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Das Ausstellungsprojekt von Arbeit und Leben Thüringen, das 2021 erarbeitet wurde, versteht sich als ein Baustein des Gedenkens an 900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen. Sein Anliegen ist es, die Erinnerung an die jüdische Vielfalt um eine wichtige, vielfach verdrängte oder vergessene Tradition zu ergänzen. Nicht nur das religiöse Leben bestimmte die Existenz deutscher Jüdinnen und Juden, sondern auch vor allem ab dem 19. Jahrhundert eine universalistische und säkulare Lebensweise. Besonders sichtbar wurde dies in der aufkommenden Arbeiter_innenbewegung, in deren Rahmen sich auch jüdische Menschen in vielfältiger Weise engagierten.
Es ist schon einiges über Jüdinnen und Juden in der deutschen Arbeiter_innenbewegung bekannt. Das gilt aber nicht unbedingt für Thüringen. Zwar ist hier auch ein profundes Wissen über die prominentesten jüdischen Aktivist_innen vorhanden, weil Thüringen aber nicht im Zentrum der Geschichte der Arbeiter_innenbewegung steht, gehören die in Thüringen handelnden Persönlichkeiten eher nicht zu den bekanntesten. Dieser Beitrag soll seinen Anteil zur jüdischen Erinnerungskultur beitragen, indem wenigstens einige jener Thüringer Personen benannt werden, deren Erinnerung zunehmend verblasst ist.
Frida Winckelmanns Mutter Cäcilie (geb. Salomon) stammte aus einer jüdischen Familie, die eng mit der jüdischen Gemeinde verbunden war. Ob Frida Winckelmann selbst religiöse Bezüge hatte, ist nicht überliefert. Ihre Ausbildung erfolgte am Lehrerinnen- und Oberlehrerinnenseminar und am Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus. Von 1892 bis 1906 unterrichtete sie an höheren Mädchenschulen in Berlin. Anschließend leitete sie das Landerziehungsheim in Drebkau bei Cottbus. 1911 gründete sie in ihrem Haus in Birkenwerder eine reformpädagogische Erziehungsanstalt. Karl Liebknecht ließ dort drei seiner Kinder unterrichten. Frida Winckelmann war zunächst Sozialdemokratin, später Mitglied des Spartakusbundes, trat 1917 der USPD und 1920 der KPD bei. Sie war einige Zeit die Sekretärin Rosa Luxemburgs. Im Fachbeirat am Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung arbeitete sie insbesondere bei der Entwicklung von Konzepten für die Volkshochschule und Einheitsschule mit. 1919 war sie an der Freigewerkschaftlichen Betriebsräteschule in Berlin tätig. 1922 wurde ihr die Konzession für die Einrichtung in Birkenwerder entzogen. Ab 1923 war sie an der Fortbildungsschule in Gotha tätig. Frida Winckelmann wurde hier 1925 aufgrund ihrer politischen Tätigkeit entlassen, woraufhin sie in wirtschaftliche Not geriet. Sie arbeitete als Redakteurin des Thüringer Volksblattes und war für das Frauenreferat der KPD Großthüringen zuständig. Von 1927 bis 1929 war sie Abgeordnete des Thüringer Landtages. Im 1929 gewählten Landtag war sie Mitglied der KPD-Opposition. 1930 zog Frida Winckelmann zurück nach Birkenwerder. Zwei Jahre später trat sie der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) bei. 1933 lebte sie im Untergrund bei ihrer Schwester in Breslau und in Berlin und engagierte sich im Widerstand. Noch im selben Jahr wurde sie verhaftet und im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin und anschließend im KZ Moringen inhaftiert. Ihr Besitz in Birkenwerder wurde enteignet. Nach ihrer Entlassung lebte sie bei Freunden in Berlin, wo sie 1943 starb.
Alfred Braunthal wuchs in einer jüdischen proletarischen Familie im Wien des frühen 20. Jahrhunderts auf. Nach dem Studium 1920 erhielt er als 23-Jähriger die Doktorwürde von der Universität Wien für die Arbeit „Karl Marx als Geschichtsphilosoph“. Parallel zur Redakteurstätigkeit bei der sozialdemokratischen Leipziger Volkszeitung wurde er 1921 erst Dozent, dann Leiter der Heimvolkshochschule Tinz in Gera (1925–1928). Noch vor der finanziellen Austrocknung von Tinz durch die bürgerlich-reaktionäre Landesregierung wurde er 1929 Mitarbeiter der Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik des ADGB in Berlin.
Als Sozialdemokrat und Jude verfolgt, floh er nach 1933 nach Belgien, wo er Mitarbeiter von Henrik de Man wurde. 1936 ging er ins Exil – zunächst nach Großbritannien und dann in die USA. Dort wurde er Forschungsdirektor der Hutmachergewerkschaft und engagiert sich politisch in der German Labour Delegation und im American Council for the Liberation of Germany from Nazism, beides sozialdemokratische Exil- und Widerstandsorganisationen.
