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Delara Burkhardt ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos und dort zuständig für Internationale Politik.
Bild: von REHvolution.de (Anja Brunsmann) / photocase.de lizenziert unter Basislizenz 5.0
Bild: Delara Burkhardt von Pressefoto / SPD
FES: Europaweit zeigen Menschen Hilfsbereitschaft und Solidarität gegenüber Geflüchteten. Alleine in Deutschland sind, laut einer Studie der Bundesregierung, 19 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren in der Geflüchtetenarbeit aktiv. Wie hast Du persönlich die Willkommenskultur der letzten Jahre erlebt?
Delara Burkhardt: Ich habe die letzten Jahre Willkommenskultur als eine Art Wechselbad der Gefühle in Erinnerung. Da war und ist diese riesige Bereitschaft ehrenamtlich Geflüchtete willkommen zu heißen und sie bei ihren ersten Schritten zu unterstützen. Beispielsweise wollte auch meine Mutter, die selbst vor über 30 Jahren mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, sich beim Freundeskreis Flüchtlinge in Ahrensburg als Sprachlotsin melden. Dort machte sie dann die Erfahrung, dass es schon viel zu viele gab, die mit Farsi halfen. Alle versuchten sich mit dem einzubringen, was sie konnten.
Wir haben im Juso-Bundesvorstand ebenso viel daran gearbeitet, Ehrenamtliche zu unterstützen, denn die große Notwendigkeit dieses Einsatzes resultierte auch aus dem staatlichen Nichthandeln. So machten Ehrenamtliche in der Geflüchtetenarbeit eigentlich den Job, den der Staat organisieren müsste und wurden mit der Verantwortung oft allein gelassen.
Deswegen haben wir Musteranträge für Kommunalparlamente verfasst, die von Juso-Gliederungen in die Entscheidungsgremien gespielt wurden. Da ging es um praktische Dinge, wie die Einrichtung von WLAN-Hotspots in Geflüchtetenunterkünften, Maßnahmen für Ausbildungsplätze, dezentrale Unterbringung und Koordinierung von ehrenamtlichem Engagement in der Kommune.
Die große Hilfsbereitschaft einerseits wurde jedoch andererseits überschattet und begleitet von einem aufkeimenden Rassismus oder Übergriffen auf Geflüchteten-Unterkünfte, der sich im Aufstieg der AfD manifestierte.
In der EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik ist die politische Uneinigkeit zwischen den EU-Ländern so groß wie nie. Die einen fordern mehr europäische Solidarität und Vergemeinschaftung, die anderen wollen eine flexiblere Solidarität und freiwillige Kooperation. Welche Art der Solidarität braucht die EU, damit von einem gemeinsamen europäischen Projekt überhaupt noch gesprochen werden kann?
Ich finde, der Begriff „flexiblere Solidarität“ klingt in sich bereits falsch. Solidarität begreife ich als bedingungslosen Beistand. Die einzige Bedingung, die es gibt, ist das Versprechen: Wer in Not gerät, wer also Solidarität benötigt, der bekommt Unterstützung – ohne Gegenleistung und Gewährleistung. Sich flexibel, je nach Laune, herauszuziehen aus einer Solidargemeinschaft geht nicht, widerspricht also diesem Prinzip.
Wünschenswert wäre also eine europäische Solidarität. Indem beispielsweise mit einem solidarischen Verteilungsschlüssel für die Aufnahme Geflüchteter dafür gesorgt wird, dass die Staaten an den europäischen Außengrenzen nicht mehr allein gelassen werden. Darüber hinaus sollten sich alle europäischen Staaten auf Basis europäischer Gründungsprinzipien, wie der Achtung der Menschenwürde und Wahrung der Menschenrechte, auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.
Der Widerstand aus den Visegradstaaten, Italien und dem konservativen Lager im Europäischen Parlament ist groß, wenn es um europäische Lösungen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik geht. Bei welchen Projekten siehst Du Raum für Kompromisse? Wo ziehst du die roten Linien?
