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Bringen Zentralbanken unsere Wirtschaft ins Grüne?

Die Klimakrise ist die entscheidende Herausforderung unserer Zeit. Klimaschutz sollte die neue Handlungsmaxime sein, an der sich alle Akteur*innen messen lassen müssen.

Für eine Geldpolitik, die fit für das 21. Jahrhundert ist!


Die Klimakrise ist die entscheidende Herausforderung unserer Zeit. Das muss sich entsprechend auch als oberste Priorität in der politischen Agenda widerspiegeln, und allepolitischenAkteur*innen müssen sich an deren Bewältigung beteiligen. Klimaschutz sollte nicht als eine von allen anderen Politikbereichen getrennte Sphäre betrachtet werden. Klimaschutz sollte die neue Handlungsmaxime sein, an der sich alle Akteur*innen messen lassen müssen.

Gleiches gilt für Zentralbanken, denn diese können mit ihrem Einfluss auf die reale Wirtschaft die Transformation ankurbeln oder erschweren. Allerdings führt die gängige Auslegung von geldpolitischen Aufgaben zu einer Fokussierung auf kurzfristige Problemlösungen. Hier darf jedoch die Berücksichtigung langfristiger Aufgabenstellungen nicht verloren gehen. Für Zentralbanken heißt das: Auch in Zeiten steigender Inflation müssen sie den Klimaschutz im Auge behalten. Sie dürfen diese beide Krisen nicht gegeneinander ausspielen.
 

Der Zinsmechanismus

Durch das Anheben oder Absenken des Zinsniveaus zielt die Geldpolitik der Zentralbanken darauf ab, die Kreditnachfrage und damit die Investitionstätigkeit zu beeinflussen. Die Zentralbank wirkt durch den Zinsmechanismus in die Wirtschaft und Gesellschaft hinein. Der zentrale Zinssatz, auch bekannt als Leitzins, ist der Satz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der Zentralbank leihen können. Dadurch verändern sich wiederum die Zinssätze der Geschäftsbanken für Kredite und Einlagen sowohl für Privatpersonen wie auch Unternehmen. Das Ziel restriktiver Geldpolitik, wie momentan praktiziert, ist dabei, der aktuell hohen Inflationsrate zu begegnen.

Die Inflationsrate wird in der Theorie dadurch gesenkt, dass durch Verteuerungen von Krediten, infolge höherer Zinssätze, weniger Kredite nachgefragt werden und dadurch die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft abnimmt. Dies soll die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen und so die Preise senken.

Damit ist die restriktive Geldpolitik ein Mittel, in die gesamte Wirtschaft hineinzuwirken. Jedoch kann damit die Inflation nur dann besonders effektiv bekämpft werden, wenn es sich auch um eine nachfrageseitig verursachte Inflation handelt. Darüber hinaus schlagen sich die Effekte eines Zinsanstiegs nicht kurzfristig nieder, sondern erst nach mehreren Monaten. Angebotsseitig verursachten Preisanstiegen in gewissen Sektoren (wie beispielsweise im Energiesektor in jüngster Zeit) kann dagegen durch gezieltere fiskalische Maßnahmen, wie punktuelle Preisdeckelungen, effektiver entgegnet werden.
 

Wie wirken Zinsen auf grüne Investitionen?

Eine negative Auswirkung des erhöhten Zinses ist, dass auch die notwendigen Investitionen für die grüne Transformation maßgeblich gedämpft werden. Für die Umstellung jeglicher Prozesse in unserer Ökonomie hin zu einer Wirtschaft, die kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel ist, werden enorme Investitionen notwendig. Die höheren Zinsen dämpfen grüne Investitionen auf zwei Arten.

Zum einen haben erneuerbare Technologien häufig hohe Investitionskosten zu Beginn eines Projekts. Wir betrachten besonders den Energiesektor, da hier ein hohes Investitionspotenzial und ein hoher Investitionsbedarf bestehen. Sämtliche andere Sektoren sind auf die Umstellung zu erneuerbaren Energiequellen angewiesen, um ihre Produktionsweisen zu dekarbonisieren. Investitionen in erneuerbare Energien lohnen sich vor allem in einem Niedrigzinsumfeld, da ein höherer Zins bei einer Kreditaufnahme die Investitionskosten über die Laufzeit des Projekts verteuert. Bei einem Projekt mit Erneuerbaren fallen dazu höhere Kosten zu Beginn des Projekts im Vergleich zu fossilen Energieprojekten an, wodurch sich der höhere Zinssatz dort entsprechend stärker niederschlägt.

