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Auch mit einem Hardliner im Präsidentenamt in Teheran ist Katar entschlossen, seine Politik des pragmatischen Engagements fortzusetzen. Konstruktive Beziehungen zu Iran sind elementarer Bestandteil der außenpolitischen Strategie Dohas.
Bild: Bianco
Cinzia Bianco
Katar blickt pragmatisch auf die iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni. Denn seit Jahrzehnten prägt Pragmatismus die Beziehungen der beiden Staaten. Sowohl der katarische Emir Tamim bin Hamad al-Thani als auch Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani sind dem aktuellen iranischen Außenminister Javad Zarif persönlich verbunden. Mit einer – hypothetischen – Regierung Zarif hätten sie außerordentlich gut zusammenarbeiten können. Doch wie andere pragmatische Akteure in der Region kann Doha mit einer Reformregierung in Teheran ebenso gut leben, wie mit einer konservativen. Man weiß im Emirat sehr genau, welchen Einfluss und welche Macht die Institutionen des Deep State, das Amt des Revolutionsführers und die Revolutionsgarden, in Iran haben.
Mit besonderer Aufmerksamkeit blicken die Entscheidungsträger*innen in Katar auf den Obersten Führer der Islamischen Republik. Doha verfolgt mit Interesse, welche Kandidierenden Ali Chameneis Unterstützung genießen. Alles scheint auf Ebrahim Raissi zuzulaufen, einen konservativen Politiker, der im März 2019 von Chamenei selbst zum Chef der Justiz ernannt wurde. Bisher ergab sich noch keine Gelegenheit für eine direkte Kontaktaufnahme, doch das Emirat ist bereit und nutzt entsprechende institutionelle Bindungen und persönliche Beziehungen – auch angesichts der sich zunehmend verdichtenden Anzeichen, dass Raissi nach dem Tod Chameneis Nachfolger des 82-jährigen Revolutionsführers werden könnte. Bereits seit Monaten bereitet sich Katar, angesichts der zunehmend schwierigeren politischen Situation der Reformer*innen, auf eine Hardliner-Regierung in Teheran vor. Denn die Probleme der Reformer*innen begannen lange bevor der Wächterrat, das mächtige, über Kandidaturen entscheidende, iranische Wahlgremium, nur sieben konservative Kandidierende zur Wahl zuließ.
Gemeinsame Interessen, darunter insbesondere die geteilte Souveränität beim weltgrößten South Pars/North Dome Gasfeld, zwangen Iran und Katar schon in den 1990er Jahren zu Dialog und Zusammenarbeit. Die Nähe des großen Nachbarn mit seiner herben Wirtschaftskrise und disruptiven Außenpolitik erweist sich für Katar unweigerlich als Risiko. Gleichzeitig werden die iranisch-katarischen Beziehungen auch als Chance wahrgenommen.
Im Rahmen eines „Risikoausgleichs“ (hedging) können gute Beziehungen zu Teheran ein nützliches Gegengewicht angesichts der Risiken sein, die andere Akteur*innen – Golfmonarchien wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – darstellen. Aus diesem Grund lud Ex-Emir Hamad bin Khalifa al-Thani – sehr zum Verdruss anderer GCC-Mitglieder – den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zur Konferenz des Golfkooperationsrats im Dezember 2007 nach Doha ein, um Gespräche über Grenzsicherheit, kritische Infrastruktur und potenzielle gemeinsame Militärmanöver zu führen. Emir Hamad und sein mächtiger Premierminister Hamad bin Jassim al-Thani sind die beiden wichtigsten Architekten der katarischen Politik der vorsichtigen Annäherung an Iran. Ihr Vermächtnis gaben sie 2013 erfolgreich an Emir Tamim weiter. Hamad bin Jassims kluge Politik war ein meisterhafter und doch gewagter Versuch der Ausgewogenheit, der ihm seitens der Saudis und der VAE sogar den Vorwurf der Komplizenschaft mit dem iranischen Regime einbrachte.
Diese Absicherung erwies sich als effizient, als Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain im Juni 2017 sämtliche Grenzen – zu Land, Luft und Wasser – mit Katar schlossen. Der Transit durch den iranischen Luftraum und die territorialen Gewässer wurde in diesem Moment für Katar lebenswichtig. Anders hätte das Land sich nicht der vollständigen Isolation entziehen und die eigenen Energieressourcen exportieren können. Die wichtigste Einkommensquelle wäre damit versiegt, die zweifellos bedeutendste Rettungsleine in der Krise gerissen. Iran schickte zudem Hilfslieferungen, damit Doha die drohende Lebensmittelknappheit abwenden konnte.
Auch nach dem offiziellen Ende der Golfkrise als Ergebnis der im Januar 2021 verabschiedeten Al-Ula-Deklaration sieht Katar keine Veranlassung, das in den vergangenen Jahren aufgebaute geopolitische Netzwerk aufzulösen. Zahlreich sind die Gründe, die Politik des pragmatischen Engagements mit dem Nachbarn Iran aufrecht zu erhalten.