Der Widerstand speist sich ja zumindest bei einigen daraus, dass vor allen Dingen Länder wie Italien lange allein gelassen wurden und nun eben auch dichtmachen. Ich denke, es wäre schon ein riesiger Schritt getan, wenn man sich auf europäischer Ebene bewusstmachen würde, dass wir hier Diskussionen darüber führen, ob wir Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen oder in den europäischen Hotspots menschenunwürdigen Zuständen und Gewalt ausliefern, ohne ihnen eine klare Zukunftsperspektive zu bieten. Diese Menschen dürfen nicht zu politischen Spielbällen gemacht werden, sondern es ist ihnen zu helfen, wenn sie in Not sind. Ich schäme mich dafür, dass vor der Haustür einer Gemeinschaft, die sich Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, Menschen jämmerlich ersaufen - und niemand etwas unternimmt, um das Sterben zu beenden. Das Völkerrecht verpflichtet zur Rettung. Das Seerecht verpflichtet zur Rettung und auch das EU-Menschenrecht tut es. Und trotzdem erfordert noch etwas anderes, viel bedeutsameres, diese Rettung: Der menschliche Anstand.
Deshalb halte ich die Wiedereinrichtung eines Europäischen Seenotrettungsprogramms nach dem Vorbild von Mare Nostrum für unverhandelbar. Und solange zivile Seenotrettung diesen Job der EU-Staaten übernimmt, indem sie uns eigentlich nur an die Regeln erinnert, die wir uns als Wertegemeinschaft gegeben haben, gehört diese gefälligst entkriminalisiert und unterstützt. Bei Fragen der Verteilung, da kann man sicherlich Kompromisse machen, da kommt es eben auf die politische Ausgestaltung an.
Eine Studie der Technischen Universität Dresden zeigt, dass rechtspopulistische Parteien von der hohen Bedeutung von Migration und Flucht in der Öffentlichkeit profitieren. Gleichzeitig instrumentalisieren sie das Thema, indem sie Misstrauen vor den „Fremden“ schüren und Angstszenarien verbreiten. Das werden wir wahrscheinlich auch vor der Europawahl erleben. Wie können demokratische Parteien dagegenhalten?
Endlich Deutungshoheit zurückgewinnen! Nicht die Lösung vorhandener Missstände sind das Ziel von den Salvini, Kurz und Co., sondern die Durchsetzung ihrer eigenen Machtphantasien. Ich werde 2019 für ein Europa kämpfen, das sich seine Agenda nicht aus den Parolen von Rechtspopulist_innen diktieren lässt, sondern sich an seinen Gründungsprinzipien orientiert: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte. Und es gibt kluge Vorschläge: Wie beispielsweise von Gesine Schwan: Solidarische Städte.
Das knüpft genau an der Blockadehaltung an: Wenn immer mehr Nationalstaaten innerhalb der EU von Rechtspopulist_innen regiert werden, müssen wir progressive Bündnisse schließen, um der Abschottungspolitik etwas entgegenzusetzen. Mittlerweile haben sich in ganz Europa, selbst in Ländern wie Polen, das von der rechten PiS- Partei regiert wird, Städte und Kommunen zu Wort gemeldet, die anbieten, Geflüchtete aufzunehmen. Sich zu sicheren Häfen erklären. Diesen Kommunen muss es möglich sein, auch Geflüchtete aufzunehmen. Ein europäischer Fonds soll sie zum Ausgleich dabei unterstützen, Infrastruktur, Bildung und öffentliche Daseinsvorsorge fit für die Zukunft zu machen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Themenportal Flucht, Migration, Integration
Ansprechpartner für die Stiftung
Sönke Hollenberg
Posthofen, Martha; Schmid, Frieder
Was die Deutschen von Europa erwarten / Martha Posthofen, Frieder Schmid. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018. - 24 Seiten = 410 KB, PDF-File. - (Für ein besseres Morgen)Electronic ed.: Bonn : FES, 2018ISBN 978-3-96250-242-3
Zum Download (PDF) (410 KB, PDF-File)
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Dr. Dietmar MolthagenMolthadg(at)fes.de
Günther SchultzeSchultzg(at)fes.de
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Dr. Dietmar MolthagenMolthagd(at)fes.de
Stefanie HankeStefanie.Hanke(at)fes.de