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„Neuer Aufbruch für die Frauenpolitik“? - Gleichstellungspolitik in Zeiten von „Familie und das ganze Gedöns“

Man hatte sich 1998 viel vorgenommen: „Die SPD will die Gleichstellung von Mann und Frau wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt machen.“ Und: „Mit einem Gleichstellungsgesetz streben wir die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen im Berufsleben an.“ Die Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition bot die Chance, diese Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mit Erfolg?

Bild: von Thomas Imo / photothek.net Fotoagentur GbR

Aktionsprogramm Frau und Beruf

Bereits im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 1998 hatte die SPD klar Stellung in Sachen Frauenpolitik bezogen. In seiner Regierungserklärung kündigte Kanzler Gerhard Schröder dann auch ein „Aktionsprogramm Frau und Beruf“ an. Damit wollte die rot-grüne Koalition auf einen gravierenden gesellschaftlichen Missstand reagieren: Zwei Drittel der Bevölkerung sah noch Handlungsbedarf in Sachen Gleichberechtigung, 70 % der Frauen waren davon überzeugt, dass Frauen nicht die gleichen Aufstiegschancen hätten wie Männer, 86 % der Frauen sahen sich bei den Verdienstchancen benachteiligt. In der Wirtschaft lag der Anteil von Frauen in Führungspositionen nur bei ca. 11 %. Auf dem Ausbildungsmarkt hatten Frauen schlechtere Chancen und waren auch nach abgeschlossener Ausbildung von Arbeitslosigkeit bedroht.

Das ressortübergreifende Programm der Bundesregierung sollte in den wichtigen Bereichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Aufstiegsmöglichkeiten und Gleichstellung bei Löhnen und Gehältern ansetzen. In jeder Legislaturperiode sollte z. B. ein Bericht zur Lohngleichheit vorgelegt werden, um das öffentliche Bewusstsein zu sensibilisieren. Kernstück des Programms sollte ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft werden. Die Regierung wollte mit gutem Beispiel vorangehen und das Frauenfördergesetz des Bundes von 1994 durch ein effektiveres Gleichstellungsgesetz für die Bundesverwaltung ersetzen.

Gute Idee: Ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft

Unter der Leitung von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann leistete eine Expertinnengruppe Vorarbeit für den Gesetzentwurf. In entsprechenden Gesetzen in Schweden, Österreich oder den USA sah man gute und funktionierende Vorbilder. Schnell wurde allerdings klar, dass sich die deutschen Arbeitgeberverbände gegen jegliche gesetzliche Regelung wehren würden. Der Gesetzentwurf versuchte, der Bandbreite an Unternehmensgröße und -möglichkeiten gerecht zu werden und setzte in einer ersten Stufe auf eigenständige betriebliche Gleichstellungspolitik: Nach einer Bestandsaufnahme der Beschäftigtenstruktur und der Einrichtung einer Koordinationsstelle sollten betriebliche Gleichstellungskonzeptionen entwickelt werden. Hierzu wurden 12 Handlungsfelder benannt, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern sowie die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbessern und aus denen je nach Größe des Betriebes 1 bis 5 Handlungsfelder umgesetzt werden sollten. Erst bei Nichterfüllung dieser ersten Stufe innerhalb von zwei Jahren traten gesetzliche Verpflichtungen in Kraft: Eine gewählte betriebliche Gleichstellungsbeauftragte sollte Unternehmensleitung und Betriebsrat beraten und musste vor allem bei personellen Maßnahmen beteiligt werden. Um Aufträge der öffentlichen Hand bekommen zu können, sollten die Unternehmen Gleichstellungserklärungen abgeben oder sich einem Audit unterziehen (was tatsächlich einen gewissen Druck ausgeübt hätte).

Die freie Wirtschaft befürchtete Eingriffe in die unternehmerische Handlungsfreiheit, beklagte höhere Kosten und unterstellte, dass mit einem Gleichstellungsgesetz erhebliche bürokratische Regelungen verbunden wären. Sie plädierte für freiwilliges Handeln – ohne Kontrollinstanz und ohne

Sanktionsmöglichkeiten. In der Tat gab es bei einigen großen, in dieser Hinsicht herausragenden Betrieben ambitionierte Gleichstellungs- und Frauenfördermaßnahmen. In der Breite aber wollte man sich in Sachen Personalentwicklung und Besetzung von Leitungsfunktionen lieber nicht hereinreden lassen. Letztlich gelang es der Privatwirtschaft, das Ungemach abzuwenden: Das Gesetzesvorhaben scheiterte.

Was übrig blieb: Das Bundesgleichstellungsgesetz

Übrig blieb das Bundesgleichstellungsgesetz für die Bundesverwaltung, das am 11. Oktober 2001 verabschiedet wurde und erklärtermaßen eine Vorbildfunktion wahrnehmen sollte. Sein Geltungsbereich beschränkte sich allerdings nur auf die „Beschäftigten in der unmittelbaren und mittelbaren Bundesverwaltung […]“. Für Unternehmen des Bundes, die privatisiert und dann privatwirtschaftlich geführt wurden, galt (und gilt) das Gesetz schon nicht mehr. Selbst Zuwendungsempfänger des Bundes – wie etwa politische Stiftungen – waren nicht verpflichtet, das Gesetz anzuwenden und taten es dann auch nicht.

