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G20 in Brasilien als Chance für Gewerkschaften

Der diesjährige Labour-20-Gipfel in Fortaleza machte deutlich, dass eine nachhaltige Weltwirtschaft nur mit guter Beschäftigung und mehr sozialer Beteiligung möglich ist.

Der Ort hätte nicht passender gewählt werden können, um sich buchstäblich in der Mitte zu treffen: Fortaleza ist fast näher an Europa als an vielen Orten Lateinamerikas. Die nordbrasilianische Stadt diente als Austragungsort des diesjährigen Labour-20-Gipfel (L20) vom 24.-25. Juli, sowie des anschließenden Arbeitsministertreffens der G20 (LEMM) vom 26.-27. Juli. Damit steht der Treffpunkt symbolisch dafür, was sich Brasilien insgesamt mit seiner G20-Präsidentschaft vorgenommen hat: Eine Brücke zwischen Nord und Süd zur Lösung globaler Probleme zu bilden.

Starke Gewerkschaftsperspektive im G20-Prozess

L20 gehört zu einer Vielzahl gesellschaftlicher Beteiligungsgruppen im G20-Prozess und fungiert als Sprachrohr der Gewerkschaftsorganisationen der zwanzig größten Volkswirtschaften. Nachdem Gewerkschaften im vergangenen Jahr unter der indischen Präsidentschaft nur eingeschränkt zu Wort kamen, ist nun das Gegenteil der Fall. Brasiliens Regierung, geführt vom ehemaligen Gewerkschafter und Mitgründer der Arbeiterpartei Lula da Silva, bindet Gewerkschaften aktiv mit ein und bietet die Gelegenheit, Arbeits- und Beschäftigungsfragen wieder mehr Aufmerksamkeit auf globaler Bühne zu schenken.

Obwohl in der L20-Gruppe nur Gewerkschaften weniger Länder zusammenkommen, treffen Welten aufeinander, was Entwicklungsinteressen, Organisationskulturen und Haltung zu geopolitischen Konflikten angeht. Die drei thematischen Prioritäten der brasilianischen G20-Präsidentschaft – soziale Inklusion und die Bekämpfung von Hunger und Armut, nachhaltige Entwicklung und Energiewende, sowie die Reform globaler Institutionen – lenken den Blick jedoch auf gemeinsame Herausforderungen anstatt auf Unterschiede. Ebenso ermöglichen diese Themenschwerpunkte der globalen Gewerkschaftsbewegung, ihre Kernanliegen politisch prominent zu platzieren.

Schon im Frühjahr ist es den L20 gelungen, angeführt von der Einheitlichen Arbeiterzentrale Brasiliens (CUT) und dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), unter dem Motto "Eine gerechte Welt und einen nachhaltigen Planeten mit einem neuen Gesellschaftsvertrag aufbauen", Arbeiter_innenperspektiven zur gesamten G20-Agenda zu liefern. In dieser Erklärung wird der brasilianische Vorstoß eines globalen Mindeststeuersatzes für Milliardäre ausdrücklich begrüßt, die Schaffung guter Arbeitsplätze mit sozialer Sicherung ins Zentrum der Armutsbekämpfung gestellt und die Notwendigkeit der Beteiligung von Arbeiter_innen und Gewerkschaften für gerechte ökologische Transformationsprozesse hervorgehoben.

Der L20-Gipfel im Juli hat mit Politikempfehlungen auf dieser Erklärung aufgebaut, von denen ein Großteil wiederum in der Erklärung des Arbeitsministertreffens aufgenommen wurde. Dieses Ministertreffen wurde zudem mit einem hochrangigen Forum eröffnet, bei der die L20 gemeinsame Positionen mit der Arbeitgeberseite Business 20 (B20) zu gerechten ökologischen und digitalen Transformationen vorgestellt haben. So fanden in Fortaleza nicht nur Nord und Süd, sondern auch die Sozialpartner zumindest für einen Moment zusammen.

Wann ist ein Wandel ein "gerechter Wandel"?

Trotz einer Fülle von Themen waren zwei Frage beim L20-Gipfel von herausragender Bedeutung: Wie können unvermeidliche globale Veränderungen, wie die Umstellung auf klimaneutrales Wirtschaften und die Digitalisierung der Arbeitswelt, sozial gerecht gestaltet werden? Und daran anschließend: Wer zahlt diesen Wandel und zu welchem Anteil?

Im Fall von Klimaschutzmaßnahmen wurde deutlich, dass Vorleistungen und ein größerer Finanzierungsanteil der industriestärkeren Staaten zur globalen Mobilisierung notwendig sind. Zudem wurde gefordert, beim Ausbau erneuerbarer Energien gute Arbeitsplätze mit Tarifbindung und Mitbestimmung zu schaffen, etwa industriepolitische Maßnahmen oder Bedingungen der öffentlichen Beschaffung. Gerade aus Arbeiter_innenperspektive geht es um eine Veränderung des gesamten Wirtschaftssystems, und nicht nur der Energieversorgung, die es mitzugestalten gilt.

Weitere umfassende Veränderungen am Arbeitsplatz ergeben sich durch den wachsenden Einfluss von Algorithmen und künstlicher Intelligenz. Länderübergreifend wurde die Erfahrung geteilt, dass staatliche Regulierung hinterherhinkt. Dadurch liegt es zunehmend an Gewerkschaften, einen verantwortlichen Umgang mit Technologie in Unternehmen sicherzustellen. Rasante Neuentwicklungen und fehlende Kontrolle über Datenverarbeitung erschweren diese Aufgabe jedoch immens.

Die Verständigung der L20-Gewerkschaften zu diesen Transformationsthemen hat aufgezeigt, wozu globaler Konsens notwendig und auch möglich ist. Ein weiterer Moment, Unterstützung für die Positionen der Arbeiter_innen zu gewinnen, ist der G20 Sozialgipfel im November in Rio de Janeiro, direkt vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs. Hier zeigt sich dann, welche Konsensfindung mit Hilfe der außerordentlichen brasilianischen Gastfreundschaft noch möglich ist.
 

Ribeiro Hoffmann, Andrea

What to expect from Brazil's G20 presidency?

Opportunities for strategic North-South cooperation amidst geopolitical turmoil
Berlin, 2024

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Über den Autor


Fabian Lischkowitz ist Gewerkschaftskoordinator für Lateinamerika und die Karibik sowie Länderreferent für Brasilien und Uruguay der Friedrich-Ebert-Stiftung.


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