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Raissis „Roadmap“ für die Wirtschaft: mehr als eine Fata Morgana?

Wie realistisch sind die großen Versprechungen des neuen Präsidenten für die iranische Wirtschaft?

Porträt von Amir Alizadeh. Er hat eine Glatze, trägt eine Brille, Bart und lächelt.

Bild: Alizadeh

Amir Alizadeh

 

 

Es werde das „Tor zum grünen Garten“ versprochen. So beschrieb das liberale WirtschaftsmagazinTejarat-e Farda auf seiner Titelseite den diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf in Iran. Die großen Ankündigungen der Kandidaten seien aus Sicht der Wochenzeitschrift nichts weiter als „leere Versprechungen“.

Man muss die persische Redewendung nicht kennen, um zu verstehen, worauf der Titel hinaus will. Ein Blick auf die düstere Illustration mit einer kleinen Tür, die halboffen inmitten einer trockenen Wüste den trügerischen Weg zu einer Oase öffnet, genügt um zu verstehen, was gemeint ist.

„Wie wurden Präsidentschaftswahlen zu einem Wettstreit mit trügerischen Versprechungen?“, fragt Tejarat-e Farda weiter und kritisiert, dass strukturelle Reformen in iranischen Wahlkämpfen keinen Platz hätten. Da es in Iran keine Parteien gibt und die Kandidierenden keine ausführlichen Wahlprogramme veröffentlichen, ist in der Tat unbekannt, welche wirtschaftlichen Ansichten sie haben und wofür genau sie antreten. Statt echter Programmatik standen in Wirtschaftsfragen (auch) bei diesen Wahlen Slogans und teils regelrecht populistische Versprechungen im Mittelpunkt.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, inwieweit Präsidenten überhaupt Wirtschaftsreformen auf den Weg bringen können, da die Ursachen der wirtschaftlichen Probleme Irans eher politischer als administrativer Natur sind. Mit ihrer beschränkten Macht und Autorität können Präsidenten hier ohnehin nur begrenzt Einfluss nehmen. Dies war auch einer der Hauptgründe für die historisch niedrige Wahlbeteiligung bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen.

Auch der Wahlsieger, Ebrahim Raissi, hat während seines Wahlkamps viele Versprechungen gemacht. Er legte dabei eine „Roadmap für die Wirtschaft“ vor, die sieben Bereiche umfasst: die „Steigerung von Produktion und Exporten“, die „Senkung der Kosten für Familien“, die „Reform der Haushaltsstruktur“, die „Erhöhung der Einkommen“, die „Reform der Finanzbranche“, die „Reform des Steuersystems“ und schließlich die „Erhöhung von Transparenz“.

Doch die Erläuterungen zu diesen Zielen und die Maßnahmen zu ihrer Erreichung sind sehr allgemein und vage gehalten. Nichtsdestotrotz muss sich der neue Präsident an diesen Zielen messen lassen.

 

Haushaltsdefizit

Der chronisch defizitäre Staatshaushalt ist die „Mutter aller Probleme“ der iranischen Wirtschaft. Gerade für dieses Problem sind die meisten Lösungen rein politischer Natur.

Raissi gibt an, die operative Budgetierung „genau umzusetzen“ – freilich ohne zu sagen, was genau er damit meint. Unabhängig davon bedarf es jedoch weitaus größerer Anstrengungen, um das strukturell bedingte Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen: Sanktionen müssen aufgehoben, außenpolitische Beziehungen normalisiert, die Ölexporte wiederhergestellt, Subventionen abgebaut, Steuerbefreiungen für halbstaatliche Stiftungen und Organisationen abgeschafft und Ausgaben gekürzt werden. Die Umsetzung all dieser Maßnahmen erfordert den vollen Rückhalt des gesamten politischen Establishments (den Raissi aktuell zu haben scheint – was jedoch nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten sollte, wie das Beispiel des in Ungnade gefallenen Ahmadinedschads zeigt).