Zum anderen wirkt sich somit der höhere Zinssatz negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energien aus, denn fossile Industrien können von bestehenden Vermögenswerten wie Kohlekraftwerken weiter profitieren. Im vergangenen Jahr fuhren die neun größten fossilen Energieunternehmen weltweit Profite in Höhe von 457 Milliarden US-Dollar ein. Dadurch bleiben die Anreize für Investitionen in grüne und kostspielige Technologien aus bzw. werden gedämpft. 

Hier zeigt sich exemplarisch, dass der Zinsmechanismus nicht neutral und gleichmäßig in der gesamten Wirtschaft wirkt.

Paradoxerweise entsteht in der längeren Frist dadurch ein Problem für die Zentralbanken, da, wie unten näher erläutert wird, durch die Klimakrise die Preisstabilität, so wie sie aktuell definiert wird, in Gefahr ist. Schon heute wollen Zentralbanken auf der ganzen Welt Klimarisiken in ihren Analysen, Berichten und Stresstests berücksichtigen. Das ist durchaus zu begrüßen und sollte fortgesetzt werden. Jedoch ergreifen sie nur sehr langsam aktive Maßnahmen, die zu einem grüneren Finanz- und Geldsystem und damit zu mehr Klimaschutz beitragen.
 

Wie sieht eine grüne Geldpolitik in der Praxis aus?

Hier gibt es vor allem zwei Vorschläge, die wir für wegweisend halten:

  1. Ein sogenanntes Dual-Interest-Rate-System
  2. Eine Vergrünung des eigenen Portfolios der Zentralbanken

Beide Instrumente könnten unabhängig von Leitzinserhöhungen stattfinden und dauerhafte, grüne Anreize für das Finanzsystem darstellen.
 

Ein Dual-Interest-Rate-System

Die Grundidee hierbei ist, dass sich Banken mit grünen Vermögenswerten zu besseren Konditionen über die Zentralbank refinanzieren können. Refinanzierungen funktionieren oftmals so, dass Banken einen Vermögensgegenstand als Sicherheit bei der Zentralbank hinterlegen und dafür einen Kredit von dieser bekommen. Der Kredit wird ungefähr zum Leitzins verzinst. Zusätzlich gibt es für den hinterlegten Vermögensgegenstand einen sogenannten Haircut, also einen Sicherheitsabschlag. Bei einem Haircut von zum Beispiel fünf Prozent kann eine Bank für einen Vermögensgegenstand im Wert von 100 Euro einen Kredit in Höhe von 95 Euro über die Zentralbank beziehen. Genau hier kann eine grüne Geldpolitik ansetzen, indem grüne Vermögensgegenstände mit einem geringeren, hingegen klimaschädliche Vermögensgegenstände mit einem höheren Haircut versehen werden. Auf diese Weise werden grüne Investitionen lukrativer. Die Banken werden entsprechend versuchen, diesen Haircut-Unterschied (Haircut-Spread) auszunutzen, und nehmen verstärkt grüne Vermögensgegenstände in ihre Bilanzen auf, um von dem Finanzierungsvorteil zu profitieren.
 

Ein grünes Zentralbankportfolio

Zentralbanken sind selbst wichtige Player an den Anleihemärkten. Durch An- und Verkäufe versuchen sie, vor allem in Krisenzeiten langfristige Zinsen zu beeinflussen und Märkte zu stabilisieren. Dabei richten sie sich nach dem Kriterium der „Marktneutralität“, da sie die Anleihemärkte als Ganzes bewegen und nicht verzerren wollen. Dieses Vorhaben klingt zwar nobel, aber bei den Anleihekäufen wird der klimaschädliche Status quo zementiert, weil die Unternehmen, deren Anleihen von der Zentralbank aufgekauft werden, einen überdurchschnittlich hohen Anteil an CO2 emittieren. Das zeigt, dass trotz seines Namens dieses Handeln exemplarisch dafür steht, dass keine Maßnahme der Zentralbank neutral ist und es auch zu keinem Zeitpunkt war.

