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Bild: children sitting on chairs von NeONBRAND
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund haben in unseren Schulen im Schnitt geringeren Erfolg als jene ohne Migrationshintergrund. Sie verlassen die Schule häufiger ohne Abschluss, bleiben häufiger sitzen, erzielen schlechtere Noten und schneiden in Tests weniger gut ab. Das alles ist keineswegs neu, das wissen wir längst, zahlreiche Studien haben dies belegt.
Nur: Was sagt uns das? Schulerfolg, so die weitverbreitete Schlussfolgerung, sei abhängig von der ethnischen Herkunft, Migrationshintergrund eine wesentliche Bildungsbenachteiligung. Und Erklärungen werden auch gleich mitgeliefert: Geringe Deutschkenntnisse, eine „falsche“ Einstellung zu Schule und Lernen, fehlende Unterstützung durch die Elternhäuser, in denen häufig alle möglichen Sprachen gesprochen würden, nur eben nicht Deutsch. Das müsse geradezu zwangsläufig zu schulischem Scheitern führen. Schulerfolg sei ohne gelingende Integration halt nicht zu haben.
Doch so einfach ist das nicht. Migrationshintergrund selbst, das lehrt uns der Blick in die aktuelle Forschung, muss nämlich gar kein Nachteil sein. Das mag manch einen überraschen, erscheint bei etwas längerem Nachdenken aber durchaus einleuchtend. Denn zum einen ist Migrationshintergrund nicht gleich Migrationshintergrund. Klar, Jungen aus der Großstadt mit türkischem Hintergrund sind - statistisch gesehen - die Bildungsverlierer, aber Schülerinnen und Schüler aus Asien oder Osteuropa sind ja bei uns schulisch sehr erfolgreich. Generalisierungen verbieten sich.
Vor allem aber - und da müssen wir nun doch das eine oder andere Vorurteil aufgeben - zeigen wissenschaftliche Analysen: Wenn die sozioökonomische Lage von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund der ihrer Klassenkamerad_innen entspricht und auch der Bildungshintergrund des Elternhauses vergleichbar ist, schneiden sie in der Schule keineswegs schlechter ab. Anders gesagt: Viele Kinder und Jugendliche haben Schulprobleme, ja, aber nicht, weil sie, ihre Eltern oder Großeltern in Berlin, Istanbul oder wo auch immer geboren sind, sondern weil sie in prekären Lagen aufwachsen und weil ihre Eltern weniger kulturelles Kapital aufweisen.
Dieser letzte Aspekt wird – zu Recht! – oft bemüht, denn es ist gerade dieses wenig greifbare, wenig „lernbare“, sondern eher habituelle Rüstzeug, das über Bildungs- und nachher Arbeitserfolg entscheidet. Nur: Dafür ist der ethnische oder sprachliche Hintergrund nicht entscheidend. In wessen Elternhäusern die Bücherschränke voll sind, hat einen Vorteil. Ganz gleich, ob die Titel auf den Buchrücken deutsch, persisch oder russisch sind. Anders herum: Wenn Lernen und die Welt der Bildung nicht wertgeschätzt werden oder überhaupt Gegenstand am familiären Küchentisch sind, ist es auch egal, in welcher Sprache nicht darüber gesprochen wird. Das Stumme klingt im Deutschen und Türkischen exakt gleich.
Hinzu kommt: Forscher_innen mutmaßen, dass Lehrkräfte von Schüler_innen aus „schwachen“ sozialen Lagen per se schlechtere Leistungen erwarten als von ihren Mitschüler_innen. Und das wiederum – auch das ist erforscht – beeinflusst die Lernentwicklung negativ.
Wenn es dann doch ganz anders kommt, wenn alle in der Schule gleichermaßen gut gefördert werden, erhalten Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien – ein weiterer Befund – bei gleicher Leistung häufiger schlechtere Noten und seltener eine Gymnasialempfehlung. Auch die aktuelle IGLU-Studie belegt, dass sich daran nichts geändert hat: Herkunft zensiert, „falsche“ soziale Herkunft führt zu schlechteren Noten und geringeren Bildungschancen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Gerechtigkeit sieht anders aus.
