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Lothar Erdmann (1888–1939) war ein Gewerkschafter und Sozialist, der sich als "Mensch der Grenze" und "zwischen den Ständen" sah. Ein Zweiteiler in unserem Blog beschäftigt sich mit seinem Leben und seiner Gedankenwelt. Dieser zweite Teil beschäftigt sich mit seiner Sozialismuskonzeption.
Die Vorstellungen vom „richtigen“ oder „wahren“ Sozialismus gingen stets weit auseinander. In der Weimarer Republik lagen im deutschen politischen Spektrum ebenfalls viele nebeneinander existierende Ideen eines Sozialismus vor. Rückblickend werden diese zumeist verengt auf die Sozialismuskonzeptionen der KPD und der SPD dargestellt. Das Feld an Sozialismen qua Selbstzuschreibung ist aber viel breiter.
Einer, der in Weimar besonders prominent zwischen solchen Stühlen saß und von einem „nationalen Sozialismus“ zu reden pflegte, war der Sozialdemokrat und Gewerkschafter Lothar Erdmann. Was für eine Sozialismuskonzeption verfolgte er?
Lothar Erdmann stammt aus dem Bürgertum, war national geprägt und befasste sich spätestens ab 1913 intensiv mit dem Sozialismus. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte er als Journalist für verschiedene der Arbeiter_innenbewegung nahestehenden oder ihr angehörenden Organisationen: vom IGB in Amsterdam bis hin zum Theorieorgan des ADGB, der „Arbeit“. Als dezidiert „nationaler Sozialist“ stand er auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie; als die Nationalsozialisten 1933 reichsweit die Macht übernahmen, machte er sich – wie viele seines Schlages – trotz vorheriger Streitigkeiten mit ihnen noch Hoffnungen auf politische Überschneidungen. Für die NSDAP blieb er aber ein Protagonist von Gewerkschaften und Sozialdemokratie; nach Jahren der Verfolgung verstarb er 1939 im Konzentrationslager.
Den Begriff eines „nationalen Sozialismus“ definieren zu wollen wäre ebenso schwierig und schwammig wie überhaupt bei dem Wort „Sozialismus“. In Weimar gab es viele Sozialismuskonzeptionen und jede Richtung behauptete, den einzig „richtigen“ Sozialismus zu vertreten. Die Unterschiede lagen mal mehr, mal weniger im Detail. Ein Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Richtungen war die Frage nach einer Verwirklichung im nationalen oder internationalen Rahmen. Je weiter links im parteipolitischen Spektrum, umso eher wurde diese Frage international beantwortet; je weiter rechts, umso eher national. Es ging also um das Problem, ob nur oder bestenfalls international der Sozialismus umzusetzen sei, oder ob es nur oder bestenfalls im nationalen Raum möglich sei.
Erdmann richtete sich gegen eine rein auf die internationale Solidarität und Zusammenarbeit hoffende Ausrichtung des Sozialismus. Im ausschließlich internationalen Weg sah er das Problem, dass damit die einzelnen Völker aus ihren organisch gewachsenen Zusammenhängen gerissen würden, um stattdessen in einem künstlichen Zweckverband untergeordnet zu werden. Das heißt nicht, dass Erdmann den Weg der internationalen Zusammenarbeit und des gemeinsamen Vorantreibens des Sozialismus verschmähte; er wollte lieber eine Ergänzung von nationalem wie internationalem Vorgehen, ohne dabei die Nation ganz aus ihren Zusammenhängen zu lösen und im Internationalismus aufgehen zu lassen.
Gesellschaftlich betrachtet orientierte sich Erdmann dabei nicht primär an der Klasse als Ordnungskriterium, sondern an Völkern, die ihrerseits Klassen aufweisen. Das muss nicht heißen, dass beispielsweise die Arbeiter_innenklasse eines Volkes mit der eines anderen zusammenarbeiten könne; es heißt einfach, dass es nicht eine homogene Masse sei, sondern zwei verschiedene Körper. Ökonomisch verfolgte Erdmanns Konzeption den evolutionären statt revolutionären Weg. Konkret ging er davon aus, dass durch Voranschreiten der sozialen Demokratie (wofür es Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Partei bedurfte) kollektive Regelungen immer mehr Gewicht gewinnen würden, etwa im Tarifwesen oder bei Fragen der paritätischen Besetzung. So würden immer mehr gemeinsame Interessen in den Vordergrund treten, die den Gegensatz im Arbeitskampf aufheben würden. Erdmann verfolgte damit den Weg der Wirtschaftsdemokratie, nicht einer Planwirtschaft, auch wenn er sonst den starken Staat dem schwachen vorzog.
Das Erdmann’sche Konzept eines „nationalen Sozialismus“ in den Sozialismusansätzen Weimars verorten zu wollen, kann nur schwammig sein, muss aber versucht werden. Erdmanns Konzept war nicht bis ins Detail ausgearbeitet und wenn, dann auf die zeitgenössischen Umstände, nicht aber auf künftige Entwicklungen in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft gemünzt. Die großen Eckpunkte sind aber klar: Wirtschaftsdemokratie und nationaler Rahmen. Ersteres wäre für die Sozialist_innen der politischen Mitte attraktiv gewesen, aber nicht für die Ränder; zweiteres jeweils für die rechts eingestellten Sozialist_innen aller politischen Lager, aber nicht für die links eingestellten. Aber sein „nationaler Sozialismus“ und seine gleichzeitige hochrangige Position in der Arbeiter_innenbewegung geben einen Eindruck davon, wie sehr die soziale Frage und ihre Lösung die Zeitgenossen beschäftigte.
Daniel Meis
Die Tagebücher Lothar Erdmann sind in der vergriffenen Edition Ilse Fischers als Anhang ihrer Erdmann-Biografie teilweise veröffentlicht. Der Verfasser bereitet mit einer Kollegin gerade eine neue, vollständige Edition vor. Die Tagebücher liegen im Original im AdsD und dem DGB-Teilarchiv vor.
Lothar Erdmanns eigene Publikationen vom Buch bis zum Pressebeitrag, hier in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Eine kleine Fotogalerie zur Zeitschrift "Die Arbeit" und Lothar Erdmann findet sich hier.
Fischer, Ilse: Versöhnung von Nation und Sozialismus? Lothar Erdmann (1888–1939). Biographie und Auszüge aus den Tagebüchern (= Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 23/Veröffentlichungen aus dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Heft 3), Bonn 2004.
Schröder, Doris: Erdmann, Lothar, in: Mielke, Siegfried (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, Band 1, Berlin 2002, S. 56–67.
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