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Die uruguayische Gewerkschaftsbewegung ist die wohl stärkste des Kontinents. Nun ist der Dachverband PIT-CNT endlich auch den Makel mangelnder Frauenrepräsentanz angegangen.
Bild: Abigail Puig, Dienstleistungsgewerkschaft FUECYS, begeisterte mit ihrer Rede beim zentralen Akt der uruguayischen Gewerkschaften am 1. Mai und gehört zu den starken Frauen im PIT-CNT, die nun endlich auch eine Stimme im Vorstand haben; von © Lois Artigas
Fragen an Sebastian Sperling, Leiter der FES in Uruguay
Der Kongress des uruguayischen Gewerkschaftsbunds PIT-CNT wird als Meilenstein für die dortige Frauenrechtsbewegung gefeiert - zu Recht?
In der Tat: So weiblich wie nach diesen Wahlen war die Führung des PIT-CNT (Plenario Intersindical de Trabajadores - Convención Nacional de Trabajadores) noch nie! Das ist die zentrale Botschaft des Kongresses. Erstmals in der Geschichte gibt es eine Vizepräsidentin. Fünf von 15 Mitgliedern des Vorstands sind weiblich, u. a. wird die mächtige Baugewerkschaft fortan von einer Frau vertreten. Bei der ILO-Konferenz Anfang Juni sprach erstmals überhaupt eine Frau für die uruguayische Delegation. Das alles ist historisch, aber auch mehr als überfällig und auch noch lange nicht genug. Im letzten Vorstand hatte es keine einzige Frau mit Stimmrecht gegeben. Das war mehr als peinlich. Eine Quote war zwar schon vor Jahren beschlossen worden, aber die Einzelgewerkschaften besetzten ihren jeweiligen Platz stets mit Männern. Dass sich nun etwas geändert hat, lag v. a. an der erstarkten feministischen Bewegung in Uruguay. Dieser hatte sich der PIT-CNT in den letzten Jahren geöffnet, hatte sich u. a. an der Mobilisierung zu den Demos am 8. März und an der Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen beteiligt. Es war diesmal klar: Jedes andere Ergebnis hätte diese neue Allianz und das öffentliche Ansehen des PIT-CNT massiv geschädigt. Auch deswegen hat der neue und alte PIT-CNT-Präsident Fernando Pereira sein persönliches Schicksal an diese Frage geknüpft. Er hatte öffentlich mit Rücktritt gedroht für den Fall, dass nicht ein Drittel der Plätze mit Frauen besetzt würden. Die jetzige Besetzung ist also das Ergebnis politischer Aushandlungen, nicht etwa veränderter Statuten oder Strukturen, insofern auch jederzeit rückgängig zu machen. Dass Forderungen wie beispielsweise Neuregelungen von Mutterschutz und Elternzeit oder Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vom Vorsitzenden zu Prioritäten erklärt werden, spricht für ihn. Vieles davon, insbesondere auch zur Pflegereform, steht nun im beschlossenen Positionspapier. Aber mehr Teilhabe von Frauen im Vorstand stärkt eben nicht automatisch feministische Perspektiven. Nach der Wahl wärmte eine der fünf Neuen z. B. in einem Interview die alte Mär auf, es ginge zuerst um den Klassen- und erst danach um den Geschlechterkonflikt. Es bleibt also viel zu tun. Und da liegt die Hoffnung auf der Gewerkschaftsjugend, denn die war in dieser Frage innerhalb des PIT-CNT mit Abstand am kämpferischsten und wird sicher auch weiter die feministische Agenda verfolgen.
Warum sollte uns der Kongress des PIT-CNT ansonsten interessieren?
Uruguay widersteht weiterhin dem aktuellen Trend in Lateinamerika. In den großen Nachbarländern Argentinien und Brasilien herrschen wirtschaftliche und politische Krisen, gleichzeitig werden dort Arbeitsstandards und Gewerkschaftsrechte massiv zurückgedreht. Uruguay steht für das Gegenmodell: anhaltender wirtschaftlicher Erfolg gerade auch durch aktive und progressive Lohnpolitik sowie starke Vertretung der Arbeitnehmer_innen-Interessen. Entscheidend für die Verteidigung dieses Modells ist die Stärke der Gewerkschaften. Und die beruht in Uruguay nicht nur auf dem hohen Organisationsgrad von über 40 Prozent, sondern erstens auf der Einheit der Gewerkschaftsbewegung - anders als in fast allen anderen Ländern des Kontinents gibt es nur einen Dachverband. Zweitens beruht sie auf ihrer kritischen und unabhängigen, aber konstruktiven Beziehung zur gewerkschaftsfreundlichen Regierung der Frente Amplio und drittens auf ihren Allianzen zu sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft. Alle drei Faktoren standen auf dem Kongress auf dem Spiel, da viele Gewerkschafter_innen frustriert sind über die derzeit wenig ambitionierte Regierungspolitik. Radikalere Stimmen gewannen an Einfluss. Trotz heftiger Debatten vorab konnten sich die Flügel jedoch auf gemeinsame Positionen und ein Führungsteam einigen. Das Bündnis aus Moderaten und Kommunist_innen besteht fort und behält die Mehrheit. Der PIT-CNT geht daher geeint und gestärkt aus dem Kongress hervor und in die laufende Debatte um den Regierungshaushalt. Gut ein Jahr vor den Wahlen ist das auch für die Frente Amplio ein wichtiges Signal.
Was bleibt offen, welche Zukunftsaufgaben liegen vor dem PIT-CNT?
Der Vorschlag des Mehrheitsbündnisses, die Gewerkschaften stärker nach Sektoren zu gruppieren und damit auch die Zahl der im erweiterten Vorstand vertretenen Einzelgewerkschaften zu reduzieren, scheiterte am Widerstand der kleinen Gewerkschaften. Dies wäre aber ein wichtiger Schritt, um die Verhandlungsmacht weiter zu erhöhen. Zudem blieb es in den Fragen der gewerkschaftlichen Organisation neuer Wirtschaftssektoren insbesondere im IT-Bereich sowie bei Hausangestellten bei Absichtserklärungen, konkrete Ansätze gibt es wenig. Das gilt insgesamt auch für die Debatte um die Gestaltung der Arbeit der Zukunft und des technologischen Wandels. Hier bleibt der PIT-CNT richtigerweise nicht dabei stehen, den Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung zu beklagen, sondern fordert u. a. mehr Investitionen in Forschung und Innovation sowie die Übersetzung von gestiegener Produktivität in reduzierte Arbeitszeit. Das ist aber allenfalls der Anfang der Debatte. Außerdem fehlt es leider weiter an einer strategischeren Einbindung und Mitgliedschaft in internationalen Gewerkschaftsstrukturen. Und das, obwohl internationale Themen wie Handelsabkommen und der Umgang mit transnationalen Unternehmen hoch auf der PIT-CNT-Agenda stehen, und die uruguayische Gewerkschaftsbewegung andersherum zu den stärksten des Kontinents gehört.