Ein verstärktes Ankaufen grüner Anleihen verbessert die Finanzierungsbedingungen für klimaneutrale Investitionen und Klimainnovationen. Dabei ist es ein Problem, dass sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen oftmals nicht über Anleihen oder Aktien finanzieren, sondern eher über klassische Bankkredite. Hier kann man jedoch den Banken die Möglichkeit geben, grüne Kredite zu „bündeln“ (in sogenannten besicherten Geldmarktpapieren) und dann an die Zentralbanken zu verkaufen. Auch in Situationen, in denen die Zentralbank eine straffere Geldpolitik betreibt, indem sie ihre Anleihebestände verringert oder nicht erhöht, könnte sie vorrangig fossile Anleihen abstoßen und zum Teil mit grünen Anleihen ersetzen. Hierbei wäre jedoch besondere Vorsicht vor „Greenwashing" geboten, also dem „Tarnen“ von klimaschädlichen Vermögenswerten als angeblich klimafreundlich, was uns zum nächsten Thema bringt.

Es ist im konkreten Fall unklar, was als grün gilt und was nicht. Zwar verweist die Europäische Zentralbank (EZB) selbst auf die sogenannte Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie, aber diese soll erst ab 2026 gelten. Ein Rückgriff auf die EU-Taxonomie-Verordnung würde der grünen Geldpolitik zwar einen demokratischeren Rahmen geben, jedoch wäre vor allem die Einstufung von Gas- und Atomenergie als „nachhaltig“ ein großer Streitpunkt. Der EZB würde hier unserer Ansicht nach nichts anderes übrig bleiben, als (vorerst) eigene, härtere Kriterien aufzustellen.

 

Das Mandat

Einen erheblichen Teil dieser Instrumente würde sich theoretisch innerhalb des aktuellen Mandats umsetzen lassen. Aber eine Anpassung und Modernisierung des Mandats durch die Europäische Union würde die demokratische Legitimation erheblich stärken und der EZB einen klareren Auftrag geben, sich an der sozial-ökologischen Transformation zu beteiligen.

So hat die EZB aktuell zwei Mandate. Das erste besagt, dass auf mittlere Sicht die Preisstabilität gelten soll, genauer gesagt eine Inflationsrate von zwei Prozent. Der Klimawandel, aber auch die notwendige Transformation hin zu Klimaneutralität werden jedoch immer wieder Auswirkungen auf das Preisniveau haben. Denn durch unvorhersehbare Klimaschocks und die grundlegende Transformation der Wirtschaft werden Preise und Produktion beeinflusst – man muss somit immer wieder mit Abweichungen von den angestrebten zwei Prozent rechnen.

Damit ist auch das Ziel des ersten Mandats direkt vom Klimawandel betroffen. Die aktuell vorherrschende Meinung in den Zentralbanken wertet dies jedoch aufgrund des langen Zeithorizonts der Klimakatastrophe als nicht ausreichend, um als rechtliche Legitimation für konkrete Eingriffe zu gelten.

Anders sieht es beim zweiten Mandat aus, dieses schreibt der EZB vor, dass sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen soll, solange es nicht zu Handlungskonflikten mit dem ersten Mandat kommt. Wie man sieht, ist dieses Ziel sehr breit angelegt und erschwert es in der aktuellen Situation, zu konkreten Handlungen zu führen. Deswegen sprechen sich verschiedenste Ökonom*innen (für genauere Ausarbeitungen siehe Gabor et. al. 2021, Tooze 2022 sowie van’t Klooster & de Boer 2021) für eine neue Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen aus. Mögliche Vorschläge beinhalten ein neues formales Verfahren, das dem EU-Parlament und der EU-Kommission die Aufgabe zukommen lässt, die politischen Ziele der Union formell zu definieren. Diese Konkretisierung würde der EZB erlauben, eine ähnliche Klarheit wie beim ersten Mandat zu erlangen und somit genaue Instrumente zu konkretisieren, die sich an den demokratisch legitimierten Leitlinien orientieren. Genau das schränkt aber nicht die Unabhängigkeit der EZB ein, wie konservative Stimmen häufig einwerfen. An der Unabhängigkeit würde sich nichts ändern, sondern es würde Lücken innerhalb der Legitimation geschlossen, Genauigkeit hergestellt und der Geldpolitik der notwendige politische wie juristische Rückhalt gegeben.