Die Schlüsselfrage für Doha bleibt, unabhängig von der jeweiligen iranischen Führung, die Kontinuität des diplomatischen Engagement Irans auf internationaler und regionaler Ebene. Während Katar davon ausgeht, dass gleichgültig wer das Land regiert, ein gewisses Maß an strategischer Kontinuität in Teheran besteht, steht die Frage im Raum, ob diese auch eine Bindung an den Westen impliziert. Andererseits ist es für Katar zwar wichtig, ein konstruktives, funktionierendes Verhältnis zu Iran aufrechtzuerhalten, doch die Kontakte zu den Rivalen Irans –Saudi-Arabien und USA – sind strategisch nicht weniger relevant. Als Gastgeber des regionalen Hauptquartiers des US Central Command am militärischen Stützpunkt Al-Udeid sieht Katar die USA seit Jahrzehnten bereits als geopolitischen Garanten seiner Sicherheit. Stellt die Katarpolitik Saudi-Arabiens und der Emirate aktuell auch die größte Bedrohung der katarischen Stabilität dar, dürfen die engen historischen, politischen, sozialen und kulturellen Bindungen auf der Arabischen Halbinsel dennoch nicht übersehen werden.
Insofern empfindet Katar eine Eskalation in der Region und auf internationaler Ebene als kontraproduktiv und gefährlich. Die zunehmenden Spannungen könnten schnell ihren Preis fordern. Um diese Risiken abzuwenden, bemüht sich Doha vorsichtig und diplomatisch um Teheran und setzt damit eine Politik fort, die bereits angesichts der Schwierigkeiten und Sensibilitäten im Zusammenhang mit der Agenda des „maximalen Drucks“ des früheren US-Präsidenten Donald Trump griff. So beeilte sich Katar, Emissäre nach Iran zu senden, als der General der Revolutionsgarden Qassem Suleimani im Januar 2020 durch einen amerikanischen Luftangriff ums Leben kam, um dort zu versichern, dass dieser Luftschlag nicht von Al-Udeid geführt worden war und es keine Vergeltung auf katarischem Boden geben würde. Dies erklärt, warum Katar seine guten Beziehungen zu Iran und den USA anbot, um eine Deeskalation zwischen beiden Staaten zu unterstützen.
Bereits seit den ersten Verhandlungen und der 2015 erfolgten Unterzeichnung des Wiener Atomabkommens unterstützt Katar das Atomabkommen, den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Jetzt, da die Regierung Joe Biden in den USA an einer Wiederaufnahme des Deals arbeitet, hat Katar mehrfach angeboten, den Dialog zwischen den Parteien zu fördern, nicht zuletzt um den eigenen politischen und diplomatischen Einfluss auszubauen. Bisher verhallte dieses Angebot ungehört, da es direkte Beziehungen zwischen den Regierungen in Washington DC und Teheran gibt und die Europäische Union wirksam vermittelt. Unter einer Regierung Raissi könnte dieses Angebot jedoch neu bewertet werden: Der Präsidentschaftskandidat neigt den Hardlinern zu, über den Westen äußerte er sich immer wieder skeptisch und wegen der Menschenrechtsverletzungen seit 2019 steht er in den USA auf der Sanktionsliste. Hier muss natürlich die iranische Seite erst das eigene Misstrauen angesichts der inhärenten Ambiguität der katarischen Position – Freundschaft mit allen – überwinden.
Ähnliches Misstrauen von mehr als einer Seite hinderte Katar bislang ebenfalls daran, zwischen Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln oder den regionalen Sicherheitsdialog zu fördern, den Doha befürwortet, um mehr Stabilität in der Region zu erreichen. Es gibt eine große Bandbreite von Wahrnehmungen und Positionen zwischen Doha einerseits und Riad und Abu Dhabi andererseits. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Fragen, bei denen Iran eine Rolle spielt. Es mangelt an Vertrauen, dass Doha die strategischen Interessen Riads bei Fragen wie den ballistischen Raketenkapazitäten Irans oder der Zukunft von Iran kontrollierte Gruppierungen adäquat vertritt. So lange das geopolitische Gleichgewicht in der Region volatil bleibt, kann Doha jedoch als relevanter Mittler für die Golfmonarchien und insbesondere für Iran agieren. Hier spielen auch die besonderen Beziehungen zur Türkei und die Intervention als relevanter Vermittler in afghanischen Konflikten und andernorts im Nahen Osten und Afrika eine Rolle.
Überdies wird nach einer Wiedereinsetzung des JCPOA jede neue Regierung in Iran am Erhalt und Ausbau der Beziehungen zu Katar in den Bereichen Energie, Handel und Investitionen interessiert sein. Die iranischen Exporte nach Katar stiegen von 60 Millionen US-Dollar im Jahr 2016 auf $250 Millionen zwischen 2017 und 2018. Das verweist auf ein signifikantes Potenzial. In jüngerer Zeit wurde auch die Gemeinsame Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder installiert, die sich um die Förderung des Handels kümmern soll. Katar half Iran auch in der Zeit der COVID-19-Pandemie und schickte Lieferungen mit Medikamenten und medizinischen Hilfsgütern.
Die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Iran könnten wichtige politische Entwicklungen im Land mit sich bringen. Für die Beziehungen der Islamischen Republik zu den Playern in der Region, die gelernt haben, mit dem iranischen System umzugehen, werden sie jedoch vergleichsweise wenig Veränderungen bringen. Dies betrifft auf jeden Fall auch Katar, ein Land, das seit langem an einer Politik des pragmatischen Umgangs mit Iran festhält und davon vermutlich auch in näherer Zukunft nicht abgehen wird.
Dr. Cinzia Bianco ist Visiting Fellow am European Council on Foreign Relation in Berlin und arbeitet zu den Themen Politik-, Sicherheits- und Wirtschaftsentwicklung auf der Arabischen Halbinsel und in der Golfregion sowie zu den Beziehungen der Golfstaaten mit Europa. Sie hat einen MA in Nahost- und Mittelmeerstudien des King’s College London und einen Doktor in Nahostpolitik der Universität Exeter in Großbritannien.
Auf Twitter: @Cinzia_Bianco
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