Im laufenden persischen Jahr wird sich das Haushaltsdefizit laut offizieller Statistiken auf ca. 3.200 Billion IRR belaufen (rund 10,5 Milliarden EUR nach freiem Wechselkurs). Ungefähr 40 Prozent des gesamten Budgets. In den letzten zwanzig Jahren betrugen die Deviseneinnahmen der iranischen Zentralbank im Durchschnitt jährlich 45 Milliarden USD. Doch in den letzten zwei Jahren, nach dem Wiederinkrafttreten der US-Sanktionen, schrumpfte dieser Betrag auf lediglich neun Milliarden USD pro Jahr. Laut dem iranischen Ölminister sind die Öleinnahmen des Landes in den letzten drei Jahren um insgesamt mehr als 100 Milliarden USD gesunken.

Falls die Sanktionen in den nächsten Monaten aufgehoben werden, wird die Zuführung der Öleinnahmen in die iranische Wirtschaft, für die neue iranische Regierung eine weitere Herausforderung sein. Denn der plötzliche Anstieg der Ressourcen um voraussichtlich etwa 50 Milliarden USD pro Jahr könnte, wenn sie nicht richtig verwaltet werden, nach zwei Jahren ein Schock für die iranische Wirtschaft sein.

 

Die „Lenkung“ von Geldmengen

Das chronische Haushaltsdefizit bringt unmittelbar eine weitere Herausforderung von großer Tragweite mit sich: steigende Liquidität. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Geldmenge in Iran mehr als verzehnfacht.

Trotzdem sind viele iranische Unternehmen nicht ausreichend finanziert. Sowohl die hohe Inflation als auch der Verfall der Währung bedeuten, dass die Iraner*innen eher in Anlagen wie Immobilien, Gold oder Devisen investieren, die den Kaufkraftverlust absichern. Raissi betont daher, wie viele andere Politiker*innen auch, dass diese wachsende Geldmenge „in die Produktion gelenkt“ werden müsse.

Wenn allerdings mit der „Lenkung von Geldmengen“ schlicht Vergabe von Krediten an das produzierende Gewerbe gemeint ist, wäre dies der falsche Ansatz. Viele Politiker*innen in Iran sind überzeugt, in der Industrie bestehe großer Investitionsbedarf, da Unternehmen keinen Zugang zu Kapital hätten. Es gibt jedoch Anzeichen, die das Gegenteil vermuten lassen. Die mangelnde Nachfrage nach produktiven Investitionen, nicht nach Geldressourcen, ist das eigentliche Problem.

Dies führt direkt zu einem weiteren Problem der iranischen Wirtschaft. Ein wichtiges Zeichen für die sinkende Nachfrage nach Investitionen ist die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen (der Wert der Anlagen, die von inländischen Wirtschaftseinheiten erworben werden, um sie länger als ein Jahr im Produktionsprozess einzusetzen). Die Wachstumsrate der Anlageinvestitionen ist seit Mitte der 2000er Jahre deutlich rückläufig. Ab 2011 war das Wachstum der Anlageinvestitionen in den meisten Jahren negativ und die reale Investitionsrate sank von Jahr zu Jahr.

In der Tat konnte in den letzten zehn Jahren in der iranischen Wirtschaft ein sehr seltenes Phänomen beobachtet werden. Der Abwärtstrend bei den Neuinvestitionen erreichte einen Punkt, an dem die jährlichen Neuinvestitionen geringer waren als die Abschreibung der bestehenden Vermögenswerte. Anders ausgedrückt: Die Abschreibung von Maschinen und anderen Anlagegütern war größer als die Summe der Investitionen in der Wirtschaft. Somit ging das Nettokapitalvermögen des Landes in den letzten zwei Jahren zurück.

Bei seiner ersten Pressekonferenz sagte Raissi lediglich, dass Iran „einer der sichersten Orte“ sei und dass seine Regierung diese Sicherheit für alle Unternehmer*innen und Investor*innen garantieren werde. Die Steigerung der Investitionsnachfrage erfordert jedoch weitaus mehr. Die Lösung besteht nicht darin, die Geldmenge lediglich „in die Produktion zu steuern“. Vielmehr müssen weitere Schritte erfolgen, etwa die effektive Kontrolle von Inflation, die Beseitigung von Korruption, die Verbesserung des Geschäftsumfelds (des „Business Environments“), der Abbau der Bürokratie oder die Vereinheitlichung der Wechselkurse.

