenige Staaten, die solchen Pflichten nachkommen und es benötige erst einer kritischen Masse von Staaten, die solche peer-review-Mechanismen ernst nehmen, um ein Umdenken herbeizuführen.

Reformen entscheidend für künftigen Umgang mit Bedrohungen

Abschließend kann sicher gesagt werden - und darin stimmten die Panelisten weitgehend überein - dass mit dem Aufbau von APSA eine Grundlage geschaffen wurde und der grundlegende Wille demonstriert wird, dass afrikanische Staaten Verantwortung für die Sicherheit auf dem Kontinent übernehmen wollen. Ob es ein wirklich lebendiges System der kollektiven Sicherheit geben wird oder lediglich Bündnisse von kooperativer Sicherheit, wird sich zeigen. Die in Aussicht gestellten Reformen werden sicherlich entscheiden, wie aktiv APSA in Zukunft sein kann im Umgang mit neuen Sicherheitsbedrohungen. Hierzu sind neben dem Aufbau von Strukturen vor allem zwei Entwicklungen wichtig: Der Anteil der Eigenfinanzierung muss entscheidend erhöht werden, denn momentan werden 95% der Kosten für Friedensmission von externen Partnern finanziert. Damit einhergehend, hängt der Erfolg der APSA als kollektives Sicherheitssystem vom Erwachsen eines gemeinsamen Wertesystems unter den Afrikanischen Staaten ab.

 


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