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Die Autorin Gün Tank zeichnet mit ihrem Roman „Die Optimistinnen“ ein anderes Bild der „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik.
„Dieser Streik ist in die Geschichte eingegangen, wenn auch nicht in die deutschen Geschichtsbücher. Von Mund zu Mund tragen sie ihn weiter. Jedes Mal, wenn sie von ihren Kämpfen erzählen, spüre ich eine wachsende Kraft in meinem Körper. Doch wenn über unsere Mütter, Tanten und Großmütter in Deutschland gesprochen oder geschrieben wird, nennt man sie ‚unterdrückt‘, ‚schwach‘, ‚unselbständig‘ oder ‚abhängig‘.“ (aus: Gün Tank, Die Optimistinnen)
Schon der Buchtitel wirft ein anderes Licht auf die Frauen, die seit den 1950er bis in die frühen 1970er Jahre als „Gastarbeiterinnen“ in die Bundesrepublik kamen. Gün Tank nennt sie „Optimistinnen“. Auf der Lesung in Berlin im Oktober 2024, die gemeinsam von der Hans-Böckler-Stiftung, der Universität Bamberg und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert wurde, erzählt Tank im Gespräch mit der IG-Metall-Gewerkschaftssekretärin Sükran Budak, dass das in der Mehrheitsgesellschaft dominierende Bild von Migrantinnen für sie der Auslöser für ihren Roman war. Die Bilder von schwachen und unterdrückten Frauen habe einfach nicht zu den Frauen gepasst, die sie selbst kannte.
Tank hat mit ihrem Roman nicht nur gegen das verbreitete Bild der Arbeitsmigrantinnen geschrieben, sondern auch gegen das Bild der „Gastarbeit“ generell, denn diese wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig immer noch in erster Linie mit Männern in Verbindung gebracht. Der Anteil von Frauen unter den „Gastarbeiterinnen“ stieg jedoch von anfangs ca. 15 Prozent schnell auf über 30 Prozent 1973. Diesen Frauen gibt Tank mit ihrem „Roman unserer Mütter“ eine Stimme. Dabei kann sie als Tochter einer „Gastarbeiterin“, die aus der Türkei nach Deutschland kam, nicht nur auf ihre eigene Familiengeschichte zurückgreifen, sondern auch zahlreiche Interviews, die sie geführt hat.
In den Geschichten der Romanfiguren Nour, Tülay oder Mercedes spiegeln sich die Herausforderungen, Wünsche und Probleme, denen Arbeitsmigrant:innen „ohne Sprache und ohne Stimme, allein in einem Land“ begegneten. Tank beschreibt die Aufbrüche, den Mut, die Solidarität, aber auch den Schmerz und die Sehnsüchte der Frauen und sie liest so einfühlsam und lebendig, dass man glaubt zusammen mit der Protagonistin Nour vor den unterschiedlichen „Kitteln“ zu stehen – Deutsche, die die Migrantinnen begutachteten und einteilten, zunächst bei der medizinischen Untersuchung, später in der Fabrik. Tank gibt den Frauen mit ihren verschiedenen Facetten ein Gesicht. Die Migrantinnen sprechen zwar zunächst die deutsche Sprache nicht und verstehen so beispielsweise die Anweisungen der Vorgesetzten nicht, aber sie sind keineswegs sprachlos – sie haben ihre eigene Sprache, bringen ihre eigene Geschichte mit und verständigen sich untereinander.
Tank gelingt es, kleine Beobachtungen und Gesten zu beschreiben, die symbolisch für die Situation der Frauen stehen, während es an anderen Stellen die großen Gesten sind, die ihr Handeln bestimmen – die Organisation und der Streik. Die Autorin baut den Streik beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss 1973 ein, ein überwiegend von migrantischen Arbeiterinnen getragener Arbeitskampf, bei dem zum ersten Mal in einem Betrieb die Abschaffung der „Leichtlohngruppen“ erreicht wurde. In diesen Lohngruppen waren in der Regel Frauen beschäftigt, die für ihre Arbeit deutlich weniger Lohn als die männlichen Kollegen erhielten. Die Abschaffung der Leichtlohngruppen hatte Pioniercharakter: 1988 wurden sie vom Bundesarbeitsgericht aufgrund ihres mittelbar diskriminierenden Charakters verboten.
Über Su, die Tochter von Nour, schlägt Tank den Bogen in die „Baseballschlägerjahre“ der 1990er Jahre, die für Menschen mit Migrationsgeschichte eine andere Bedeutung hatte als für die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft: Die Morde von Solingen oder Mölln sowie die Pogrome in Rostock oder Hoyerswerda bedeuteten existenzielle Bedrohungen. Im Roman wird dies deutlich, wenn Sus Chef ihre Angst nach einem Kontakt mit einem Neonazi herunterspielt. Zudem erinnert Tank in der Diskussion an die Einschränkung des Asylrechts von 1993, die auf die rassistischen Anschläge folgte: Ihre Hoffnung ist, dass die demokratischen Parteien ihr Profil bewahren und nicht die Forderungen rechtsextremer Parteien übernehmen.
Auch weil Tanks Roman deutlicher als viele andere Fragen der Arbeitswelt und gewerkschaftlicher Organisierung thematisiert, ist Sükran Budak aus dem Ressort Migration der IG Metall die ideale Gesprächspartnerin für den Abend. Sie stellt etwa Verbindungen zu aktuellen Erfahrungen von Migrant:innen und rassifizierten Menschen her. Zugleich spricht sie auch die ambivalente Geschichte der Gewerkschaften im Umgang mit Migrant:innen an, waren diese doch zunächst nicht mit offenen Armen empfangen worden. Budak betont jedoch, dass die IG Metall mittlerweile 500.000 Menschen mit Migrationsgeschichte organisiere und somit zu einer „Einwanderungsgewerkschaft“ geworden sei.
Dr. Alexandra Jaeger ist Referentin im Referat Public History des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung und betreut dort das Kooperationsprojekt "Jüngere Gewerkschaftsgeschichte" mit der Hans-Böckler-Stiftung.
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