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Die Menschen in der EU schätzen die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ein skeptischeres Meinungsbild zeigt sich jedoch bei anderen Themen. Droht eine neue „exit-Bewegung“?
Wie stark und in welchen Bereichen sollte man auf EU-Ebene zusammenarbeiten? Über diese Frage wird in der Europäischen Union täglich gestritten. Auch wenn diesbezüglich oft Uneinigkeit herrscht, so gab es doch immer einige Regeln, die für das Funktionieren der EU als unerlässlich angesehen und daher von allen akzeptiert wurden. Dazu gehören vor allem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Diese vier Grundfreiheiten bilden den Grundstein des EU-Binnenmarktes, der das Herzstück der europäischen Zusammenarbeit ist.
Mit dem Brexit ist der Konsens über solche Grundprinzipien ins Wanken geraten. Die Befürworter_innen des EU-Austritts Großbritanniens kritisierten vor allem das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit und äußerten den Vorwurf, dass wirtschaftlich besser gestellte Länder wie Großbritannien von der EU in zu hohem Maße verpflichtet würden, anderen Staaten finanziell unter die Arme zu greifen. Damit stellten sie grundlegende Regeln der EU infrage und heizten eine länderübergreifende Debatte an. Viele Pro-Europäer_innen befürchten, dass sich andere, vor allem wirtschaftsstärkere, Mitgliedstaaten ebenfalls von der EU und ihren Grundideen abwenden könnten.. Aber ist diese Sorge begründet?
Eine Meinungserhebung in der EU-Bevölkerung belegt: der Brexit wirkt nicht ansteckend. Das zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Meinungsforschungsinstitut policy matters, für die in acht Mitgliedsländern eine Befragung zu Themen rund um die EU durchgeführt wurde. Die Mehrheit der befragten EU-Bürger_innen (57 Prozent) spricht sich weiterhin für die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit aus, etwa ein Drittel der Befragten votiert für eine Beschränkung des Zuzugs. Die europafreundliche Mehrheit, die deutlich in fünf der acht befragten Länder erkennbar ist, hält sich seit 2015 konstant und hat in Deutschland sogar um elf Prozent zugelegt (s. Abbildung 1). Interessanterweise kann man Befürworter und Gegner der Freizügigkeit nicht den Entsende- beziehungsweise Empfängerländern von Arbeitskräften zuordnen.
Weitaus skeptischer verhält es sich allerdings mit den Themen Sozialleistungen für EU-Ausländer_innen und finanzieller Solidarität zwischen Mitgliedstaaten. So spricht sich eine länderübergreifende Mehrheit (56 Prozent) dafür aus, dass zugezogene Menschen nur Sozialleistungen erhalten sollten, wenn sie im betreffenden Land schon länger gearbeitet haben (s. Abbildung 2). Auf die Frage zum ungeschriebenen Solidaritätsgebot zwischen wohlhabenderen und ökonomisch schwächeren Mitgliedstaaten ist das Meinungsbild sehr gespalten und zeigt keinen klaren Trend. Auch hier lässt sich allerdings feststellen, dass die Trennlinie zwischen Zustimmung und Ablehnung nicht zwischen wirtschaftsstarken und -schwachen Ländern verläuft. So sprechen sich nicht nur ökonomisch schwächere Länder wie etwa Spanien (60 Prozent) oder Italien (53 Prozent) deutlich für finanzielle Solidarität wohlhabenderer Staaten aus. Auch in Deutschland, dem größten Nettozahler in der EU gemessen am jährlichen Beitrag, unterstützt eine klare Mehrheit (ca. 60 Prozent) das Solidaritätsgebot. Die Werte zeigen, dass es zwar Uneinigkeit bei finanziellen Themen wie Sozialleistungen und Solidarität gibt, diese jedoch nicht, wie in der Brexit-Debatte thematisiert, zwischen ärmeren und reicheren Mitgliedstaaten ausgetragen wird.
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass sich die EU-Bevölkerung den grundlegenden Zweifeln der Brexit-Unterstützer nicht anschließt. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt weiterhin als Fundament des europäischen Binnenmarktes, und Meinungskonflikte bestehen nicht zwingend zwischen reicheren und weniger wohlhabenderen Ländern. Das Meinungsbild der EU-Bevölkerung macht deutlich: Über neue Ideen und ungeschriebene Gebote wird weiterhin debattiert, aber Grundprinzipien genießen weiterhin Rückhalt. Die gespaltene Meinung zu finanziell brisanten Themen wie Solidarität und Sozialleistungen ist aber auch ein klares Zeichen an die EU-Politik, dass eine engagierte Debatte und Konsensfindung zu diesen Themen an der Tagesordnung sind. Denn gespaltene Meinungsbilder, die unter den Teppich gekehrt werden, bieten vor allem Raum für eines: „exit-Bewegungen“.
Ansprechpartner in der Stiftung
Arne Schildberg
Hilmer, Richard
Eine repräsentative Acht-Länder-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, durchgeführt von policy matters / Autor dieser Ausgabe: Richard Hilmer. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog, Internationale Politikanalyse, August 2017. - 24 Seiten = 4 MB, PDF-File. - (Politik für Europa #2017 plus)Electronic ed.: Berlin : FES, 2017ISBN 978-3-95861-894-7
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A representative eight-country study of the Friedrich-Ebert-Stiftung, conducted by policy matters / author: Richard Hilmer. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, International Policy Analysis, August 2017. - 24 Seiten = 4 MB, PDF-File. - (Politik für Europa #2017 plus)Electronic ed.: Berlin : FES, 2017ISBN 978-3-95861-896-1
Bild: Brexit ansteckend Bild IV von Master Tux lizenziert unter Creative Commons
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Stefanie HankeStefanie.Hanke(at)fes.de