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Mit den Beschlüssen des Kieler Parteitages 1927 entschied sich die SPD, die Grundlagen für die Übernahme von Regierungsverantwortung zu schaffen. Das Referat von Rudolf Hilferding, der dann in der 1928 gebildeten großen Koalition unter Führung der Sozialdemokratie Reichsfinanzminister werden sollte, bildete die programmatische Grundlage hierfür.
Unter dem Motto "Heran an das Volk" trat vom 22. bis 27. Mai 1927 der Parteitag, vom 27. bis 29. Mai 1927 die Reichsfrauenkonferenz der SPD in Kiel zusammen. 415 Delegierte sprachen vor allem über die künftige Rolle der Sozialdemokratie im Staat.
Hierzu entbrannte eine Diskussion zwischen Vertreter_innen der vom Parteivorstand ausgegebenen Linie und den Parteilinken. Rudolf Hilferding (1877-1941) legte in seinem Referat „Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik“ die Positionen des Parteivorstandes dar. Direkt zu Anfang stellte er fest:
„Ich habe immer zu denen gehört, die jede ökonomische Zusammenbruchstheorie ablehnten, weil gerade Karl Marx den Nachweis erbracht hat, daß eine solche ökonomische Zusammenbruchstheorie falsch ist. Aber nach dem Kriege (Erster Weltkrieg; d. Verf.) konnte eine politische Zusammenbruchstheorie konzipiert werden. Sie wurde hauptsächlich von den Bolschewiki vertreten, die meinten, daß wir vor einem unmittelbaren Zusammenbruch des kapitalistischen Systems stünden. […] Der Satz des Kommunistischen Manifests ‚Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein‘ hat Doppelbedeutung. Die Befreiung ist das Werk der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Bourgeoisie, aber auch das Werk der Arbeiterklasse, die bewußte Tat einer Klasse, die sich ihrer Situation in der kapitalistischen Gesellschaft bewußt wird und aus der Analyse dieser Situation die Konsequenz zieht, daß es gilt, das ganze System zu ändern.“
Hilferding, der in die Rolle des seit 1924 in Wien lebenden Parteitheoretikers Karl Kautsky getreten war, sprach sich dafür aus, dass die Partei einen demokratischen Weg zum Sozialismus gehen müsse. Im wirtschaftlichen Bereich sei die Veränderung des kapitalistischen Systems (z.B. Wandel vom „Konkurrenzkapitalismus“ zu einem organisierten Kapitalismus) anzustreben. Verbunden mit der bereits laufenden Demokratisierung des Staates wäre im Zuge der immer stärkeren Verquickung von Staat und Wirtschaft durch die SPD die Schaffung wirtschaftsdemokratischer Verhältnisse, der Weg zum Sozialismus realisierbar.
Die Sozialdemokratie könne durch erfolgreiche Wahlen wieder zu Regierungs- und damit Gestaltungsgewalt gelangen. Die 1928 anstehenden Reichstagswahlen waren somit direkt im Blick. Wichtige Bedeutung wurde dem Umstand beigemessen, in der Öffentlichkeit möglichst geschlossen aufzutreten. Die Arbeiterbewegung müsse sich bewusst machen, dass das seit 1919 in Deutschland bestehende demokratische System ihrem Mitwirken entsprungen und nicht abzulehnen sei. Für den Wahlerfolg sei entscheidend, die Teile der Arbeiterbewegung, die bisher nicht die SPD wählen würden, zu gewinnen. Nach einer umfassenden Diskussion wurde der Antrag des Parteivorstandes mehrheitlich angenommen worden. Ein gegenläufiger Antrag der Parteilinken war zuvor mit 255 gegen 83 Stimmen abgelehnt worden.
Neben diesem Thema wurde auf dem Parteitag auch über ein sozialdemokratisches Agrarprogramm beraten. Es war von Fritz Baade (1893-1974), einem mit agrarwissenschaftlicher Expertise ausgestatteten Sozialdemokraten, mit ausgearbeitet worden. Bereits über 30 Jahre war über die Agrarfrage in der SPD ohne Erfolg diskutiert worden. Durch die Verabschiedung des Agrarprogramms, in dem die Auseinandersetzung um die bisherigen Gegebenheiten landwirtschaftlichen Arbeitens erfolgte, bemühte sich die Partei um die Erweiterung der Wählerschaft in diesem Wirtschaftssektor, ebenfalls mit Blick auf künftige Reichs- und Länderwahlen.
Dem Parteitag schloss sich die Reichsfrauenkonferenz der SPD an. Hier diskutierten 127 Delegierte über den Themenschwerpunkt „Wohnungsnot und Wohnungsreform“, über den von Herta Krauss (1897-1968), Leiterin des Kölner Wohlfahrtsamtes, referiert wurde. Am Ende der Diskussion stand die Forderung nach baldiger Realisation eines umfassenden Wohnungsbauprogramms, um gemeinnützigen und kommunalen Trägern eine sichere Planungs- und Finanzierungssicherheit zu bieten.
Die Beflaggung Kiels zum Parteitag wurde in Abstimmung mit der Stadtverwaltung bis Ende Mai 1927 fortgesetzt. So fand der Besuch Reichspräsident Hindenburg zum Ende des Monats unter wehenden roten Flaggen statt.
Hubert Woltering
Literaturhinweise:
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