Wir lernen: Aufstieg durch Bildung führt durch schwer begehbares Gelände. Die Folge: Von hundert Akademikerkindern mit Hochschulberechtigung nehmen in Deutschland 74 ein Studium auf, während es bei Kindern aus Nichtakademikerfamilien gerade einmal 21 sind. Deutsche Universitäten sind geschlossene Gesellschaften. Nur liegt das nicht allein an institutionellen Diskriminierungen oder daran, dass in Arbeiterhaushalten nicht bekannt ist, welchen – auch finanziellen – Ertrag Bildung bereithält. Nein, da scheinen auch tieferliegende psychologische Ursachen eine Rolle zu spielen, etwa die Sorge von Eltern, ein höherer Bildungsabschluss des Kindes könne zu einer Entfremdung zwischen Eltern und Kind führen – oder auch schlicht die längere Zeit, die das Kind in Ausbildung und nicht in „Lohn und Brot“ ist. Und wenn der Aufstieg durch Bildung doch einmal gelingt, folgt bei manchen prompt die Ermahnung: „Bilde dir nicht ein, etwas Besseres zu sein!“.
Das zeigt wieder einmal: Nicht allein Begabung, nicht allein das intellektuelle oder das soziale Potenzial, nein, auch und gerade die soziale Herkunft bestimmt wesentlich über die spätere Laufbahn. Anders gesagt: Wesentliche Aufgabe der Politik und der Schule ist es, herkunftsbedingte soziale Nachteile wo immer möglich zu kompensieren, mindestens aber zu reduzieren. Dazu müssen beispielsweise – endlich! - jene Schulen in den sogenannten „sozialen Brennpunkten“ besser ausgestattet werden: mit mehr und gut qualifizierten Lehrkräften, mit einem höheren Budget, mit mehr Fortbildungsangeboten für die Kollegien, mit Ganztagsangeboten und zusätzlichen Förderangeboten für die Schüler_innen.
Wenn Ressourcen nach dem Prinzip „Ungleiches ungleiches behandeln“ verteilt werden, sollte das dann aber auch heißen: Nicht der Migrationshintergrund darf hier das entscheidende Kriterium sein. Manche Sozialindizes wie beispielsweise die ohnehin in ihrer Anwendung eher eingeschränkten hessischen und nordrhein-westfälischen beziehen den Anteil der Zuwander_innen in die Verteilung von zusätzlichen Ressourcen ein. Genau das bestätigt aber die falsche und zugleich stigmatisierende Gleichung: Migrationshintergrund = Bildungsnachteil. Die Forderung muss daher lauten: Die beste Ausstattung muss an die Schulen mit den Kindern, die die wenigsten Bildungsressourcen mitbringen; nicht an die mit den meisten Flaggen im Schulflur.
Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: Mag der Migrationshintergrund auch nicht das Hauptproblem sein, wer jedoch der deutschen Sprache nicht mächtig ist, hat bei uns deutlich geringere Chancen auf eine erfolgreiche Bildungskarriere. Das wiederum gilt für alle Kinder: noch ein Befund.
Burkhard Jungkamp ist Moderator des Netzwerks Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Von 2005 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Dr. Martin Pfafferott leitet den Bereich Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.
AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG: Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld 2016 BAUMERT, J.: Bildungsgerechtigkeit in Deutschland – ein Überblick. In: Königsteiner Forum (Hrsg.): Jahresband 2014 – „Die Suche nach der richtigen Ordnung“. Frankfurt/M. 2016. DUMONT, H. u.a.: Die Zusammensetzung der Schülerschaft als Einflussfaktor für Schulleistungen. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht, München Basel 2013. S.163-183. JUNGKAMP, Burkhard; JOHN-OHNESORG, Marei: Bildung und soziale Herkunft. Berlin 2016. KOCAJ, A; u.a.: Der Zusammenhang zwischen Beschulungsart, Klassenkomposition und schulischen Kompetenzen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In: Kuhl, P. u.a. (Hrsg.): Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulleistungserhebungen. Springer VS: Wiesbaden 2015. S. 335- 369. LINTORF, K.: Wie vorhersagbar sind Grundschulnoten? Prädiktionskraft individueller und kontextspezifischer Merkmale (1. Aufl.). Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. 2012. S. 37-51. MAAZ, K.: Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission (Blickwinkel) 2017. SCHARENBERG, K.: Heterogenität in der Schule. In: McElvany u.a. (Hrsg.), Jahrbuch der Schulentwicklung Band 17.Beltz Juventa 2013. S.10-15. STANAT, P. u.a.: IQB-Bildungstrend 2015. Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster (Waxmann) 2016.
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