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Iran wird versuchen, den Außenhandel anzukurbeln, um ausländische Investitionen anzuziehen und das volle wirtschaftliche Potenzial des Landes auszuschöpfen – unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnt. Die Frage ist: Wird sich das Land global ausrichten oder sich auf den Osten konzentrieren?
Bild: Khajehpour
Bijan Khajehpour
Iran wählt einen neuen Präsidenten, und nach der Ablehnung vieler Kandidierender des Mainstreams und der Reformströmung durch den Wächterrat wird dieser mit großer Wahrscheinlichkeit eng mit der Fraktion der sogenannten Hardliner verbunden sein. Wird der sich abzeichnende Regierungswechsel die iranische Außenhandelsstrategie beeinflussen? Betrachten wir genauer, wie sich verschiedene Parameter auf Handelsbeziehungen und -politik auswirken und welche Konsequenzen die Wahl für die entsprechenden Prozesse und Dynamiken haben könnte.
Iran hat eine äußerst komplexe Machtstruktur, die von permanenten Aushandlungsprozessen und fließenden Machtverhältnissen geprägt ist. Veränderungen im Machtzentrum der Exekutive ergeben sich nicht nur in der Folge von Wahlen, sondern auch durch Privatisierung, Dezentralisierung und die sich wandelnde Rolle der Regierung. Nachdem diese in den 1980er und 1990er Jahren größter Wirtschaftsakteur des Landes war, ist sie mittlerweile hin- und hergerissen zwischen der Wahrnehmung regulatorischer Aufgaben und eigenem wirtschaftlichen Agieren. Hinzu kommt eine sich verbreitende Kultur der Korruption mit diversen, um wirtschaftliche Interessen konkurrierenden Netzwerken. Revolutionsführer Ayatollah Chamenei selbst bestätigte zuletzt die Existenz korrupter Elemente im Machtgefüge, als er in einer Rede am 26. Mai von einer „Import-Mafia“ sprach.
Als Konsequenz der beschriebenen Phänomene sehen wir heute eine Politisierung von Wirtschafts- und Handelsentscheidungen. Neben den komplexen Machtstrukturen wirken drei weitere Faktoren auf die Handelsstrategien Irans: revolutionäre Ideale (und damit das Interesse, die Abhängigkeit von westlichen Technologiequellen zu verringern sowie den Handel zwischen islamischen Nationen zu fördern), technokratische Prioritäten (einschließlich der Notwendigkeit, moderne Technologien und Investitionen für Schlüsselindustrien wie Erdöl, Telekommunikation, Automobilbau usw. zu sichern) und der Wunsch, das Land weniger anfällig für externe Sanktionen zu machen. Letzteres mündete in der Strategie der „Widerstandswirtschaft“, die anders als allgemein angenommen nicht die Abkopplung Irans von der Weltwirtschaft fordert, sondern den Aufbau heimischer Kapazität und entsprechend die Erweiterung des Exportpotenzials vorantreiben will.
Iranische Politiker*innen legen Wert auf ein gutes Verhältnis zur Wirtschaft. So ist es kein Zufall, dass die erste Wahlkampfveranstaltung des Spitzenkandidaten im Präsidentschaftsrennen, Ebrahim Raissi, ein Treffen mit den Vorständen der Handelskammer war.
2019 formulierte die Regierung eine Handelsstrategie, die sich aus einer Kombination verschiedener Elemente ergab. Ihr Plan umfasste eine gezielte Importsubstitution sowie die Förderung des Handels mit den unmittelbaren Nachbarn, darunter Russland und die Eurasische Wirtschaftsunion (EEU). Das erklärte Ziel war die Verdopplung der Exporte in 15 unmittelbare Nachbarländer bis März 2022. Darüber hinaus sollte die Abhängigkeit von westlichen Technologiequellen durch eine Diversifizierung der Importquellen verringert werden. Als weitere Komponente ist der angestrebte spätere Abschluss langfristiger strategischer Partnerschaftsabkommen mit China und Russland zu sehen, durch die die benötigten ausländischen Direktinvestitionen generiert werden können.
Wichtige Eckpfeiler des 2019 verabschiedeten Programms sind mittlerweile umgesetzt:
Im letzten iranischen Jahr, das am 20. März 2021 endete, belief sich der gesamte Außenhandel ohne Rohölexporte auf 73 Mrd. $. Das entspricht einem Rückgang von 14% im Vergleich zum Vorjahr. In den genannten zwölf Monaten betrugen die iranischen Exporte ohne Rohöl 34,5 Mrd. $, die Importe bezifferten sich auf 38,5 Mrd. $. Im Vergleich zum vorherigen Zyklus sanken Exporte und Importe um 17% bzw. 12%. Die Gründe dafür sind in zwei Phänomenen zu sehen, die Iran zeitgleich trafen: die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-Pandemie sowie die Engpässe, die durch die externen Sanktionen für Handel und Finanztransaktionen entstanden. Obwohl die Zahlen für den Nicht-Rohstoffhandel auf ein Handelsdefizit von 4 Mrd. $ verweisen, ergibt sich für den Handel insgesamt ein positiver Wert, wenn die Rohöl- und Kondensatexporte einberechnet werden.
