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Europäische Einheit bewahren und Wiederaufbaumittel für alle

Über die Erwartungen der östlichen EU-Mitglieder an die deutsche Ratspräsidentschaft.

Bild: Europäische Einheit bewahren und Wiederaufbaumittel für alle von dpa

Juliane Schulte, FES Rumänien

Brexit, die Verhandlungen über den EU-Haushalt für die kommenden Jahre, die Umsetzung des Green Deal, um nur ein paar der Herausforderungen zu nennen: Dass die am 1. Juli 2020 beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein anspruchsvolles Programm haben würde, war offensichtlich. Hinzu kommt nun noch die Corona-Pandemie, die noch lange nicht vorüber ist und deren Folgen schwerwiegender als die der Finanzkrise von 2011 sein werden.

Auch diesmal ging es schnell ums Geld. Aber anders als nach der Finanzkrise sandte Berlin durch den deutsch-französischen Vorschlag eines Wiederaufbaufonds schnell ein starkes Signal aus, dass es bereit sein wird, Verantwortung zu übernehmen, solidarisch zu sein und die Einheit der EU zu wahren.

„I fear German power less than German inaction”

Einheit – das ist auch für die mittelosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten ein wichtiges Prinzip und Deutschland wird dabei, so der ehemalige rumänische Außenminister Lazar Comanescu bei einer Veranstaltung der FES Bukarest, als wichtigster Verfechter dieses Prinzips in der EU gesehen. Deutschland traut man zu, die von der EU-Präsidentschaft erwartete Rolle des honest brokers zu erfüllen und die EU durch diese schwierige Zeit zu führen. “I fear German power less than German inaction.”, sagte der damalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in einer Rede 2011 in Berlin. Laut dem Analysten Radu Magdin würden diese Aussage wohl die meisten Mittelosteuropäer unterstützen. Gleichzeitig hatten diese Länder in der Vergangenheit jedoch – und das nicht immer zu Unrecht – häufig den Eindruck, in europäischen Debatten nicht angemessen gehört zu werden. Berlin sollte daher auf seine östlichen EU-Partner zugehen. Dann werden diese konstruktiver sein als gemeinhin erwartet und Deutschlands ambitionierte EU-Agenda unterstützen, so Magdin bei der FES-Veranstaltung.

Was die Bewältigung der Corona-Krise betrifft, herrschte in den mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU anfänglich die Sorge, dass der Wiederaufbaufonds zu einer Umverteilung vom ärmeren Osten in den im Vergleich reicheren Süden erfolgen könnte. Nach derzeitigem Stand – die Verhandlungen über die Details des Wiederaufbaufonds stehen noch aus – könnten einige osteuropäische Mitgliedstaaten jedoch stark profitieren. Dies ist angemessen: Denn auch wenn die östlichen EU-Länder durch frühe und strikte Lockdown-Maßnahmen hohe Zahlen von Todesopfern vermeiden konnten – eben durch diese Maßnahmen wurden ihre Wirtschaften mindestens genauso ausgebremst wie die der westlichen Nachbarn. Gleichzeitig haben sie weniger Mittel für Konjunkturprogramme und Arbeitsmarktmaßnahmen zur Verfügung.

Viele Länder in Mittel- und Osteuropa haben jetzt schon Schwierigkeiten EU-Mittel auszugeben

Nach dem Corona-Ausbruch wurde die Umsetzbarkeit des Green Deals zunächst infrage gestellt. Viele der östlichen Mitglieder waren diesem ohnehin mit Skepsis begegnet und erachteten ihn vor allem als Wettbewerbsnachteil. Dem war Brüssel mit dem Vorschlag eines Just Transition Fund begegnet, der die Mitgliedstaaten bei der sozialökologischen Transformation unterstützen sollte. Im Angesicht der jüngsten Krise betonte man jedoch vielerorts, nun sei nicht der richtige Zeitpunkt für derartige Ambitionen bzw. Auflagen für die Wirtschaft. Doch dann erfolgte ein Reframing, das Wiederaufbau und Green Deal miteinander verband – die Rede ist von der „Green Recovery“. Dieses Konzept lehnen die mittel- und osteuropäischen EU-Staaten nicht grundsätzlich ab und sehen teilweise sogar Chancen für die Modernisierung ihrer Wirtschaften. Allerdings ist zu beachten, dass viele Länder in Mittel- und Osteuropa schon jetzt Schwierigkeiten haben, EU-Mittel überhaupt auszugeben. Daher pochen sie auf Flexibilität bei der Verausgabung von EU-Fonds, und in der Tat könnte es helfen, wenn die EU bei der Definition „grüner“ Projekte pragmatisch vorgeht.