Das Gesetz verpflichtete alle Beschäftigten und insbesondere auch solche mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben, die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern – nicht als Maßnahme nach Gutsherrenart, sondern als durchgängiges Leitprinzip. In diesem Sinne wurde auch die Bevorzugung von Frauen bei Personalentscheidungen von drei konkret benannten Voraussetzungen deklariert: im betroffenen Bereich sind Frauen unterrepräsentiert, die Bewerberin ist gleich qualifiziert und die Bevorzugung stellt aus Sicht des konkurrierenden Bewerbers keine unzumutbare Härte dar. Um der Schwammigkeit der „gleichwertigen Qualifikation“ etwas entgegenzusetzen, wurde die Berücksichtigung bestimmter Kriterien bei der Bewertung explizit untersagt: die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, geringere aktive Dienstjahre, die Reduzierung der Arbeitszeit, die Einkommenssituation des Ehe- oder Lebenspartners oder die zeitliche Belastung durch Betreuungsaufgaben.

A Woman’s Place Is in Control

Neben dem verbindlich geforderten Gleichstellungsplan war und ist eine entscheidende Maßnahme die Stärkung der Gleichstellungsbeauftragten, die quasi als Kontrollinstanz in den Ministerien und Behörden angelegt wurde. Sie muss aus dem Kreis der weiblichen Beschäftigten und von diesen gewählt werden. Ihre Aufgaben sind so klar wie umfassend: „Sie wirkt bei allen personellen, organisatorischen und sozialen Maßnahmen ihrer Dienststelle mit, die die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sowie den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betreffen. Sie ist frühzeitig zu beteiligen, insbesondere bei 1. Personalangelegenheiten […].“ Dies gab und gibt der Gleichstellungsbeauftragten ein umfangreiches Mitwirkungsrecht, bestimmt ihre Informierung noch vor dem Personalrat und ermöglicht die Einsicht nicht nur in Bewerbungsunterlagen, sondern auch in entscheidungsrelevante Teile von Personalakten. Ergänzend ist sie mit einem Einspruchsrecht bei Verstößen gegen Regelungen des Gleichstellungsgesetzes oder gegen den Gleichstellungsplan ausgestattet; die umfassende Kontrollfunktion der Gleichstellungsbeauftragten wurde damit gestärkt und betont.

„… nach wie vor deutlich unterrepräsentiert“

20 Jahre ist das Bundesgleichstellungsgesetz nun in Kraft; 2015 wurde es novelliert, weitere Änderungen traten 2017 hinzu. Die Gleichstellungsbeauftragten als Institution sind etabliert und anerkannt. Ihr „Interministerieller Arbeitskreis“ wird artig vom Bundespräsidenten empfangen und von der Bundesfamilienministerin zur Diskussion geladen. Wie „mächtig“ sind sie aber tatsächlich? 2011, 2017 und 2021 wurden Gleichstellungsberichte durch Sachverständige erstellt. Sie stellen eine

empirische Bestandsaufnahme zum Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland dar und geben Handlungsempfehlungen, um erkannte Ungleichheiten abzubauen. Im 2. Gleichstellungsbericht 2017 empfiehlt die Sachverständigenkommission „dringend eine Analyse der Gleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder auf ihre gleichstellungsorientierte Wirksamkeit hin.“ Es fehle an systematischen und vergleichenden Evaluationen, die einen Schluss erlauben, welche gleichstellungsrechtliche Regelungen im öffentlichen Dienst sich als besonders zielführend erwiesen haben. Vorsichtig wird darauf hingewiesen, dass „eine Stärkung sowohl der Rolle von Gleichstellungsplänen als auch der Stellung der Gleichstellungsbeauftragten hilfreich wäre“. Ernüchternd ist auch das Resümee (von 2017!), dass „Frauen und Teilzeitbeschäftigte nach wie vor bei Karrieren und in Führungspositionen des öffentlichen Dienstes unterrepräsentiert sind“. Die Ursache sehen die Expert_innen in den Personalbeurteilungen, die eine entscheidende Rolle für den beruflichen Aufstieg spielen. Hier schneiden die genannten Beschäftigtengruppen mehrheitlich schlechter ab als Männer oder Vollzeitbeschäftigte: Neben der Negativbewertung von Teilzeittätigkeit führen Geschlechterstereotypisierungen und subjektive Beurteilungskriterien („Entschlusskraft“, „Kreativität“) zu signifikanten Abweichungen in der Bewertung.

Gerhard Schröders gesellschaftliches Reformprojekt ist also noch nicht zum Abschluss gekommen – auch nicht beim „vorbildlichen“ Arbeitgeber Bund. Gleichwohl sind politischer Wille und gesetzliche Rahmenbedingungen im Öffentlichen Dienst deutlich förderlicher als in der Privatwirtschaft: Hier fehlt ein entsprechendes Gleichstellungsgesetz bis heute.

Die Gleichstellungsberichte der Bundesregierung findet man hier.

Gabriele Rose


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