 

Inflation

Eine weitere chronische Krankheit der iranischen Wirtschaft und gleichzeitig Folge von Haushaltsdefiziten und Erhöhung der Geldmenge, ist die extrem hohe Inflation. Laut dem Statistischen Zentrum des Iran (SCI) lag die Inflationsrate im Zwölfmonatszeitraum, der am 20. Mai endete, bei 43 Prozent. So hoch wie in den letzten 26 Jahren nicht mehr. Raissis Roadmap verspricht, dass die Inflationsrate in zwei Jahren auf weniger als die Hälfte der Inflation im letzten persischen Jahr 1399 sinken wird. Mit anderen Worten hat der neue iranische Präsident das Inflationsziel für das Jahr 2023 auf 18 Prozent festgelegt. Darüber hinaus will Raissi die Inflation in den Folgejahren „in Richtung eines einstelligen Bereichs“ bringen.

Bereits das Inflationsziel von 18 Prozent ist ehrgeizig, da die Eindämmung der Inflation, zum Beispiel mit einer restriktiven Geldpolitik, mit dem Plan kollidiert, die stagnierende Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen.

 

Automobilbranche

Ein gutes Beispiel für die Diskrepanz zwischen den Versprechen der Kandidaten und der Wirklichkeit in der iranischen Wirtschaft, bietet die Automobilindustrie. Diese ist der zweitgrößte iranische Industriesektor und kommt für 13 Prozent aller Arbeitsplätze in der Industrie auf.

Raissi verspricht, das Monopol der drei großen iranischen Hersteller Iran Khodro, Saipa und Pars Khodro brechen zu wollen. Aber weder er noch die anderen Kandidaten haben während des Wahlkampfs zum dreieinhalb Jahre währenden Importverbot von PKWs eine klare Stellung bezogen. Importverbote wurden nach den Sanktionen verhängt, um die knappen Deviseneinnahmen gezielter verwenden zu können. Es ist fraglich, wie die Bekämpfung des Monopols möglich sein wird, ohne das Verbot aufzuheben.

Der zweite Punkt in den Plänen Raissis für die Automobilbranche ist die „faire Preisgestaltung“ – die eigentlich nicht zu den Aufgaben des Staats in einer Marktwirtschaft gehört. Ein Blick auf die Jahresabschlüsse der drei großen Autohersteller des Landes im vergangenen Jahr genügt, um zu zeigen, was die staatliche Preiskontrolle bisher erreicht oder vielmehr angerichtet hat. Demnach haben die drei Konzerne durchschnittlich 1.220 Millionen IRR für jedes produzierte Fahrzeug ausgegeben, für den Verkauf von jedem Auto aber im Durchschnitt nur 1.140 Millionen IRR erwirtschaftet (ca. 4.100 bzw. 3.800 EUR). Dieser erhebliche Verlust ist primär auf die Preispolitik der Regierung zurückzuführen. Eine Liberalisierung des Automobilmarkts und eine Öffnung der Industrie für ausländische Investments und Wissenstransfers hat der neue Präsident bislang noch nicht in Erwägung gezogen.

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Raissi seine Versprechen (auch nur ansatzweise) wird einlösen können. Aktuell spricht nicht viel dafür, dass er die hierfür notwendigen weitreichenden Schritte unternehmen wird. Vielmehr bleibt zu befürchten, dass die Versprechungen doch nur ein „Tor zum grünen Garten“ sind.

 

 

Amir Alizadeh ist Leiter International und Mitglied der Geschäftsleitung des Beratungsunternehmens Maleki Corporate Group in Frankfurt. Zuvor war er stellvertretender Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran sowie Chefredakteur des Außenwirtschaftsmagazins IranContact in Berlin.

Auf Twitter: @amalizadeh

 

 

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