Beispielsweise könnte das EU-Parlament eine wirtschaftspolitische Vision der Union ausarbeiten, die sich an einer am Pariser Klimaschutzabkommen ausgerichteten sozial-ökologischen Transformation orientiert. Damit könnte die EZB klarer und mit neuer Entschlossenheit Instrumente wie eine bereits oben erläuterte Ökologisierung von Anleiheprogrammen und Dual Interest Rates umsetzen.

Wir werden dem Klimawandel nicht begegnen können, wenn wir unsere Institutionen und ihre Arbeitsweisen nicht an geänderte Rahmenbedingungen anpassen. Unsere Zentralbanken sollten für das 21. Jahrhundert fit gemacht werden, und dazu gehört eine angemessene Berücksichtigung der Klimakrise.

 


Über die Autor_innen

Paula Hüttisch

Paula Hüttisch (Jahrgang 1998) hat einen Bachelor in Philosophy & Economics der Universität Bayreuth und studiert aktuell an der Universtität Duisburg-Essen im Master Sozioökonomie. Während ihres Bachelors gründete sie die Initiative Klimaentscheid Bayreuth mit, die sich sich für lokalen Klimaschutz einsetzt. Seit Anfang 2023 leitet sie das Klimateam des Vereins Fiscal Future.

Moritz Kapff

Moritz Kapff (Jahrgang 2001) studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er engagiert sich bei Plurale Ökonomik, Fiscal Future sowie zur sozial-ökologischen Transformation und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen u.a. für das GoodNews Magazin.

Bastian Reßing

Bastian Reßing (Jahrgang 1998) hat einen Bachelorabschluss in Volkswirtschaftslehre und ist ausgebildeter Bankkaufmann. Derzeit studiert er im Master Economics an der Universität Bonn und ist Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Davor hat er sich kommunalpolitisch für die SPD engagiert.

Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive

Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe „Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive“, die im Anschluss an den Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik 2023 entstanden ist. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Quellen

Boer, Nik de; Klooster, Jens van’t 2021: The Ecb’s Neglected

Secondary Mandate: An Inter-Institutional Solution, http://www.positivemoney.eu/wp-content/uploads/2021/10/The-ECBs-neglected-secondary-mandate_v6.0.pdf (12.1.2024).

Crace, John 2023: Central Banks Raising Interest Rates Makes it Harder to Fight the Climate Crisis, in: The Guardian, 6.5.2023, https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/may/06/central-banks-interest-rate-hike-climate-crisis (12.1.2024).

Deutsche Bundesbank 2023: Straffe Geldpolitik beeinflusst Bankzinsen, https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/straffe-geldpolitik-beeinflusst-bankzinsen--856176#:~:text=So%20 wurden%20die%20 Zinsen%20 seit,liegt%20 aktuell%20 bei%20 vier%20 Prozent (12.1.2024).

Gabor, Daniela; Tooze, Adam; Schick, Gerhard; Monin, Pierre 2021: Geldpolitik ist nicht neutral: Die EZB muss aufhören, klimaschädliche Industrien zu stützen, in: Tagesspiegel, 16.4.2021, https://www.tagesspiegel.de/meinung/die-ezb-muss-aufhoren-klimaschadliche-industrien-zu-stutzen-6858511.html (12.1.2024).

Sanderson, Katharine 2023: How Oil Companies’ Soaring Profits Compare with Green-Energy Investments, in: Nature, 15.5.2023, https://www.nature.com/articles/d41586-023-01599-5 (12.1.2024).

Schmidt, Tobias S. et al. 2019: Adverse Effects of Rising Interest Rates on Sustainable Energy Transitions, in: Nature Sustainability 2, https://www.iea.org/reports/projected-costs-of-generating-electricity-2020 | https://www.nature.com/articles/s41893-019-0375-2.epdf (12.1.2024).

Tooze, Adam 2022: Debating Central Bank Mandates, in: Forum for a New Economy 01 (2022),https://newforum.org/wp-content/uploads/2022/01/FNE-WP01-2022.pdf (12.1.2024).


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