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Vor 100 Jahren: Gründung des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA)

In unserem aktuellen FEShistory-Blogbeitrag geht es um den langen und schwierigen Weg bis zum Gründungskongress des „Allgemeinen freien Angestelltenbundes“ (AfA) am 2. und 3. Oktober 1921 in Düsseldorf.

Bild: Demonstration 1926; Rechte: ver.di.

Bild: Siegfried Aufhäuser, Kongress der Arbeitsgemeinschaft Freier Angestelltenverbände (AFA) in Hamburg 1921; Rechte: Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Bild: : Drei-Säulen-Abbildung AfA-Geschäftsbericht 1925; Quelle: Bibliothek der FES.

Der Stehkragenproletarier, den man als Lakai und Unteroffizier des Unternehmertums angesehen hatte, der vor Standesdünkel triefte und stets an die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit glaubte, der von der freigewerkschaftlich orientierten Arbeitnehmerschaft über die Achsel angesehen wurde ob seiner rückständigen Auffassung, er ist endlich erwacht, er will sich nicht mehr hutteln und pütteln lassen, sondern er will im gleichen Schritt Schulter an Schulter mit der freigewerkschaftlich denkenden Arbeiterschaft den gesteckten Zielen zustreben.

So beschrieb Bruno Süß (1876–1943), Gewerkschafter im Zentralverband der Angestellten, auf dem Gründungskongress des „Allgemeinen freien Angestelltenbundes“ (AfA) am 2. und 3. Oktober 1921 in Düsseldorf, was den „neuen Angestellten“ ausmachte und ihn an die Seite des freigewerkschaftlichen Arbeiters stellte. Süß wurde dann zum 2. Vorsitzenden des AfA gewählt.

Der Weg bis dorthin war lang und schwierig. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts differenzierte sich nach und nach die Unterscheidung abhängig Beschäftigter nach ihren beruflichen Aufgaben in Arbeiter_innen, Angestellte und Beamt_innen heraus. Die Gruppe der Angestellten, die auch als „Fabrikbeamte“, „Betriebsbeamte“ oder „Handlungsgehilfen“ bezeichnet wurden, wuchs von 2,4 Prozent aller Industriebeschäftigten Anfang der 1880er-Jahre auf 7,4 Prozent im Jahr 1907. In diesem Jahr ermittelte die amtliche Berufszählung des Deutschen Reiches 11,6 Mill. Arbeiter_innen und 1,5 Mill. Angestellte, während es 1925 bereits 14,4 Mill. Arbeiter_innen und 3,5 Mill. Angestellte waren. In diesem Zeitraum wuchs die Arbeiterschaft um 24 Prozent, der Anstieg im Bereich der Angestellten betrug somit sogar 133 Prozent.

Für die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland vor 1933 – weltanschaulich aufgegliedert in SPD-nahe freigewerkschaftliche, christlich-nationale Gewerkschaften und liberale Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine – gewann die stetig wachsende Beschäftigtengruppe der Angestellten eine immer größere Bedeutung. Angestelltengewerkschaften nutzten um die Jahrhundertwende jedoch oft noch die „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ als Dachorganisation.

Die weitgefächerte Arbeitswelt jener Zeit führte zur Entstehung einer Vielzahl von Einzelgewerkschaften: 1913 fanden sich Arbeiter in 46 freien, 25 christlichen und 23 liberalen gewerkschaftlichen Zentralorganisationen. Der Deutsche Metallarbeiter-Verband (DMV) hatte dabei zum Beispiel über 500.000 Mitglieder, während die Verbände von Küfern oder Reepschlägern weniger als 100 Mitglieder organisierten.

