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Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft: ehrlicher Vermittler oder Führungsstärke?

Die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft waren bereits vor der Covid-19-Pandemie sehr hoch. Inzwischen sind sie weiter gestiegen. Als wirtschaftlich stärkstem und bevölkerungsreichstem Land der EU wird es besonders Deutschland zugetraut, die schwierigen Kompromisse zu erreichen, die für die Bewältigung der enormen Probleme notwendig sind.

Dabei steht Deutschland gleich zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft vor der Herausforderung, das von der EU-Kommission vorgeschlagene und am 17./18. Juli beim nächsten Europäischen Gipfel zur Diskussion stehende 750 Milliarden Euro Aufbauprogramm zu einem von allen 27 Mitgliedsländern mitgetragenen Beschluss zu bringen. Wenn es gelingt, in dieser Entscheidung einen tragfähigen Kompromiss zwischen den von Covid-19 besonders heimgesuchten südeuropäischen Ländern (v.a. Italien und Spanien) und den sogenannten „frugalen 4“ (Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden) zu erreichen, wird das der gesamten Ratspräsidentschaft und den weiteren zu lösenden Problemen einen starken positiven Impuls geben.

Um die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft und die vor der EU liegenden kurz- und langfristigen Herausforderungen zu analysieren, hat die Friedrich-Ebert-Stiftung am 14. Juli drei  ausgewiesene Europäer_innen zu einer Online Diskussion eingeladen: aus Deutschland Michael Roth, MdB und Staatsminister für Europa, aus Portugal Margarida Marques, MEP und frühere Europa-Staatssekretärin und aus Polen den Europaabgeordneten und ex-Ministerpräsidenten Prof. Marek Belka.

„Die deutsche Ratspräsidentschaft ist mehr als eine Corona-Präsidentschaft“

Michael Roth machte in seinem Eingangsstatement deutlich, dass die Bewältigung der Corona-Krise zweifellos eine zentrale Rolle auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft einnehmen werde, dass diese aber darüber hinausgehe. Um die EU für die Zukunft fit zu machen, seien neue Ansätze und Strategien in der Klimapolitik, im Bereich Migration, im sozialen Zusammenhalt, in der Digitalisierung und insgesamt in der europäischen Solidarität dringend nötig. Margarida Marques wies darauf hin, dass die geplanten Mittel des Wiederaufbau-Fonds eine sehr gute Basis seien, dass die derzeitige finanzielle Ausstattung des mehrjährigen EU-Budgets aber nicht ausreichen würden, um die von Michael Roth genannten langfristigen Aufgaben zu meistern. Hier seien mehr finanzielle Mittel erforderlich. Marek Belka ergänzte, dass die EU dafür über eigene finanzielle Ressourcen verfüge müsste. Solange sie finanziell von den Mitgliedsländern abhängig sei, wäre das schwierig.

Ehrlicher Vermittler oder Führungsstärke? Welche Rolle soll Deutschland spielen?

In dieser Frage gab es deutlich unterschiedliche Auffassungen zwischen den Panelisten. Während Margarida Marques zum Ausdruck brachte, dass sie Deutschland die Rolle des ehrlichen Vermittlers zutraue, machte Marek Belka gleich zu Beginn der Diskussion deutlich, dass er von Deutschland Leadership und Entscheidungskraft erwarte. Michael Roth erwiderte, dass er nichts gegen Leadership habe, dass Europa aber Teamwork sei und Deutschland sich zuallererst in der Rolle des ehrlichen Vermittlers sehe. Marek Belka erwiderte darauf, dass dies nicht ausreichen würde. Er sagte: „Honest broker is not enough, we want you to be a leader, a modest leader. Today, leaders are not like Donald Trump, they are like Angela Merkel. Stick to this.“

Werte oder Geld? Was hält die Union zusammen?

Gleich zu Beginn der Diskussion stellt Michael Roth klar, dass die EU in seinen Augen zuallererst eine Werteunion sei und dass deshalb für ihn das Thema Rechtsstaatlichkeit ganz oben auf der Agenda für die Ratspräsidentschaft stehen würde. In der weiteren Diskussion führte er aus, dass es sowohl im 750 Mrd. Aufbauprogramm als auch im mehrjährigen EU-Haushalt eine Verbindung zwischen der Mittelvergabe und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit geben müsse. Zwar würden Politiker wie Victor Orban das überhaupt nicht gerne sehen, aber auch das EU-Parlament fordere eine starke Verbindung zwischen dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip und dem EU-Haushalt. In dieser Frage erhielt Michael Roth volle Zustimmung von seinen Gesprächspartnern. Margarida Marques sagte, dass die Gelder der Bürger niemals gegen europäische Werte eingesetzt werden dürften. Dies sei eine Schlüsselfrage. Marek Belka stimmte ebenfalls zu und ergänzte, dass es aber klare und eindeutige Kriterien geben müsste für den Bruch dieses Prinzips. Die gäbe es aber noch nicht.

Soziales Europa – Die Menschen erwarten Antworten

Margarida Marques unterstrich, dass sie von Deutschland in den kommenden sechs Monaten vor allem einen spürbaren Beitrag zur Stärkung der sozialen Säule in der EU erwarte. Sie sagte, dass es im Gefolge von Covid-19 eine wirtschaftliche Rezession und damit mehr Armut geben werde. Dies sei eine gute Gelegenheit für Populisten, die Menschen mit Lügen und Fake News für ihre Politik zu gewinnen. Vor allem die progressiven politischen Kräfte seien deshalb in der Pflicht, in dieser Krise die richtigen Antworten zu finden. Marek Belka führte aus, dass in so einer Krise selbst liberale Politiker zu Sozialisten würden. Es komme aber jetzt darauf an, die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik so zu gestalten, dass sie im Interesse der Menschen seien. Auch die EU solle künftig ermächtigt werden, Arbeitsstandards zu formulieren und nicht nur die Mitgliedsländer. Michael Roth wies darauf hin, dass die Überwindung von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten die Voraussetzung für eine stabile Union sei. Er sprach sich, im Rahmen der bestehenden Verträge, dafür aus, neue Instrumente zur Bekämpfung von sozialer Ungleichheit zu schaffen.

Weitere Themen der Diskussion waren die Rolle Europas in der Welt, die Beziehungen zu China, Souveränität im Bereich der Digitalisierung, die Notwendigkeit von mehr politischem Zusammenhalt in der EU.

Wenn Sie sich die gesamte Diskussion anhören und ansehen wollen, dann können Sie das über diesen Link.

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