Einig sind sich die östlichen Mitglieder, dass bei allen (grünen) Wiederaufbaumaßnahmen die traditionellen Strukturmittel nicht reduziert werden. In vielen Bereichen, etwa der für den Gemeinsamen Binnenmarkt wichtigen Infrastruktur, besteht noch ein großes Ost-West-Gefälle. Und die Kohäsionsmittel sind genau dazu da, diese Unterschiede abzubauen. An diesem Punkt dürften die Gruppe der östlichen Mitglieder einheitlich auftreten und ein schwieriger Verhandlungspartner werden. Dennoch ist diese Ländergruppe kein monolithischer Block. Dies könnte sich bei den Diskussionen darüber zeigen, ob die Auszahlung von EU-Mitteln künftig - wie von der deutschen Regierung angestrebt - an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit gekoppelt wird. Während Polen und Ungarn sich einem solchen Nexus vermutlich widersetzen werden, könnten Rumänien und Bulgarien dem Vorschlag gegenüber aufgeschlossen sein. Vor allem, wenn man ihnen eine Aufhebung des Kooperations- und Verifikationsmechanismus sowie eine Aufnahme in den Schengen-Raum in Aussicht stellt.

Sicherheitspolitische Stärkung der EU durchaus im Interesse Mittel- und Osteuropas

Bei all diesen EU-internen Diskussionen ums Geld fragt man sich, wo die Außenpolitik bleibt, wird doch immer wieder mehr „Weltpolitikfähigkeit“ von der EU gefordert und bezeichnete Ursula von der Leyen ihre Kommission doch als „geopolitische Kommission“. Gemeinsam ist den mittelosteuropäischen Ländern, dass sie die USA als den zentralen Garanten ihrer Sicherheit sehen, vor allem wenn es darum geht, das russische Streben nach größerem Einfluss einzuhegen. Doch diese stark transatlantische Orientierung muss kein Widerspruch zu der von Berlin angestrebten strategischen Autonomie der EU sein: Eine sicherheitspolitische Stärkung der EU ist durchaus im Interesse Mittel- und Osteuropas, solange sie nicht zu Lasten der transatlantischen Zusammenarbeit geht.

Die im Rahmen seiner One Belt, One Road-Initiative von China ins Leben gerufene 17+1-Initiative, mit der die Volksrepublik ihre geschäftlichen Beziehengen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern ausbauen will, haben Beobachter zu der Einschätzung geführt, dass die östlichen Mitgliedstaaten mit ihren schwächeren Volkswirtschaften besonders anfällig für chinesischen Einfluss seien. Doch wenn man sich die puren Zahlen anschaut, sieht man, dass ein Großteil der chinesischen Investitionen nach Nord- und Westeuropa geht, und hinsichtlich der Nutzung chinesischer Technologien beim Ausbau des 5G-Netzes ist das Vorgehen auf dem gesamten europäischen Kontinent uneinheitlich, unabhängig von der Himmelsrichtung.

Bewusstseinswandel bei den mittelosteuropäischen EU-Staaten

Kai-Olaf Lang von der Stiftung und Wissenschaft und Politik merkte diesbezüglich bei der Veranstaltung der FES Bukarest an, dass sich bei den mittelosteuropäischen EU-Ländern ein Bewusstseinswandel vollziehe und man europäische Souveränität immer stärker zu schätzen lerne, auch im Bereich der Industriepolitik. In diesem Sinne könne man das Konzept der strategischen Autonomie Europas holistisch denken und die wirtschaftliche Dimension miteinbeziehen – ein angesichts der Corona-Krise und der in diesem Zusammenhang etwa im Bereich der medizinischen Güter offenbarten Abhängigkeiten naheliegender Gedanke.  

Die zitierte Veranstaltung der FES Bukarest fand am 30.06.2020 statt. Dort wurde die Analyse „Awaiting the German EU Presidency: Challenges and Options from an Eastern European Perspective” vorgestellt, abrufbar hier.

Magdin, Radu

Awaiting the German EU presidency

Challenges and options from an Eastern European perspective
Bukarest, 2020

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