1949 kehrte er nach Europa zurück und wurde beim Internationalen Bund Freier Gewerkschaften in Brüssel Leiter der Wirtschafts- und Sozialpolitikabteilung, später Assistent des Generalsekretärs Harm Buiter. Im Ruhestand zog er wieder in die USA, wo er bis 1979 an seinem letzten Buch „Salvation and the Perfect Society: The Eternal Quest“ arbeitete. Alfred Braunthal starb 1980 in Boston.
Familie Greidinger kam im Zuge der Zuwanderung sogenannter „Ostjuden“ nach Gera. Jakob (später Jack) wurde 1906 in Busk bei Lemberg geboren. In Gera besuchte er das Realgymnasium, war als Arbeitersportler und in der jüdischen Jugendbewegung aktiv. Ab 1923 gehörte er der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und ab 1925 der SPD an. Er war bei der Schulung von Arbeitslosen tätig, organisierte Kurse der SAJ und war Lehrkraft für Wirtschaftsfragen an der Volkshochschule Reuß. Ab Mitte der 1920er-Jahre folgte ein Studium der Volkswirtschaftslehre. Nach 1933 ging er in den Widerstand, gehörte der illegalen Leitung der SPD in Ostthüringen an. Er leitete die Gruppe Junge Marxisten und redigierte die Zeitung der Gruppe. Außerdem hielt er Verbindungen zur Widerstandsgruppe Neu Beginnen in Berlin. 1934 wurde er verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung floh er nach England. 1952, nach Ende des Krieges, kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Leiter der Gewerkschaftsschule Elisenhöhe der Gewerkschaft Textil-Bekleidung in Beverungen. 1956 wanderte er schließlich nach Australien aus, wo er sich in der Labour Party und in der Gewerkschaftsbewegung engagierte.
Ab etwa 1920 lebte der Bankier Alfred Maerker in Eisenach. Sein unverkennbar großbürgerlicher Lebensstil und seine durch den Parteieintritt in die SPD dokumentierte politische Positionierung mochten kaum zusammenpassen. Ungewöhnlich waren sie nicht: Karl Höchberg, der „Goldonkel“ der Partei, und Paul Singer, zweiter Vorsitzender neben August Bebel, standen für wohlhabende Juden und Parteifinanziers in den Reihen der Arbeiter_innenbewegung. Alfred Maerker war seit 1925 Stadtrat in Eisenach. Als 1924 der Präsident der Thüringischen Staatsbank Walter Loeb unter dubiosen Umständen zum Rücktritt gezwungen wurde, geriet auch Maerker in den Strudel antisemitischer Anfeindungen. Er hatte, berufen vom sozialdemokratischen Finanzminister Emil Hartmann, eine wichtige Rolle beim Aufbau der Thüringischen Staatsbank gespielt. Als Staatskommissar wurde ihm darüber hinaus die ministerielle Aufsicht über diese neue Bank aufgetragen. Mit dem Rechtsruck der Thüringer Landesregierung nach der Wahl 1924 begann sogleich ein Kesseltreiben gegen Walter Loeb und Alfred Maerker, dem die Presse im Zusammenhang mit seinen Berliner Bankgeschäften zwanzig Jahre zuvor Betrügereien unterstellte. In der NS-Zeit war Alfred Maerker als Jude und Sozialdemokrat besonders gefährdet. 1942 wurden er und seine Schwester Martha nach Theresienstadt deportiert. Beide wurden ermordet.
Ludwig Pappenheim wurde am 17. März 1887 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Mit 18 Jahren trat er aus dem Judentum aus. Nach der Novemberrevolution wurde er Abgeordneter der USPD in der Stadtverordnetenversammlung in Eschwege. Im April 1919 verzichtete er jedoch auf sein Mandat. In Schmalkalden hatte eine Verlagsgenossenschaft das Schmalkalder Tageblatt übernommen, das fortan als Arbeiterzeitung Volksstimme mit Pappenheim als leitendem Redakteur fortgeführt wurde. Das Vorhaben war durch Spenden aus der Arbeiterschaft und mit dem elterlichen Erbe Pappenheims ermöglicht worden. Pappenheim führte in Schmalkalden die Jugendweihe ein und trat dabei in den folgenden Jahren wiederholt als Festredner auf. Neben der Bildungsarbeit war ihm der Kampf um die Rechte der Frauen wichtig. Er organisierte den Neubau von Arbeitersiedlungen und eines Schwimmbades und gründete die erste Konsumgenossenschaft von Schmalkalden-Wasungen. Als Abgeordneter der SPD hatte er ab 1920 ein Mandat im Provinziallandtag der Provinz Hessen-Nassau inne, da er in den Kommunallandtag des Regierungsbezirks Kassel gewählt worden war. 1922 wurde er Kreisvorsitzender seiner Partei und gehörte dem Kreisausschuss sowie dem Schmalkalder Magistrat als unbesoldeter Beigeordneter an. Von 1925 bis 1933 war er Mitglied im Anstaltsbeirat des Arbeitshauses Breitenau bei Kassel, wo er sich für Reformen einsetzte, die insbesondere auf eine Verbesserung der schlechten Lebensbedingungen vor Ort abzielten. Die Nationalsozialisten verhafteten ihn im März 1933. Es folgten Gefängnis und Schikanen, bis er 1934 im KZ Neusustrum ermordet wurde.