Siegfried Aufhäuser (1884–1969), dem für die Einigung der freien Angestelltengewerkschaften eine zentrale Bedeutung zukam, berichtete, dass 1913 eine Erhebung im Reichsarbeitsblatt bereits 77 bestehende Angestelltenorganisationen nannte. Neben freien Angestelltengewerkschaften füllten auch nationalkonservativ-antisemitische, christliche und liberal-kaufmännische Organisationen das organisatorische Spektrum.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges verstärkten sich die Zentralisierungsbewegung nicht nur innerhalb der Gewerkschafts-, sondern auch in der Angestelltenbewegung. Aufhäuser, der die mit den freien Angestellten konkurrierenden Verbände in steter Regelmäßigkeit als „Harmonieverbände“ bezeichnete, betonte die ideelle Nähe freigewerkschaftlich organisierter Arbeiter_innen und Angestellter. Ähnlich wie der gewerkschaftliche Dachverband freier Gewerkschaften, der im Juli 1919 als „Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund“ (ADGB) neuformiert worden war, wurde die 1916 gebildete „Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände“ zur Keimzelle eines Angestellten-Dachverbandes. Unterschiedliche Prioritäten in berufspolitischen Bereichen (zum Beispiel Alterssicherung, Hinterbliebenenversorgung) verzögerte jedoch noch die Annäherung der kaufmännischen und technischen Angestellten.

Bei seinem Vortrag „Reorganisation des AfA-Bundes“ auf dem AfA-Gründungskongress nannte Bruno Süß am 3. Oktober 1921 auch die zentralen Ziele des Bundes:

  1. Sicherung des vollen Ertrages der Arbeitskraft,
  2. Demokratie und Mitbestimmungsrecht in der Wirtschaft,
  3. einheitliches Arbeitsrecht, einheitliche Sozialgesetzgebung für alle Arbeitnehmer_innen, und
  4. Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und Erstrebung einer Wirtschaftsweise, die Glück und Zufriedenheit allen Schaffenden bringen soll.

Bereits Ende 1920 hatten Vorstände- und Vertretersitzungen von Angestellten-Arbeitsgemeinschaft und ADGB die künftige Kooperation von „Kopf- und Handarbeitern“ vorberaten. Der Bundesausschuss des ADGB stellte am 23. März 1921 fest:

Der ADGB und der AfA-Bund behalten hiermit beide ihre Selbständigkeit, verpflichten sich aber zu einem satzungsgemäßen Zusammenwirken in allen gewerkschaftlichen, sozial- und wirtschaftspolitischen Angelegenheiten, welche die Interessen der Arbeiter und Angestellten gemeinsam berühren. In Fragen, die nur die Interessen der einen Gruppe berühren, aber auch diejenigen der anderen beeinflußen könnten, soll tunlichst jede Gruppe auf die andere Rücksicht nehmen.

ADGB und AfA kooperierten, auch in Abstimmung mit dem am 18. Juni 1922 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Beamtenbund“ (ADB), in den folgenden zwölf Jahren. In dieser Zeit schrumpfte der Verband, befördert von Ruhrbesetzung, Inflation und wachsender Arbeitslosigkeit, von fast 690.000 Mitgliedern auf 435.000 organisierte Angestellte. Durch seine Selbstauflösung zum 30. April 1933 kam der AfA der Zerschlagung des deutschen Gewerkschaftswesens zwei Tage später zuvor.

Hubert Woltering

 

Weiterführendes
Das Gros des Materials, das heute die Archivbestände des AfA und seiner Mitgliedsverbände bilden würde, wurde im Zeitraum 1933 bis 1945 zerstört. Nur wenig Archivgut findet sich heute noch. In der Bibliothek im AdsD stehen Protokolle, Geschäftsberichte, Zeitschriften und Einzelveröffentlichungen des AfA und vieler anderer Angestelltengewerkschaften der Forschung zur Verfügung. Im Rahmen des Projektes Das gedruckte Gedächtnis der Tertiarisierung“ (http://library.fes.de/angestelltenpresse) wurden wichtige Zeitungen der freigewerkschaftlichen Angestelltenbewegung vor 1933 digitalisiert und via Internet zugänglich gemacht.


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