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In Lateinamerika geht das „progressive Jahrzehnt“ zu Ende, in vielen Ländern ist ein Rechtsruck zu beobachten. Was kann Europa daraus lernen?
Bild: Vorwaerts von Spoeknkieker lizenziert unter CC BY-NC 2.0
Einen Putsch hatte die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ihre Amtsenthebung im Sommer genannt. Die konservative Opposition hatte der progressiven Politikerin Misswirtschaft und Fehler bei der Haushaltsführung vorgeworfen. Wenn auch nicht durch einen „Putsch“, so doch durch reguläre Wahlen haben mehrere lateinamerikanische Länder ihre vormals linken Regierungen abgewählt. Das „progressive Jahrzehnt“ droht damit jäh zu enden. Geprägt wurde es neben Brasilien vor allem von Argentinien, wo nach drei Amtszeiten »Kirchnerismo« mit Mauricio Macri ein Liberal-Konservativer die Präsidentschaftswahlen gewann. In Venezuela hat vor gut einem Jahr die konservative Opposition die absolute Mehrheit im Kongress geholt. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Europa: Auch hier geraten progressive Parteien in Bedrängnis. Aber was lehrt uns der Blick nach Lateinamerika?
Lateinamerika galt im vergangenen Jahrzehnt als Raum für progressive Politikansätze. Mit einem Ausbau des Wohlfahrtsstaates und innovativen Sozialprogrammen gelang es, Armut erfolgreich zu bekämpfen und Hunderttausenden bescheidenen Aufstieg zu ermöglichen. „Mit ihren sozialpolitischen Erfolgen haben die progressiven Regierungen die wichtigsten Ziele erreicht, mit denen sie angetreten sind. Ähnlich wie in Europa fällt es den sozialdemokratischen Parteien in Lateinamerika nun aber schwer, eine Vision für weiterreichende Veränderungen zu vermitteln und ihr politisches Profil zu schärfen“, sagt Andreas Wille, der für die FES vor allem Brasilien beobachtet. Er hat gemeinsam mit den Büros der Stiftung in Lateinamerika Ende 2016 einen Parlamentarischen Dialog organisiert. An dem Austausch in Brasilia nahmen Politiker_innen aus sieben lateinamerikanischen Ländern sowie unter anderem von hiesiger Seite neben Bundestags- und Europaparlamentsabgeordneten auch der stellvertretende FES-Vorsitzende Michael Sommer teil. Das übergreifende Thema war die Krise der politischen Repräsentation - ein Problem, das dies- wie jenseits des Atlantiks vorherrscht: Die politischen Entwicklungen in europäischen Ländern wie zum Beispiel Ungarn und Polen zeigen eine gewisse Demokratiemüdigkeit und das Erstarken autoritärer Tendenzen. „In Lateinamerika ist die Zustimmung zur Demokratie nach wie vor hoch, aber die Bevölkerung entfremdet sich zusehends von deren Institutionen. Das trifft insbesondere die Parteien“, sagt Wille.
Nationalistische und autoritäre Kräfte greifen erfolgreich Abstiegsängste und das Gefühl der Ohnmacht großer Bevölkerungsteile angesichts der Globalisierung auf. Auf beiden Seiten des Atlantiks profitieren populistische Führungspersönlichkeiten und neue Bewegungen von der Schwäche der etablierten Parteien. Die Distanzierung „der Straße“ von den Parteien wurde in Brasilia als eine wesentliche Ursache für den Aufstieg des Populismus analysiert. In Lateinamerika trifft das die traditionell starken sozialen Bewegungen, in Deutschland manifestiert sich diese Entwicklung am Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Sozialdemokratie.
Zu kämpfen haben progressive Parteien sowohl in den Ländern Lateinamerikas wie auch in Europa aber auch mit der Auflösung klassischer Wählermilieus. „Letztlich muss sozialdemokratische Politik in beiden Regionen Antworten auf die veränderten Rahmenbedingungen finden“, fasst Wille die Problematik zusammen.
Gerade dem Aufstieg rechter Bewegungen müssten linke Parteien etwas entgegnen. In Brasilia fiel im Parlamentarierdialog sehr häufig die Forderung nach internationalen Allianzen: Das ist immer schon die Kernkompetenz linker Politik gewesen. Angesichts des nicht nur in Europa, sondern auch in Lateinamerika zu beobachtenden Rückzugs ins Nationale keine ganz leichte Aufgabe. Nicht nur Internationalisierung, vor allem eines hat progressive Kräfte politisch stark gemacht: die Solidarität mit sozial Benachteiligen. Das war auch ein wesentlicher Grund für die politischen Errungenschaften im „progressiven Jahrzehnt“. Daraus können sozialdemokratische Parteien Lehren ziehen – dies- und jenseits des Atlantiks.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Andreas Wille
Für weitere Informationen siehe:
Für die Demokratie, gegen den Neoliberalismus! Interview mit Uta Dirksen
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