Parallel zu den Biografien beinhaltet die Ausstellung ein inhaltlich vielfältiges Informationsangebot zum sozialhistorischen Kontext der betrachteten Personen. Breiten Raum nimmt dabei die Geschichte des Antisemitismus und seiner Akteure von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Slansky-Prozess zu Beginn der 1950er-Jahre ein. Die Zuwanderung osteuropäischer Jüdinnen und Juden wird ebenso thematisiert wie Perspektiven auf den sozialistischen Zionismus. In diesem Zusammenhang sind auch die Thüringer Palästinafreunde von besonderem Interesse, die als „Verband der Freunde des arbeitenden Palästina“ Mai 1927 auf Initiative der jüdischen Arbeiterpartei Poale Zion gegründet wurden. Unterstützer fand der Verband in der Arbeiter_innenbewegung Thüringens, u.a. beim Landtagspräsidenten und Vorsitzenden der SPD Thüringen Hermann Leber, beim Redakteur des SPD-Parteiorgans Das Volk Albert Kranold sowie den sozialistischen Professoren Paul Linke, Wilhelm Peters und Karl-Ludwig Schmidt.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg früh in Thüringen aufgeworfene Frage der Entschädigung jüdischer Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, die prominent von Hermann Brill auf die Tagesordnung gesetzt und von der sowjetischen Besatzungsmacht und ihren einheimischen Helfern verhindert wurde, ist ebenfalls ausführlicher Bestandteil der Ausstellung.
Das Feedback der Besucher_innen signalisiert, dass neben den Biografien der vorgestellten Personen vor allem die historischen Kontexte häufig wenig bekannt sind. Dies betrifft nicht nur die moderne Ideengeschichte (Stichwort Zionismus), sondern generell auch den sozialgeschichtlichen und politischen Kontext. In der jüngeren Generation ist dieses vornehmlich schulisch erworbene Wissen allenfalls rudimentär ausgeprägt, worauf auch der 16. Jugendbericht der Bundesregierung von 2020 hingewiesen hat. Dies ist umso mehr zu bedauern, da die antidemokratisch orientierte Publizistik, die die Nähe zu antisemitischen Verschwörungsideologien kaum scheut, immer mehr Raum gewinnt. Auch geschichtsrevisionistische Positionen finden heute bei einem historisch interessierten Publikum vielfach Resonanz, u.a. weil sie häufig im Stil populärwissenschaftlicher, professionell erzeugter Medienprodukte die Neugier vieler unbedarfter Interessent_innen wecken. Die demokratische Öffentlichkeit, vor allem aber die politisch Verantwortlichen sind aufgefordert, dies als ernsthafte Herausforderung anzunehmen und eine historische Gedenk- und Erinnerungskultur zu befördern, die sich vornehmlich nicht (nur) auf eine Kultur der Vergangenheitsrepräsentation beschränkt.
Uwe Roßbach/Judy Slivi
Der Text bezieht sich auf das Ausstellungsprojekt „Jüdinnen und Juden in der Arbeiterinnenbewegung Thüringens “. Die Ergebnisse entstammen der verdienstvollen und engagierten Arbeit einer Reihe Thüringer Regionalhistoriker_innen, denen an dieser Stelle gedankt werden soll: Jörg Kaps und Dr. Monika Gibas (Arnstadt), Dr. Reinhold Brunner (Eisenach), Dieter Bauke (Gera), Christoph Gann (Meiningen), York-Egbert König und Ute Simon (Schmalkalden).
Literatur:
Reinhold Brunner: 1850–1930: Eisenacher Juden als Handlungsträger in der kommunalen Politik, in: Harald Mittelsdorf (Hg.), Zwischen Mitgestaltung und Ausgrenzung. Jüdische Abgeordnete und jüdisches Leben als Thema in Thüringer Parlamenten, Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Band 26, Weimar 2007, S. 70–89.
Ilse Fischer/Rüdiger Zimmermann: „Unsere Sehnsucht in Worte kleiden“. Eugen Prager (1876–1942). Der Lebensweg eines sozialdemokratischen Journalisten, Bonn 2005.
York-Egbert König/Dietfrid Krause-Vilmar/Ute Simon: Ludwig Pappenheim. Redakteur – Sozialdemokrat – Menschenfreund, herausgegeben vom Centrum Judaicum, Berlin 2014.
O. A.: Deutsche Sozialisten für das arbeitende Palästina, in: Der jüdische Arbeiter. Organ der jüdischen sozialdemokratischen Arbeiterorganisation Poale Zion 4 (1927) 6, S. 4.
Heike Stange: Zwischen Eigensinn und Solidarität: Frida Winckelmann (1873–1943), in: Mario Hesselbarth/Eberhart Schulz/Manfred Weißbecker (Hg.), Gelebte Ideen. Sozialisten in Thüringen. Biographische Skizzen, Jena 2006, S. 458–464.
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