Die fünf wichtigsten Exportmärkte für iranische Produkte in den genannten zwölf Monaten waren China, Türkei, Irak, Afghanistan und die VAE. Die fünf wichtigsten Importquellen für Iran waren China, die VAE, die Türkei, Indien und Deutschland. Während vor zehn Jahren noch die EU der größte Handelspartner war, konnte Iran mittlerweile den intensiven Handel mit China sowie den wachsenden Handel mit den unmittelbaren Nachbarn konsolidieren.
Für das laufende iranische Jahr prognostizieren iranische Expert*innen weiterhin steigende Handelszahlen. Man rechnet mit einer allmählichen Normalisierung der regionalen und globalen Handelsprozesse nach Corona und mit der Aufhebung der Sanktionen in Folge der Rückkehr zum Atomabkommens, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Ein dritter Faktor, der sich positiv auf die Handelsmöglichkeiten Irans auswirken wird, ist die erwartete Freigabe iranischer Auslandsvermögen, die aufgrund der Bankensanktionen international eingefroren sind. Um von diesen Geldern zu profitieren, muss das Land jedoch auch die Bankbeziehungen mit der Welt normalisieren – ein Prozess, der über die Aufhebung der Sanktionen hinausgeht.
Zu den wichtigsten Handelspartnern Irans gehört heute China, gefolgt von den unmittelbaren Nachbarn: VAE, Irak, Türkei und Afghanistan. Russland, als weiterer Anrainerstaat, ist der am schnellsten wachsende Handelspartner. Dass die EU auf der Liste der wichtigsten Handelspartner Irans fehlt ist eine Folge der externen Sanktionen und keine bewusste Strategie auf iranischer Seite.
Unabhängig davon, wer das Land regiert, erfordert die ambitionierte Wirtschafts- und Handelspolitik Irans erhebliche Investitionen. Ein Land mit isolierter und schwacher Ökonomie passt in keines der Weltbilder des politischen Establishments. Gleichwohl beeinflussen, wie vorstehend beschrieben, interne und externe Faktoren die generelle Ausrichtung. Beide könnten sich 2021 ändern.
Innenpolitisch könnte der sich abzeichnende Regierungswechsel das Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen Fraktionen und Netzwerken verschieben. Ein Sieg der Hardliner würde ihre bevorzugte Strategie der Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China und Russland bei gleichzeitiger Wahrung der strategischen Distanz zu den Westmächten stärken. Bei einem Überraschungssieger Abdolnaser Hemmati wäre eher die Fortführung der bisherigen Politik zu erwarten.
Extern würden eine potenzielle Wiederbelebung des JCPOA und die Aufhebung der Sanktionen neue Chancen für den Ausbau des Handels zwischen Iran und der EU bieten. Zu überwinden wären jedoch drei Hindernisse:
Folglich ist es wahrscheinlich, dass selbst bei einer Wiederherstellung des JCPOA die derzeitige Strategie beibehalten wird: China bleibt der wichtigste Handelspartner Irans, gefolgt von den unmittelbaren Nachbarn.
Eine entscheidende Nuance bei der Wahl eines Hardliner-Präsidenten wäre, dass dieser Russland als strategischem Partner eine höhere Bedeutung beimessen könnte. Die iranischen Hardliner haben wenig Zweifel daran gelassen, dass sie Russland als natürlichen „strategischen Partner“ Irans betrachten. Zwar sieht auch ihre Analyse China als starken Handelspartner und Technologielieferanten, doch Russland ist die Macht, die Teheran mit kritischen Technologien in den Bereichen Waffen, Nuklear und Sicherheit versorgt und auch in regionalen Sicherheitsfragen wie in Syrien mit Iran kooperiert. Die erste Auslandsreise führte den Parlamentspräsidenten und Hardliner Mohammad Baquer Qalibaf nach Moskau, wo er eine Botschaft von Ayatollah Chamenei an die russische Seite überbrachte. Chamenei betonte in seiner Mitteilung die „strategischen Beziehungen“ zu Russland. Das Vertrauen in den Nachbarn ließ auch ein anderer Kandidat der Hardliner durchblicken: Mohsen Rezaei deutete während der ersten Präsidentschaftsdebatte an, er würde dem russischen Ansatz folgen und die iranische Wirtschaft privatisieren. Im Gegensatz dazu würde ein gemäßigter Präsident es vorziehen, ausgewogene Beziehungen zu allen globalen Mächten zu entwickeln und die Handelsinteraktion des Irans nicht auf östliche und regionale Akteure zu beschränken.
Dr. Bijan Khajehpour ist geschäftsführender Partner bei Eurasian Nexus Partners – einer internationalen Beratungsfirma mit Sitz in Wien. Er ist weiterhin Mitglied des Beirats der Europe Middle East Research Group (EMERG). Er ist Experte für Geopolitik der Energie und die iranische Wirtschaft.
Auf Twitter: @BijanKK
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